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«Die Zeit der imposanten Bürogebäude läuft ab»

Lange Zeit pendelten Berufstätige täglich vom Wohnort zum Arbeitgeber. Heute kann die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz theoretisch überall arbeiten. Mathis Hasler, Initiant von popupoffice.ch, baut für diese Büronomaden ein dichtes Netz von mobilen Arbeitsplätzen auf. Der 33-Jährige will in wenig genutzten Räumen neue Begegnungszonen für Firmen und Freelancer schaffen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.popupoffice.ch oder feedback@popupoffice.ch


Herr Hasler, wie sieht Ihr Büro aus?
MATHIS HASLER: Ich habe kein eigenes Büro, sondern verschiedene Arbeitsorte. Mal arbeite ich in Cafés, mal zuhause, mal unterwegs oder in Co-Working-Places. Offene Zonen, wo viele Menschen an ihren Projekten arbeiten, mag ich sehr. Wenn ich nicht gerade in absoluter Ruhe arbeiten muss, bin ich an solchen Orten produktiver als allein in einem Raum. Arbeit ist eine soziale Sache, irgendwie sind wir doch alle Ameisen, die gemeinsam an etwas Grösserem schaffen wollen.

Sie haben im März die Firma PopupOffice gegründet, die Unternehmen und Freelancern Arbeitsgelegenheiten ausserhalb von Büro und Home-Office anbietet. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Wie bei früheren Firmengründungen bin ich von eigenen Bedürfnissen ausgegangen. Ich war beruflich viel unterwegs und suchte da immer wieder nach Steckdosen oder Wlan-Netzen – oft genug vergeblich. In Argentinien entdeckte ich vor fünf Jahren die «Urban Station» Buenos Aires, einen extrem coolen Ort für mobile Berufstätige. Mir war sofort klar: Wenn wir so etwas in der Schweiz lancieren können, schlägt das ein wie eine Bombe. Vor 18 Monaten fand ich in Philipp Dick den perfekten Geschäftspartner. Er ist der Kopf hinter der Putzfrauen-Plattform quitt.ch und hat von dort Erfahrung mit der smarten Umsetzung von Ideen.

Wen sprechen Sie mit Ihrer Plattform an?
Es gibt in der Schweiz laut Economiesuisse 2,3 Millionen Wissensarbeiter, deren Tätigkeiten nicht an einen Ort gebunden sind. Gleichzeitig existieren 1,5 Millionen Bürotische, die längst nicht alle ausgelastet sind. Wenn wir annehmen, dass ein Viertel der Schweizer Beschäftigen regelmässig ausserhalb des Büros arbeitet, gibt das 40 Millionen externe Arbeitstage pro Jahr. Wir bauen ein dichtes Netz von mobilen Arbeitsplätzen auf und machen es unseren Kunden einfach, rasch einen guten Ort für effizientes Arbeiten zu finden, wo immer sie sind.

Sie haben also schlicht ein Verzeichnis der bestehenden frei zugänglichen Arbeitsorte geschaffen?
Arbeitsplätze in etablierten Business-Centers oder Co-Working-Spaces können bei uns gefunden und gebucht werden, ja. Aber unsere Ambitionen gehen weiter. Wir sind daran, Cafés, Clubs, Galerien, Möbelgeschäfte und Restaurants für eine teilweise Umnutzung zu gewinnen. Viele wunderbare Orte stehen tagsüber praktisch leer und könnten als Büros genutzt werden. Denken Sie an das Shoreditch-House: In diesem Londoner Warenhaus wird auch gearbeitet, gegessen, gebadet, geschlafen. Der Trend geht eindeutig in Richtung Mehrfachnutzung von Räumen. Das macht nicht nur wirtschaftlich Sinn, sondern auch Spass.

Und wie wollen Sie als Anbieter damit Geld verdienen?
Unsere Firmen- und Privatkunden lösen bei uns ein Abo, das sie berechtigt, all die bei uns verzeichneten Arbeitsplätze zu nutzen. Im Moment sind dies gut 60 Standorte in der ganzen Schweiz, bald werden es über 200 sein. Wer kein Abo lösen will, kann auch für 8 Franken pro Stunde einen Arbeitsplatz buchen.

Das klingt nicht nach einem sehr lukrativen Geschäftsmodell.
Unser Hauptantrieb ist auch nicht, damit reich zu werden, sondern etwas zu bewegen in der Gesellschaft in Richtung Share-Economy. Zudem muss es ja nicht bei diesem Geschäftsmodell der ersten Stunde bleiben. Die Art, wie wir heute arbeiten und produzieren, wird schon in 10 Jahren komplett überholt sein. Kennen Sie die amerikanische Firma Wework? Sie ist gerade fünfjährig geworden, hat in sechs Finanzierungsrunden 970 Millionen Dollar aufgenommen und ist konservativ geschätzt 5, vielleicht auch 10 Milliarden Dollar wert, wie Bloomberg kürzlich schrieb. Wework mietet leer stehende Büroflächen in den USA und Europa, teilt sie in kleine Parzellen auf und richtet Co-Working-Spaces ein, in denen Freelancer ab 45 Dollar pro Monat arbeiten können. Über 23’000 Mitglieder sind bei Wework angeschlossen, viele weitere stehen auf der Warteliste.

Inwiefern verändert ein solches Angebot die Arbeitswelt?
In der alten Arbeitswelt schrieb die Firma X einen Job aus, Kandidat Y bekam ihn und produzierte dann in dieser Firma, was von ihm verlangt wurde. Diese Welt gibt es noch immer, aber sie verliert an Bedeutung. In Spanien und Portugal liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent. Dort sind kaum Jobs ausgeschrieben. Also müssen sich die jungen Menschen irgendwo andocken können, wo gearbeitet wird. Wework ist nicht nur ein Hotspot für gute Ideen und viele Projekte, sondern auch eine Schnittstelle zwischen Freelancern und Konzernen. Vielen grossen Unternehmen fehlt es an Innovationskraft. Deshalb sind sie daran interessiert, mit Freelancern und Startup-Unternehmern in Kontakt zu kommen.

Durch solche Arbeitsformen lösen sich die Firmengrenzen allmählich auf – was bedeutet das für die Unternehmen?
Es gab schon in den Neunzigerjahren bei der Verbreitung der Home- und Satelliten-Offices die Befürchtung, die Unternehmen würden die Kontrolle über ihre Mitarbeiter verlieren. Realistisch betrachtet haben die Unternehmen keine Wahl. Die Zeit der imposanten Bürogebäude, die als Mahnmal, Identitätsgrundlage und Käfig dienen, läuft ab. Die meisten Leute wollen heute flexibel überall arbeiten können. Die Unternehmen stehen deshalb vor der Herausforderung, näher zu den Mitarbeitern und Kunden zu kommen. Es braucht Konzepte für flexible Arbeitszonen und Regeln, was dort aus Firmensicht erlaubt und erwünscht ist. Diese Entwicklung ist mehr Chance als Bedrohung : Unternehmen wie Wework schaffen grosse neue Marktplätze. In den urbanen Bürogemeinschaften werden nicht nur Ideen ausgetauscht, sondern auch Produkte getestet und verkauft.

Es geht also um wesentlich mehr als das Anbieten eines temporären Arbeitsplatzes?
In einem ersten Schritt konzentrieren wir uns darauf. Aber die gesellschaftliche Veränderung umfasst viel mehr. Da geht es um Megatrends wie Teilen, Austauschen und soziales Engagement – eine neue Struktur der Wirtschaft, die sich vom alten Mantra der Produktionsmaximierung grundlegend unterscheidet. Gute Räume für echte Begegnungen sind bei diesem Wandel sehr wichtig, so etwas funktioniert nicht allein durch virtuelle Vernetzung. Der Community-Gedanke ist zentral. Früher strebten junge Menschen einen Job bei der Firma X an, weil der Job nicht nur einen guten Lohn und eine gewisse Sicherheit versprach, sondern auch soziale Identität, Zugehörigkeit, Status. Heute suchen viele einen Platz in einem guten Co-Working-Space, weil sie dort unabhängig arbeiten können und trotzdem soziale Zugehörigkeit finden.


11. Juli 2015

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