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«Es war, als hätte jemand das Drehbuch für mich geschrieben»

Ein Zuckerschlecken war seine Kindheit nicht, doch die 30 Kilometer, die Markus Ryffel täglich als Velokurier für die elterliche Metzgerei zurücklegte, schufen eine ideale Basis für spätere Medaillen im Laufsport. Auch als Unternehmer war Ryffel sehr erfolgreich. Nun, nach dem Verkauf seiner Sportgeschäfte an die Migros, beginnt für den 60-Jährigen nochmals eine neuer Lebensabschnitt.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.markusryffels.ch


Sie haben Mitte August nach 31 Jahren Ihr Sportgeschäft in Bern geschlossen. Ende August haben Sie in der neu eröffneten Berner SportXX-Filiale Kunden beraten. Wie schwer ist Ihnen der Wechsel gefallen?
MARKUS RYFFEL: Ich bin seit 1972 in Bern, seit 1984 mit einem eigenen Geschäft an der Münstergasse. Da war es eine ganz interessante Erfahrung, den Zytglogge-Turm mal von einer anderen Seite zu sehen. Er ist auch von der Marktgasse aus sehr attraktiv – ein Aha-Erlebnis für mich.

Als Migros im Februar dieses Jahres entschied, die Läden nicht weiterzuführen, war Ihnen nicht nach Scherzen zumute. Da sprachen Sie von einem Schock.
Als mein Bruder und ich vor gut vier Jahren die Mehrheit der Aktien der Sportgeschäfte an Migros verkauften, dachten wir tatsächlich, unsere beiden Filialen würden weitergeführt. So durchliefen wir seit der Ankündigung der Schliessung im Februar einen schmerzhaften Loslösungsprozess. Das Abschlussfest an der Münstergasse und die drei Tage Eröffnungsfeier an der Marktgasse unter dem Migros-Dach haben mir den Abschied erleichtert. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass die Migros unser Beratungskonzept weiterführt. Sie hat viel Zeit und Geld investiert, um das zu ermöglichen. So wird Ryffel Running durch unsere langjährigen Mitarbeiter weiterleben.

Was heisst das konkret?
Bis Ende Jahr wird Migros 20 Geschäfte unter den Namen Ryffel Running by SportXX betreiben. Sämtliche Mitarbeiter wurden von uns ausgebildet – sie entwickelten sich von Verkäufern zu kompetenten Beratern und entdeckten ihren Beruf teilweise neu. Und haben Sie das topmoderne Fussanalysegerät gesehen, das nun in jeder Filiale zum Einsatz kommt? Wir hatten schon länger etwas Ähnliches in der Schublade, konnten uns die High-Tech-Lösung aber nicht leisten. So stellten wir die Kunden auf eine Plexiglasscheibe mit Spiegel darunter, um Fussdeformitäten zu erkennen und den passenden Schuh auszuwählen. Migros hat hier einen Quantensprung ermöglicht, der für kleine Player nicht zu bewältigen wäre. Die Digitalisierung wird auch die Sportartikelindustrie umkrempeln.

Welches werden die nächsten Schritte sein?
Schon heute ist die Laufschuhindustrie nach der Formel 1 die am besten erforschte Branche. Ich bin überzeugt, dass Laufschuhe in wenigen Jahren direkt aus dem 3D-Drucker kommen. So können alle Vorlieben und Fussdeformitäten des Kunden individuell berücksichtigt werden. Das wird aber nichts daran ändern, dass die Ausrüstung nie für mehr als 49 Prozent des Lauferfolgs verantwortlich sein wird. Die Hardware ist wichtig, aber noch wichtiger ist die Software, sprich Laufstil, Trainingsart und körperliche Verfassung des Läufers. Deswegen haben wir stets jeden Kunden darauf hingewiesen, dass der beste Schuh keine Freude macht, wenn die Hausaufgaben wie Kräftigung, Stretchen, Beweglichkeit etc. nicht gemacht werden. Ein Drittel der Trainingszeit sollte diesen Aspekten gewidmet werden.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag künftig aus? Bedeutet der komplette Verkauf an die Migros, dass Sie nun frühpensioniert sind?
Nein, ums Himmels willen, das wäre die Höchststrafe für mich. Ich werde weiterhin regelmässig in den Ryffel-Running-Läden beraten und ansonsten endlich wieder mehr Zeit für unsere Events und die Feldarbeit, sprich: Coaching und Aktivferien haben. Die Veranstaltung des Frauenlaufs, des Greifenseelaufs und des Survial Runs in Thun, den wir dieses Jahr zum dritten Mal durchführten, nimmt viel Zeit in Anspruch. Und ich freue mich sehr darauf, selber wieder mehr Zeit fürs eigene Training und die Lauftrainings mit Kunden zu haben. Dieses Jahr reise ich mit rund 200 Hobbyläufern an den New-York-Marathon, bereits zum 32. Mal übrigens. Und wenn alles gut geht, werde ich nächstes Jahr meinen 200’000. Laufkilometer unter die Füsse nehmen. Das ist ein grosses Privileg – und ich möchte darüber hinaus meine Laufbegeisterung mit möglichst vielen teilen. Wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung sich zu wenig bewegt und dieser Bewegungsmangel jährlich zu 3000 vorzeitigen Todesfällen führt, bleibt viel zu tun.

Das klingt, als würden Sie bald Anspruch auf Subventionen durch Krankenkassen oder Gesundheitsförderung anmelden.
Nein, so war das nicht gemeint, aber wir dürfen nicht vergessen, dass noch vor 50 Jahren 95 Prozent des Bruttoinlandprodukts mit körperlichen Tätigkeiten erwirtschaftet wurden, heute sind es vielleicht noch 2 Prozent. Das bedeutet, dass wir uns die körperliche Aktivität organisieren müssen. In Deutschland leiden 8 Millionen Menschen an Diabetes Typ 2, also der Unfähigkeit, Blutzucker in Energie umzuwandeln. In der Schweiz sind über 500’000 davon betroffen. Regelmässige körperliche Aktivität ist der wirkungsvollste Schutz vor einer Erkrankung. Wenn die Gesundheitskosten weiterhin so rasant ansteigen, steigt der Druck auf strukturelle statt individuelle Prävention, etwa die Besteuerung von Zucker und Fett oder Steuerabzüge für sportlich aktive Menschen. Ich hoffe, dass vorher ein Umdenken stattfindet.

Für Sie selber war Bewegungsmangel kein Thema. Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Erfolge als Läufer dem Umstand verdanken, dass Sie in einer Metzgerei gross geworden sind und als Velokurier viele Kilometer abspulten?
Das war ein ganz wichtiger Faktor, ja. Drei Mal pro Woche besuchte ich mit dem Velo die Kunden, um Bestellungen aufzunehmen – Telefonieren war damals zu teuer. Am nächsten Tag lieferte ich vor und nach der Schule mit dem Velo die Bratwürste und Koteletts ab, was dazu führte, dass ich während meiner Schulzeit täglich 25 bis 30 Kilometer radelte. Somit brachte ich quasi afrikanische Konditionsgrundlagen mit. Denn ein wesentlicher Unterschied zwischen einem 18-jährigen Berner und einem 18-jährigen Kenianer ist, dass der erste rund 2000, der zweite rund 6000 Ausdauerstunden absolviert hat. Das ist später nicht mehr aufzuholen.

Dennoch erstaunt es, dass Ihr Junioren-Schweizer-Rekord über 5000 Meter von 1973 (14:03 Minuten) bis vor wenigen Wochen Bestand hatte, der Schweizer Rekord, den Sie 1984 an den Olympischen Spielen liefen, noch immer unangetastet ist.
Gute Grundlagen und Trainingsfleiss allein reichen nicht, es braucht auch Glück im Leben. Als ich die 13:07,54 in Los Angeles lief und die Silbermedaille holte, da war es, als hätte jemand das Drehbuch speziell für mich geschrieben. Vorne drückten zwei Portugiesen aufs Tempo, so dass die drei Kenianer im Feld ihre zermürbenden Tempowechsel nicht durchführen konnten. Das Rennen war 20 Sekunden schneller als vier Jahre vorher, als ich ähnlich gut in Form war, aber nur Fünfter wurde. So musste ich mich am Ende nur dem Marokkaner Said Aouita geschlagen geben. Mit den Rekorden ist es eine zwiespältige Sache: Ich freue mich, dass die Marke so lange Bestand hält. Aber ich wünsche mir gleichzeitig, dass die Schweiz wieder starke Mittelstreckler hervorbringt, die für eine Laufbegeisterung beim Nachwuchs sorgen.

Wie wichtig ist Laufen heute noch in Ihrem Leben?
Laufen bleibt mein Lebenselixier und der beste Start in den Tag. Wenn ich in den frühen Morgenstunden der grünen Aare entlang laufe, dann ist das mein ganz persönlicher Gottesdienst in der Natur. Ich strukturiere meinen Tag, entspanne mich, fühle mich lebendig und dankbar. Und manchmal erinnere ich mich dann an die früheren Zeiten, drehe die Uhr für ein paar Minuten zurück und schalte einen Gang höher, um nochmal einmal zu erleben, das das Laufen die einfachste und schönste Tanzform ist.


5. September 2015