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Wenn peruanische Kakaobauern zu Jungunternehmern werden

Christoph Inauen versuchte acht Jahre lang, den Schokolademarkt so zu verändern, dass die Kakaobauern der Armut entkommen. Dann kündigte er seine Geschäftsleitungsstelle bei der Coop-Division Halba, um als Unternehmer eine Schokoladenrevolution zu starten. An seinem Berner Startup Choba Choba sind 35 Kakaobauern aus Peru direkt beteiligt. Zwischenhandel gibt es keinen, verkauft wird die hochwertige Schokolade via Internet in 35 Länder. Der 34-Jährige arbeitet derzeit ohne Lohn, aber mit hoher Motivation und einem grossen Ziel.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.chobachoba.com oder community@chobachoba.com


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Yoplak erntet eine reife Kakao-Frucht.

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Die Kakaobohnen verfärben sich durch die Reifung. Die Farbe variiert aber auch von Sorte zu Sorte.

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35 Bauern sind an der Firma Choba Choba direkt beteilgt.

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Mitgründer Eric Garnier mit Kakaobauer Oswaldo.

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Die Schokolade wird beim Schweizer Chocolatier Felchlin in Tafeln gegossen. Sie hat nur drei Zutaten: sortenreine Kakaobohnen, Kakaobutter und Rohrohrzucker (beides bio).

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Alle zwei Monate produziert Choba Choba eine neue Box à 3 Tafeln. Der Kakaoproduzent gibt der Schokolade den Namen.


Christoph Inauen: Vom Manager zum Revolutionär

Der 34-jährige Unternehmer war nach seinem Wirtschaftsstudium und Arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit während acht Jahren für Chocolats Halba tätig, vier Jahre in der Geschäftsleitung. Im März 2015 gründete er mit dem Franzosen Eric Garnier die Choba Choba AG, an der 35 Bauern-Familien aus Peru beteiligt sind. Bis 2020 sollen die Kakaobauern mindestens 33 Prozent besitzen. 4 Prozent des Umsatzes geht direkt an die Bauern. «Choba Choba» bedeutet in den peruanischen Anden so viel wie «Ich helfe dir, du hilfst mir». So sollen die Produkte des Berner Social Startups, das im Innovationsdorf auf dem ehemaligen Wifag-Areal angesiedelt ist, den Bauern dank Ausschaltung des Zwischenhandels ein faires Einkommen bringen. Alle zwei Monate lanciert Choba Choba eine neue Box mit drei Tafeln, die aus einer einzigen Kakaosorte einer Familienfarm produziert werden. Vertrieben wird die bei Felchlin produzierte Schokolade ausschliesslich über den Webshop. Inauen ist verheiratet und Vater einer einjährigen Tochter. (mmw)

Herr Inauen, Sie haben einen gut dotierten Job als Manager und Geschäftsleitungsmitglied der Coop-Division Halba aufgegeben, um mit peruanischen Kakaobauern eine eigene Schokolademarke aufzubauen. Hat sich der Schritt gelohnt?
Finanziell sicher nicht, ich arbeite derzeit ohne Lohn. Aber es gibt wichtigere Dinge als die Optimierung des Einkommens. Für mich ist der zentrale Antreiber, eine Schokoladen-Revolution durchzuführen und die Machtverhältnisse in diesem Geschäft auf den Kopf zu stellen.

Wie sehen diese Verhältnisse aus?
Die Schokoladenindustrie ist ein gutes Beispiel für die Auswüchse der Globalisierung. Die drei Multis Barry Callebaut, Cargill und Olam produzieren 75 Prozent der Flüssigschokolade, die als Grundlage für alle Schokoladetafeln dient. Damit kontrollieren sie den Markt und die Preisgestaltung. Es liegt auf der Hand, dass diese 3 Player kein Interesse an steigenden Kakaopreisen haben, denn das würde zu sinkenden Volumen und schlechterer Auslastung ihrer Infrastruktur führen. Auf der anderen Seite stehen 6 Millionen Kakaobauern, die nicht organisiert sind und keine Verhandlungsmacht haben. Der Kakaopreis, der aus dieser Konstellation resultiert, ist eine Farce. Darum braucht es eine Revolution. Oder besser: Einen Parallelmarkt, eine alternative Schokoladenwelt.

Sie waren bei Chocolats Halba, einer Coop-Division, für den Kakaoeinkauf und die Zertifizierung verantwortlich und haben eine Nachhaltigkeitsstrategie aufgebaut. Wäre es nicht wirkungsvoller gewesen, dort die Revolution zu starten?
Es war mir nicht möglich, die Machtverhältnisse im Schokoladenbusiness von innen heraus grundlegend zu verändern. Zwar konnten wir bei Halba für Industrieverhältnisse einiges bewegen, ich fühlte mich aber zunehmend eingeengt in meinem Handlungsspielraum. Zudem sah ich durch die direkten Kontakte zu den Kakaobauern in Afrika und Südamerika, wie wenig die Nachhaltigkeitsbestrebungen der grossen Multis, insbesondere die Zertifizierungen wie Utz, Rainforest oder Fairtrade, beim schwächsten Glied der Kette bewirken.

Bleibt der Preis zu niedrig?
Nehmen wir das Beispiel Max Havelaar. Dieses Label garantiert, dass die Bauern einen Minimalpreis von 2000 Dollar pro Tonne Kakaobohnen erhalten; dazu kommen 200 Dollar Fairtrade-Prämie für die Kooperative. Das ist ein erster Schritt, aber davon kann ein Bauer noch immer kaum leben. Seine Lebensrealität steht in extremem Kontrast zu den Bildern glücklich lächelnder Bauern, welche die grossen Schokoladen-Marken in der Werbung verwenden.

Wie sieht die Lebensrealität der Bauern denn aus?
Als ich für Helvetas ein Jahr in Mali arbeitete, musste ich mit ansehen, wie eine Familie ihr achtjähriges Kind für 25 Euro an die Betreiber einer Kakaofarm auf der Elfenbeinküste verkaufte. Die Not ist so gross, dass Familien ihre Kinder in den Sklavenhandel schicken. Weltweit werden jährlich 4 Millionen Tonnen Kakaobohnen produziert, 95 Prozent davon von Kleinbauern, die im Schnitt 3 Hektaren bewirtschaften und in guten Jahren 1,5 Tonnen ernten. Im besten Fall – also mit den Prämien von Zertifizierungen – erhalten sie dafür 3000 Dollar. Bei einer sechsköpfigen Familie ergibt das Bruttoeinnahmen von 1,4 Dollar pro Kopf und Tag. Kein Wunder, lebt ein Grossteil der Bauern unter der absoluten Armutsgrenze.

Und was heisst es unter diesen Voraussetzungen, die Machtverhältnisse auf den Kopf zu stellen?
Wir haben uns entschieden, nicht Teil dieses Marktes zu werden, sondern einen Parallelmarkt mit anderen Spielregeln zu schaffen. Konkret heisst das: Bei Choba Choba kauft der Kunde die Schokolade direkt den Kakaobauern ab. Die Marke gehört den Bauern. Es gibt keine weiteren Beteiligten, keine Mittelmänner.

Der Firmensitz der Choba Choba AG liegt aber in Bern, nicht im peruanischen Amazonasgebiet.
In der Startphase brauchen die peruanischen Kakaobauern natürlich einen professionellen Staff, der Geld bereitstellt und die Marke führt. Niemand mutiert innert Kürze vom Bauern zum international agierenden Manager. Aber die 35 Bauernfamilien sind schon heute am Unternehmen beteiligt. 92 000 Franken des Kapitals für die AG-Gründung stammen von mir und Mitgründer Eric Garner, 8000 Franken steuerten die Bauernfamilien bei. Vier Prozent jeder verkauften Schokoladebox fliessen in Form von Cash oder Aktien direkt an die Bauern, ein weiteres Prozent in ein Projekt, das 300 Hektaren Regenwald vor der Abholzung schützen soll.

Das ist im Moment eine eher symbolische Beteiligung.
Die erste Folge ist, dass die Bauern das Doppelte für ihren Kakao erhalten, verglichen mit dem Preis auf dem Kakaomarkt. Das macht für sie einen grossen Unterschied. Zweitens ist in unserem Businessplan festgelegt, dass die Bauern bis 2020 einen Drittel, mittelfristig die Mehrheit des Unternehmens besitzen. Dadurch sind sie keine Zulieferer, sondern Unternehmer. Schon heute legen wir die Preise bottom-up fest, sprich die Bauern definieren den Preis des Kakaos. Unsere Aufgabe ist es auch, ihnen die Auswirkungen eines zu hohen Preises vor Augen zu führen. Wenn eine Tafel 100 Franken kostet, gibt es keine Nachfrage mehr.

Aktuell bieten Sie die Box mit drei Tafeln à 100 Gramm für 30 Franken an. Auch das ist ein sehr stolzer Preis.
Es ist ein stolzer Preis, der aus meiner Sicht aber durch unsere Qualität gerechtfertigt ist. Die Qualität bedingt enormes Know-How und Aufwand – vom Kleinbauern bis zum Chocolatier. Sobald ein Konsument unser Produkt degustiert, versteht er aber rasch den Qualitätsunterschied. Konsumenten sind gewillt einen höheren Preis zu bezahlen, weil sie mit ihrem Kauf zu Revolutionären werden und eine gerechtere Schokoladenwelt schaffen.

Konsumenten kaufen doch nicht ein, um die Welt zu verbessern.
Doch, es gibt diese Konsumenten und es sind nicht wenige. Wir haben zur Finanzierung der ersten drei Tafeln eine Crowdfunding-Kampagne lanciert. Das Ziel war, auf diesem Weg 45 000 Franken einzunehmen. Nach drei Tagen hatten wir diesen Wert erreicht, nach 30 Tagen waren es 115 000 Franken. 1000 Kunden aus 35 Ländern hatten Geld gesprochen für ein Produkt, das es noch gar nicht gab. Offensichtlich hat die soziale Komponente, das komplett andere Geschäftsmodell also einen starken Impact. Aber natürlich haben Sie Recht: Wir müssen mehr bieten als ein wenig Weltverbesserung.

Was bieten Sie zusätzlich?
Ein erstklassiges Produkt und ein Design, das die Schokolade zu einem populären Geschenk macht. Zur Qualität: Selbst bei edler Industrieschokolade bekommen Sie immer eine Mischung. Da werden verschiedenste Kakaosorten aus unterschiedlichsten Regionen gemischt und am Ende steht vielleicht Ecuador oder Peru auf der Packung. Das ist, als würde bloss «Italien» auf einem Rotwein stehen. Bei uns besteht jede Tafel aus sortenreinem Kakao einer einzigen Bauernfamilie aus dem Alto-Huayabamba-Tal im peruanischen Amazonas. Sie wissen genau so gut Bescheid über die Schokolade wie wenn Sie dem Biobauer Müller in Ihrem Dorf seinen Salat abkaufen. Und: Die Schokolade besteht aus genau drei biologischen Zutaten: Kakaobohnen, Kakaobutter und Rohrohrzucker. Kein Sojalecithin, kein Palmöl, kein Vanillin, kein Milchpulver, kein Kristallzucker. Durch diese Beschränkung aufs Wesentliche kann jede Kakaosorte ihr reiches und einzigartiges Aroma entfalten. Verarbeitet wird die Schokolade bei Felchlin, einem international anerkannten Meister seines Fachs.

Über welche Kanäle verkaufen Sie?
Vorläufig ausschliesslich über unseren Webshop. Dort kann man einzelne Boxen bestellen oder ein Jahresabo à sechs Boxen kaufen. Alle zwei Monate lancieren wir eine neue Box mit drei Tafeln. Wir wollen keinen einzigen Zwischenhändler zwischen den Bauern und den Konsumenten stellen. Und die Konsumenten sollen mit den Bauern Kontakt aufnehmen können. Noch dieses Jahr lancieren wir offizielle Reisen ins Produktionsgebiet.

Sie haben auf Anfang Jahr fünf Mitarbeiter in Bern und zwei in Peru angestellt, beziehen selber auch im zweiten Jahr keinen Lohn. Wie soll das Geschäft wirtschaftlich eine stabile Basis bekommen?
Wir haben seit Markteintritt letzten Oktober 200 000 Franken Umsatz gemacht, für dieses Jahr sind 500 000 Franken budgetiert, danach zeigt die Kurve steil nach oben. Die Aussichten sind gut, denn der Online-Handel mit Schokolade steckt noch in den Kinderschuhen. Natürlich ist die Startphase schwierig. Aber obwohl 2016 bei uns niemand mehr als 2000 Franken monatlich verdient, haben wir hervorragende Bewerbungen erhalten. Motivierte Fachleute, die bei grossen Arbeitgebern tätig waren, wollen bei uns zu Praktikantenlöhnen mitwirken, weil sie sich einbringen können und den Sinn ihres Tuns direkt erfahren. Dies zu erleben, war für mich eine grosse Motivation. Es kommen auch viele Bewerbungen aus der Schokoladenindustrie von Insidern, die betonen, wie nötig der Wandel ist.

Welche Perspektive können Sie diesen Mitarbeitern bieten?
2017 werden wir marktgerechte Startup-Löhne zahlen können. Mittelfristig wollen wir wirtschaftlich so gesund sein, dass wir Shops in Bern, Zürich, Paris, London und Manhattan betreiben.
Mit externen Kapitalgebern ginge das schneller.
Wir brauchen bis 2020 tatsächlich rund eine Million Franken. Aber man darf nie nur die Summe anschauen. Vor kurzem fragte mich ein Goldman-Sachs-Banker via LinkedIn an, ob er 15 Millionen Franken bei uns investieren könne. Ich lehnte freundlich ab, denn es liegt auf der Hand, dass sich seine Ziele nicht mit unseren decken. Aber wir sind mit Investoren im Gespräch. Ideal wäre, rund 20 Prozent der Aktien an Partner zu verkaufen, die sich auch im Verwaltungsrat einbringen und die ihre Anteile später an die Bauern verkaufen würden. Wir wollen keine ungesunden Abhängigkeiten eingehen.

Welches ist die wichtigste Lektion nach dieser Startphase?
Mein Gründungspartner und ich waren zu lange alleine unterwegs. Wir hätten früher in Personal investieren sollen. Die ersten Monate haben wir zu zweit sieben Tage à 15 Stunden pro Woche durchgearbeitet. Ich hatte allein im Oktober 2500 Kundenkontakte, was kaum zu bewältigen war. Es führte zu intensiven Diskussionen mit meiner Frau, die im Moment für unseren Lebensunterhalt aufkommt und gleichzeitig den Grossteil des Haushaltes managt. Nun ist die Arbeit zum Glück auf mehr Schultern verteilt. Die zweite Lektion: Wir waren unglaublich naiv, die Schokolade zu Beginn weltweit anzubieten. Eine Box nach Namibia zu liefern, stellt einen vor viele Herausforderungen. Aber Naivität hat auch Vorteile. Man würde sich sonst zu stark beschränken.

Wie pflegen Sie den Kontakt zu den Bauern, Ihren Geschäftspartnern in Peru?
Oft via Facebook und Skype. Nun steht gerade die nächste Reise nach Peru an, und im November kommen die Bauern erstmals nach Bern. Entscheidend ist, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen. Dadurch, dass sie sich trotz Geldknappheit beteiligt haben, fühlen sie sich wirklich als Mitbesitzer. Der grösste Fehler wäre gewesen, wenn wir ihnen die Anteile geschenkt hätten, dann wären wir im Wohltäter-Bedürftige-Muster geblieben. So stehen sie in der Verantwortung, unterstützt von einem lokalen Managing Director. Es ist eindrücklich zu sehen, wie sehr sie das mit Stolz erfüllt und wie sich ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensqualität dadurch entwickeln.


20. Februar 2016