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Alessandro Della Bellas Traum, die Sterne tanzen zu lassen

Er zeigt uns die Schweiz, wie wir sie noch nie gesehen haben: Der Fotograf Alessandro Della Bella verbrachte unzählige Nächte auf Berggipfeln und schoss mit mehreren Kameras Tausende von Fotos. Nun legt der 35-Jährige eine Auswahl seiner Arbeiten im Bildband «Helvetia by Night» vor. Sein Projekt, das Menschen rund um den Globus staunen lässt, will er weiterführen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: Alessandro Della Bella




Das Buch:
Alessandro Della Bella. Helvetia by Night. Verlag Neue Zürcher Zeitung 2013. 192 Seiten, 84.- Franken.

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Ihr Fotoband «Helvetia by Night» zeigt die Schweiz in einem ganz neuen Licht. Wie kamen Sie auf die Idee, in der Nacht zu fotografieren?
ALESSANDRO DELLA BELLA: Die Nacht ist für jeden Fotografen eine besondere Herausforderung. Ich bin ein Nacht- und Naturmensch und habe schon sehr früh zu experimentieren begonnen, mit Infrarot- und Strichfilmen, mit Langzeitbelichtungen. Am 10. 10. 2010 stieg ich mit meinem Freund Urs Homberger nachts in Arosa auf den Berg, wo wir mit mehreren Kameras alle paar Sekunden ein Bild schossen. Als wir Hunderte von Bildern dann im Schnelldurchlauf anschauten, begannen die Sterne zu tanzen. Das war ein magischer Moment und der Anfang meines Zeitraffer-Projekts. So entstanden später Filme, die einem die Schönheit der Bergwelt und der Natur von einer neuen Seite zeigen.

So wie auf Ihren Fotos kann das menschliche Auge die Natur gar nie sehen. Manipulieren Sie die Realität?
Nein, das ist keine Manipulation, sondern eine Betonung gewisser Effekte durch technische Hilfsmittel. Wenn ich in stockdunkler Nacht auf einen Berg steige, dann werden die Kameras zu Nachtsichtgeräten. Ich fotografiere mit lichtstarken Brennweiten von bis zu 800 Millimetern, Iso-Empfindlichkeit von bis zu 6400 und teilweise sehr langen Belichtungszeiten. Ab 15 Sekunden Belichtungszeit sieht die Kamera viel mehr als unsere Augen. Gleichzeitig bekomme ich Probleme mit der Schärfe. Wenn ich bei Leermond die Milchstrasse fotografiere und die Sterne als Punkte abbilden will, darf ich – je nach Brennweite – nicht länger als 20 Sekunden belichten. Manches muss man vor der Bildauslösung richtig machen, bei minus 20 Grad nach Mitternacht auf dem Titlis zum Beispiel. Anderes kann man bei der Nachbearbeitung optimieren, die Kontraste und die Sättigung etwa. Ich würde aber niemals Flugzeugstreifen aus einem Bild rausschneiden oder Mehrfachbelichtungen mit unterschiedlichen Bildausschnitten machen. Das wäre Manipulation.

Gibt es das perfekte Bild?
Nein. Ich verstehe die Fotografie als Handwerk. Und ich mag die Vielfalt meiner Arbeit. Manche Fotos im Buch haben Postkarten-Charakter, das ist mir bewusst. In anderen Fällen haben wir bewusst nicht das makellose Bild gewählt, sondern jenes mit Flugzeugspuren oder dem Blendlicht eines Pistenfahrzeugs. Zu Beginn wartete ich stets die perfekten Wetterbedingungen ab. Manche Bilder kannst du nicht anders machen. Für den Mondaufgang über dem Säntis wusste ich: Du hast einige wenige Minuten am Tag vor dem Vollmond. Bei Vollmond wäre der Himmel nicht dunkelblau, sondern rabenschwarz gewesen. Ich brauchte vier Anläufe, also vier Monate Geduld. Eine kleine Wolke im falschen Moment, und du hast alles vergeblich aufgebaut. Inzwischen freue ich mich auch über Nebel und Wolken. Gewitter habe ich schon immer gerne fotografiert, aber auch mit den anderen stürmischen, ja zickigen Seiten der Natur bin ich nun versöhnt.

Wie ist das, in der Nacht alleine auf einem Berggipfel mehrere Kameras zu bedienen?
Oft begleitet mich meine Freundin, so einsam ist die Arbeit also nicht. Und wenn man vier bis sechs Kameras regelmässig überwacht und ajustiert, vergeht die Zeit schnell. Ich bin in Arosa aufgewachsen und hatte immer einen engen Bezug zu den Bergen. Dass ich nun so oft in der Nacht fotografieren kann, empfinde ich als Privileg. Das ist ein idealer Ausgleich zum Berufsalltag in den Städten. Ich war acht Jahre lang für die Bildagentur Keystone im Einsatz. Da dominierten Hektik, Aktualität, Zeitdruck. In den Bergen tauchst du in eine andere Welt. So viel ich weiss, setzte man psychisch kranke Menschen früher in den Liegestuhl und liess sie in die Sterne schauen. Ich kann das nachvollziehen – es hat eine meditative, beruhigende Wirkung.

Viele erfahrenen Fotografen beklagen, die Fotografie habe durch die Digitalisierung ihre Seele verloren. Wie sehen Sie das?
Ich mochte meine analoge Spiegelreflexkamera, die mir mein Pate zur Konfirmation geschenkt hatte, sehr. Aber ich trauere diesen Zeiten nicht nach. Mein Interesse galt immer auch der technischen, physikalischen Seite der Fotografie, der Weiterentwicklung. Das verdanke ich auch meinem Lehrmeister Ruedi Homberger, der die neusten Entwicklungen nicht bekämpfte, sondern sie vorantrieb. Wir scannten nächtelang Negative ein, testeten verschiedene Drucker aus, erprobten die ersten Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung. Ich sehe in Veränderungen mehr Chancen als Gefahren. Jetzt verändert sich unser Berufsfeld gerade wieder dramatisch: Immer mehr Fotografen beginnen, Filme zu machen, weil die Technologie das erlaubt. Also müssen wir uns mit bewegten Bildern auseinandersetzen, mit Dramaturgie, mit Schneideprogrammen und Vertonungsmöglichkeiten. Ich finde das fantastisch.

Warum haben Sie Ihren Agenturjob gekündigt und sich selbständig gemacht? Für Keystone konnten Sie Olympische Spiele besuchen, Ihre Bilder gingen um die Welt.
Es waren tolle acht Jahre, ich bereue das nicht. Aber es gab eben nicht nur die Olympischen Spiele, sondern auch 50 oder 60 Eishockey-Matches pro Saison. Ich merkte, dass sich Routine einzuschleichen begann, und das hat mich erschreckt. Ich habe das Fotografieren nie als Arbeit begriffen, für mich war es immer meine grosse Leidenschaft. Das soll so bleiben.

Ihre Fotos und Filme «Helvetia by Night» werden weltweit angeschaut und geteilt. Hat sich Schweiz Tourismus beteiligt?
Nein, aber das stand für mich auch nie im Vordergrund. Ich habe mir mit diesem Projekt in erster Linie einen Traum erfüllt. Nun haben weit über eine Million Menschen meine Zeitraffer-Filme angeschaut, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit, in den USA, in Korea, in Australien... für die Schweiz ist das sicher gute Werbung. Und für mich ein schönes Gefühl, mit meiner Begeisterung für die Natur und die Fotografie so viele Menschen zu erreichen.


28. September 2013