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«Der Kopf sagte Ja, das Herz Nein – der Körper hat entschieden»

Studium mit Bestnoten an der HSG, eine gut dotierte Stelle in der Unternehmensberatung: Michel Bachmann war drauf und dran, die klassische Karriereleiter zu erklimmen. Doch dann verliebte er sich in London Knall auf Fall in eine neuartige Arbeitsform. Er entschloss sich, einen ähnlich inspirierenden Ort in Zürich zu schaffen, und gründete mit Kollegen den Impact Hub.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Frederike Asael


Kontakt und weitere Informationen:
michel.bachmann@impacthub.net oder www.deceler8.me


Herr Bachmann, wie sind Sie zum Mitgründer des Impact Hub Zürich geworden vor fünf Jahren? Sie hatten doch einen HSG-Abschluss in der Tasche und in der Unternehmensberatung Fuss gefasst und hätten lukrativere Dinge tun können als einen Treffpunkt für Sozialunternehmer zu kreieren.
MICHEL BACHMANN: Ich bin in meiner Karriere immer meinen Interessen gefolgt, nicht einem Karriereplan. Ich studierte Internationale Beziehungen mit Schwergewicht Wirtschaft, um besser zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Während des Studiums habe ich mich stark in der Freiwilligenarbeit engagiert, vor allem bei AIESEC, der grössten internationalen Studentenorganisation. Unser Lokalkomitee mit 80 Mitarbeitern und einer Million Franken Umsatz musste reorganisiert werden. Ich nahm mir eine einjährige Auszeit an der Uni und widmete mich ganz dieser Aufgabe – es war die wohl beste Zeit meines Lebens. In einer global vernetzten Organisation lokal etwas auf die Beine zu stellen und andere für eine Vision zu gewinnen, gefiel mir sehr gut. Da fühlte ich mich zum ersten Mal richtig lebendig, voll in meinem Element.

Nach dem Bachelor-Abschluss engagierten Sie sich ein halbes Jahr in einem sozialen Projekt in Kolumbien und wechselten dann – typisch für einen HSGler – in die Unternehmensberatung. Warum dieser Schlenker?
Ich dachte, es wäre gut, noch etwas Solides im Lebenslauf stehen zu haben, nicht nur diese sozialen Geschichten. Die Aufgabe als Managementberater war interessant. Ich lernte in Abu Dhabi eine neue Region kennen, war von intelligenten Menschen umgeben und gut bezahlt. Aber seltsamerweise sackte mein Energielevel immer mehr ab. Die Arbeitsbelastung war sehr hoch, der Gestaltungsspielraum minim. Ich arbeitete als Analyst, konnte keine echte Verantwortung übernehmen. Ich hielt es nur ein Jahr aus, machte an der Universität den Masterabschluss und unterschrieb nochmals einen Vertrag in einem internationalen Beratungsunternehmen. Aber noch bevor ich die Stelle antrat, beschlich mich ein mulmiges Gefühl, ob das wirklich der richtige Lebenspfad war für mich.

Sie haben die Stelle gar nicht erst angetreten?
Der Kopf riet mir zu dieser Karriere, Herz und Bauch sagten Nein – und am Ende hat der Körper entschieden. Ich kehrte von einer Wurmkrankheit geschwächt von einem Studienaufenthalt in Indien zurück, konnte deshalb die neue Stelle nicht antreten und hatte drei Monate Zeit zum Nachdenken. Danach war klar, dass ich einen anderen Weg gehen musste. Da ich aber nicht genau wusste, wie dieser Weg aussehen könnte, nahm ich eine Doktorarbeit in Angriff.. Ich wollte ergründen, wie man eine lokal verwurzelte und global vernetzte Organisation bauen kann, und reiste zu diesem Zweck nach London. Dort verliebte ich mich Knall auf Fall – nicht in einen Menschen, sondern einen neuartigen Arbeits- und Begegnungsort, den Impact Hub. Meine akademischen Interessen rückten in den Hintergrund, für mich gabs nur noch eins: Ich wollte einen so inspirierenden Ort in Zürich schaffen. Glücklicherweise fand ich rasch drei Kollegen, die das Unterfangen vor fünf Jahren mit mir anpackten.

Warum waren Sie Feuer und Flamme?
Der Impact Hub war eine unglaublich lebendige, vielfältige Welt, wo sich die verschiedensten Menschen begegneten und gemeinsam an Projekten arbeiteten – kein Vergleich mit der normierten Konzernwelt. Besonders eindrücklich fand ich, dass das alles ohne starre Hierarchien funktionierte. Da trafen sich Freelancer, Freaks und Firmenchefs auf Augenhöhe und lernten voneinander. So stellte ich mir die Zukunft der Arbeit vor.

Der Impact Hub in Zürich, den Sie lanciert haben, ist mit rund 500 Mitgliedern eine Erfolgsgeschichte. Es haftet ihm aber auch der Ruf an, dass sich dort viele Tagträumer und Utopisten treffen, deren Projekte nie zum Fliegen kommen.
(Lacht) Oja, diese Utopisten gibt es wirklich – es braucht eben auch die Träumer. Spannend wird’s, wenn Utopisten mit nüchternen Macher-Typen aufeinander prallen. So verbindet der Impact Hub Welten, die sich sonst nicht treffen würden. Wir organisieren zum Beispiel Speed-Datings zwischen erfahrenen Berufsleuten und Startup-Unternehmern, bringen die richtigen Partner für Firmengründungen zusammen und bieten digitalen Nomaden einen inspirierenden Arbeitsort. Mein zentrales Anliegen bei der Lancierung war, einen Ort zu bauen, wo die Wahrscheinlichkeit von glücklichen Zufällen höher ist als anderswo. Viele aktuelle Herausforderungen verlangen nach mehr Austausch und Vernetzung über die traditionellen Grenzen hinweg. Die Impact Hubs vernetzen lokal die Menschen physisch und weltweit virtuell. Über 10’000 Mitglieder aus 65 Hubs sind unserem Netzwerk angeschlossen.

Sind auch Unternehmen mit eingebunden?
Dieses Bedürfnis spüren wir mehr und mehr. Wir beziehen gerade neue Räumlichkeiten am Sihlquai und holen durch den Zusammenschluss mit dem Colab Zürich die technologieaffine Startup-Szene unters gleiche Dach. So entsteht ein Innovationsökosystem, das auch für Unternehmen interessant ist – etwa zum Entwickeln oder Austesten von Produkten. Aktuell sind die Swisscom und die Schweizer Börse SIX mit im Boot, weitere Unternehmen werden dazu kommen. Firmen tun gut daran, den Austausch über die Firmengrenzen hinaus zu forcieren. Innovative Unternehmen beziehen viele Impulse aus der Kreativ- und Startup-Szene.

Ist das nicht manchmal auch furchtbar anstrengend, sich immer in dieser superkreativen und vernetzten Hub-Welt zu bewegen?
Doch, wir digitalen Nomaden, die an verschiedenen Orten in diversen Projekten arbeiten, müssen tatsächlich aufpassen, nicht in die Beschleunigungsfalle zu geraten. Mein Lebensstil in den letzten fünf Jahren war nicht sehr gesund. Ich versuchte, drei Fulltime-Jobs unter einen Hut zu bringen – den Aufbau des Hubs in Zürich, die Tätigkeit im globalen Board und meine Dissertation. Alles machte mir Spass, war aufregend, täglich knüpfte ich neue Kontakte. Aber man kann nicht die ganze Zeit das Gaspedal durchdrücken. Ich habe mir – geschwächt durch den Parasiten aus Indien – einen Fuchsbandwurm eingefangen und wurde dadurch gezwungen, mich intensiver mit meiner Gesundheit zu befassen. Wenn dir 80 Prozent der Leber entfernt werden müssen, machst du nicht einfach weiter wie vorher.

Was haben Sie verändert?
Ich reiste nach Bali, um mich zu kurieren und meinen Lebensstil zu reflektieren. Rasch merkte ich, dass ich nicht der einzige Unternehmer war, der das Tempo etwas drosseln wollte. So lancierte ich ein Entschleunigungsprogramm für erfolgreiche Unternehmer, die auftanken und ihren Fokus schärfen wollen. Es gibt so viele Accelerator-Programme für Startups, aber keinen Decelerator. So führen wir nun einmal pro Jahr eine Art Selbsthilfegruppe durch, verbringen viel Zeit offline, tauschen Erfahrungen aus. Natürlich bringt es nichts, einmal pro Jahr einen Monat in Bali zu meditieren und die restlichen elf Monate hochtourig unterwegs zu sein. Ich schütze mich zunehmend durch Offline-Zeit vor der Überreizung. Um 22 Uhr schalte ich die Internetverbindung aus, am Samstag bleibe ich offline. Es braucht verdammt viel Disziplin, schafft aber Raum für viele andere Dinge. Ich bin öfter in der Natur, spüre meinen Körper besser, gehe mehr in die Tiefe bei allem.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Impact Hub in nächster Zeit?
Wir wollen eine physische Plattform schaffen, wo die Zukunft der Wirtschaft gebaut wird: offen, vernetzt, nachhaltig – in jedem Sinne des Wortes. Dafür verbinden wir alle Akteure im Startup Ökosystem und arbeiten auch immer mehr mit Grossfirmen zusammen. Das Wichtigste dabei ist, dass wir auf Augenhöhe zusammen kommen und voneinander lernen.
Die Überwindung von Hierarchien ist auch bei uns im 25-köpfigen Team ein zentrales Thema. Darum schaffen wir gerade das Management und alle Jobtitel ab. Wir wollen uns nur noch über unsere aktuellen Aufgaben in Projekten definieren und die Entscheidungsmacht so weit wie möglich dezentralisieren. So können wir hoffentlich den Tatbeweis erbringen, dass eine fluide Netzwerkorganisation ohne Titel und Positionen nicht nur möglich, sondern das Zukunftsmodell der Wirtschaft ist.


22. August 2015

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