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«Wir werden zu Maschinen»

«Wenn die messbare Leistung eines Mitarbeiters das einzige Kriterium bei der Verteilung der Arbeit ist, gefährdet dies das soziale Leben in den Unternehmen», sagt Joël Luc Cachelin. Der Berner Berater und Trendforscher untersucht in seinem neuen Buch «Offliner» die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und Gesellschaft. Er warnt vor den Gefahren der Übereffizienz.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Valérie Chételat


Kontakt und weitere Informationen:
www.wissensfabrik.ch


Das Buch:

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Joël Luc Cachelin: Offliner. Die Gegenkultur der Digitalisierung. Stämpfli Verlag, Bern 2015.


Herr Cachelin, Sie beschäftigen sich in Ihrem neuen Buch mit dem «Megatrend der Digitalisierung» und beschreiben die «Offliner» als eine Art Gegenkultur. Wer sind diese Offliner?
JOËL LUC CACHELIN: Ich meine mit Offliner nicht Menschen, die kein Internet nutzen – sondern die Opfer und Skeptiker der Digitalisierung, welche die digitale Zukunft mitgestalten wollen. Das Internet bringt ähnliche Umwälzungen mit sich wie die industrielle Revolution. Die Utopien und neuen Machtzentren aus dem Silicon Valley führen zu Unsicherheit und dem Wunsch nach Alternativen.

Sie beschreiben im Buch 16 Typen von Offlinern. Hat die Digitalisierung so viele Gegner?
Es gibt ein weit verbreitetes Unbehagen gegen jene Konzerne, welche die Digitalisierung aller Lebensbereiche vorantreiben. Manche Offliner bauen selber Gemüse an auf ihren Hausdächern und Balkonen, andere bezahlen wieder mit Bargeld statt Kreditkarte, manche verbannen das Smartphone beim Essen vom Tisch, andere kaufen Bücher in der lokalen Buchhandlung statt eBooks bei Amazon, wieder andere verschlüsseln ihre Mails und schützen sich davor, dass ihre Seitenbesuche im Internet aufgezeichnet werden. Und in der Arbeitswelt werden die Stimmen lauter, welche sich mehr persönliche Treffen statt Videokonferenzen wünschen und die Dauer­erreichbarkeit per Mail als Plage sehen. Das ist noch keine geeinte Gegenkultur, aber es sind zarte Pflänzchen, aus denen eine Gegenbewegung entstehen könnte.

Teilen Sie das Unbehagen dieser Offliner? Sie sitzen hier mit einem neuen MacBook und dem neusten iPhone.
Ja, ich teile das Unbehagen. Aber ich will auch an der digitalen Gesellschaft teilhaben und diese aktiv mitgestalten. Ein mächtiger Motor der Digitalisierung ist die Sehnsucht nach einem einfachen und intensiven Leben. Diesen Verführungen und Versprechen erliege auch ich. Noch habe ich einen Schlüsselbund, ein Portemonnaie und diverse Ausweise wie das GA in meiner Tasche. Da ich immer wieder etwas davon verliere, freue ich mich darauf, dass diese Dinge bald digitalisiert sein werden. Auch die digitale Vernetzung ist fantastisch. Wenn ich als Fremder in einer Stadt bin, informiert mich eine App darüber, wo es Menschen gibt, die meine Hobbys, Interessen oder sexuellen Präferenzen teilen. Und meine digitalen Assistenten wissen auch, in welcher Bar oder in welchem Hotel ich mich wohlfühle.

Das schaltet den Zufall aus und die Möglichkeit, etwas Überraschendes zu entdecken.
Eine digitale Gesellschaft hat nicht nur Vorteile, sie schafft auch Knappheiten – materielle und immaterielle. Zu den immateriellen Knappheiten gehören Dinge wie Privatsphäre, soziale Mobilität, Stille, Gemeinschaft und eben der Zufall. Je mehr ich auf die Privatsphäre verzichte und meine Daten zur Verfügung stelle, versorgt mich die datenbasierte Wirtschaft mit personalisierten Konsum-, Freizeit- und Job-Angeboten. Ich bleibe aber stärker als zuvor im meinem sozialen Milieu, wenn ich verreise, arbeite, ausgehe, flirte. Wir werden unsere Vergangenheit nicht mehr los, sie wird uns permanent als Zukunftsoption vorgeschlagen. Man ist gewissermassen in sich selbst gefangen.

Knapp dürfte auch die Arbeit werden. Die Digitalisierung macht den Menschen bei einfachen Tätigkeiten überflüssig.
Das ist so. Immer mehr Arbeit wird an Maschinen delegiert. Roboter, Automaten und Drohnen sind schneller, leistungsfähiger und billiger als der Mensch. Algorithmen werden in Zukunft noch stärker die Wissensarbeit verändern. Bei repetitiven Tätigkeiten wird der Mensch mehr und mehr ersetzt, seltene kognitive, emotionale, künstlerische oder handwerkliche Kompetenzen dagegen sind weiterhin gefragt. Jobs mit mittlerem Anspruchsniveau, etwa Sachbearbeiter, geraten am meisten unter Druck. Und je weniger Arbeit es gibt, desto dringlicher wird die Frage der Verteilung. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der es nicht für alle bezahlte Arbeit gibt.

Ist das ein Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommens?
Ja. Langfristig ist das Grundeinkommen vielleicht die einzige Möglichkeit, um eine sichere Gesellschaft aufrecht zu erhalten, an der alle teilhaben können. Jedoch würde ich das Grundeinkommen nicht bedingungslos verteilen, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe damit verknüpfen. Alle die ein Grundeinkommen beziehen, sollen einen Beitrag für die Gesellschaft erbringen. Dieser Beitrag kann durch Forstwirtschaft, Reinigung von öffentlichen Plätzen, Lawinenschutz, Alterspflege oder der Organisation von Spielen in der Nachbarschaft bestehen.

Schafft die Digitalisierung nicht auch viele neue Jobs?
Doch, zweifellos. In den Bereichen Recycling, digitale Sicherheit oder New Management zum Beispiel entstehen neue Berufsbilder und Profilierungschancen für den Standort Schweiz. Auch die Offliner schaffen viele neue Märkte, etwa im Bereich des Datenschutzes, der digitalen Nachhaltigkeit oder der Regeneration von der digitalen Gesellschaft.

Konkreter: Welche Berufsleute werden in 5 Jahren umworben sein?
In den Bereichen Robotik, Software, Gaming, Datenanalyse und -visualisierung wird die Nachfrage gross sein. Auch gutes Handwerk, Kunst und Wissenschaft werden wichtige Bereiche sein, dazu jener Teil des Gesundheits- und Wellnessmarkts, der nicht digitalisiert werden kann: Pflege, Betreuung und Therapie. Schliesslich dürfte auch der Coaching- und Beratungsmarkt weiter wachsen. Identität und Selbstreflexion sind zentrale Kompetenzen in der durch die Digitalisierung verstärkten Multioptionsgesellschaft.

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt?
Die Arbeitswelt der Zukunft ist durch Mensch-Maschinen-Symbiosen, Hypervernetzung, eine veränderte Führungskultur und digitale Diversität geprägt. Unternehmen arbeiten für Projekte verstärkt mit global verteilten Talenten zusammen, anstatt langfristige Arbeitsverträge einzugehen. Wie bei der Online-Partnervermittlung wird ein massgeblicher Teil der Suche nach diesen Talenten an Computer delegiert.

Der Mensch wird zum Wirtschaftsfaktor degradiert.
Die Wirtschaft versucht noch effizienter zu werden. Innovative Geschäftsmodelle gefährden ganze Branchen – Facebook bedrängt die Zeitungen, Uber die Taxibranche, Airbnb die Hotellerie, Google und Facebook die Banken. Arbeit wird nach messbaren Kriterien vergeben. Angestellt und gefördert wird, wer den grössten Beitrag zur Wertschöpfung liefert und am besten vernetzt ist. Eine weitere Steigerung der Effizienz bringt aber die Gefahr der Übereffizienz mit sich.

Was verstehen Sie darunter?
Wenn die messbare Leistung eines Mitarbeiters das einzige Kriterium bei der Verteilung der Arbeit ist, gefährdet dies das soziale Leben, den Zusammenhalt, die informellen Netzwerke und die Vielfalt in den Unternehmen. Was für die Firmen gilt, trifft auch auf die ganze Gesellschaft zu. Ökonomisierung und Übereffizienz bergen sozialen Sprengstoff. Wir sind dann zwar hypereffizient, aber es herrscht ein starker Wettbewerb, in dem wir zu Maschinen werden, die sehr ähnlich funktionieren. Und es wird nicht mehr für alle Arbeit geben.

Sie entwerfen im Buch sogar das Szenario, dass die Offliner zu Cyberterroristen werden und die Infrastruktur der Digitalisierungstreiber lahmlegen.
Wenn es den Digitalisierungstreibern nicht gelingt, die Gegner und Skeptiker einzubinden, droht ein globales Chaos. Diese Gefahr verstärkt sich, wenn die Ressourcen knapp werden, die für das Weitertreiben der Digitalisierung, also für Infrastruktur, Server und Hardware benötigt werden. Die Schlüsselfrage ist, wie die Digitalisierung in den nächsten Jahren vorangetrieben wird. Ob wir alle am Design unserer Zukunft mitwirken oder ob einige Digitalisierungstreiber alleine die Spielregeln und die Zukunft bestimmen. Deswegen ist es wichtig, dass sich die verschiedenen Offliner mit ihren unterschiedlichen Motiven stärker zusammenschliessen und via Politik, aber auch mit unternehmerischen Initiativen auf die digitale Zukunft einwirken.


9. Mai 2015