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Wie ein Schulabbrecher zum EU-Botschafter für Jugend wurde

Ein Schulabbrecher, der in sieben Jahren 40 Jobs ausprobiert, später Karriere macht und schliesslich Unternehmer wird: Ali Mahlodji hat in 32 Jahren schon eine Menge erlebt. Sein Unternehmen gewinnt im Wochentakt Auszeichnungen, er selber wurde gerade zum EU-Botschafter für Jugend ernannt. Die Plattform Whatchado.com, auf der Berufsleute aus ihrem Alltag erzählen, begeistert Arbeitnehmer ebenso wie Arbeitgeber. Die einen können sich Kurzvideos über mögliche Traumjobs anschauen, die anderen als Arbeitgeber der Wahl präsentieren.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: zvg




Das Portal Whatchado:

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Herr Mahlodji, sind Schulversager die besseren Unternehmer?
ALI MAHLODJI: (Lacht) Da könnte was dran sein. Für Querdenker ist die Schule nicht der ideale Nährboden. Bei den meisten Lehrern läuft es darauf hinaus, vorgegebene Lösungen auswendig zu lernen und bei den Prüfungen korrekt wiederzugeben. Wie man selber neue Lösungen findet, sagt dir niemand. Genau darauf kommt es aber an: eine Idee zu entwickeln, eine Firma aufzubauen, rasch zu reagieren, Risiken zu managen. Aber ich will nicht ungerecht sein, ich hatte auch gute Lehrer. Einer bot uns sofort das Du an, sagte, er sei einer von uns, nur ein bisschen älter, aber das habe er sich nicht ausgesucht. Und er sagte, wir hätten alle das Recht, aufzustehen und rauszugehen, wenn er uns langweile. Für diesen Lehrer wären wir durchs Feuer gegangen.

Trotzdem haben Sie ein halbes Jahr vor der Matura die Schule hingeschmissen. Waren die Noten so schlecht?
Nein, ich war Klassenbester. Aber ich quälte mich jeden Tag durch dieses Bildungssystem und eines Tages war mir klar: Ich will diesen Abschluss nicht. Natürlich hatte das etwas Rebellisches. Aber schauen Sie, wir haben nur ein Leben, es ist an uns, es auszukosten und das Beste daraus zu machen. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet mir zwar vor, dass ich 90 Jahre alt werde, aber ich kann schon morgen auf dem Weg zur Arbeit von einem Ziegelstein erschlagen werden. Also sollte man sich nicht mit Unnützem beschäftigen, sondern seinen Traum leben. Dazu gehört Mut. Ich habe dieses Jahr schon 20 Länder bereist, obwohl ich panische Flugangst habe. Die Neugier ist zum Glück grösser als die Angst.

Laut ihrem Lebenslauf haben Sie nach dem Schulabbruch in sieben Jahren 40 Jobs ausprobiert.
Ich war schon als Kind extrem neugierig und fragte jeden Erwachsenen, was er für einen Beruf hat, was er daran mag, was ihn stört. Einer empfahl mir, möglichst viel auszuprobieren. Als ich später bei der Berufsberatung diese furchtbaren Tests ausfüllte, erinnerte ich mich an seinen Rat und begann zu jobben. Ich arbeitete als Maurer auf Baustellen, putzte im Supermarkt die Böden, riss Kinokarten ab, zählte Autos im Verkehr, war für McDonald’s und den Flüchtlingsdienst tätig, als Partyfotograf, Website-Designer und Lehrer… das Allerschlimmste war die Arbeit bei einem Energie-Unternehmen. Da nahm ich im Call Center die Beschwerden entgegen, war also der Sündenbock und Blitzableiter für alle frustrierten Kunden.

Und dann machten Sie plötzlich Karriere?
Ich hatte abends berufsbegleitend eine Ausbildung in Software-Engineering absolviert und danach noch ein Fachhochschulstudium angehängt. So kam ich zu einem guten Job bei Siemens als SAP-Berater. Später warb mich Sun Microsystems ab und machte mich zum Key Account Manager. Ich verdiente plötzlich verdammt viel Geld, hatte ein tolles Auto auf Firmenkosten, erhielt Optionen. Das war alles ganz nett, aber ehrlich gesagt war ich auch ein ziemlicher Kotzbrocken geworden, statusgetrieben und geldfixiert. Das war irgendwie nachvollziehbar, denn als meine Eltern vor dem persischen Regime aus dem Iran flüchten mussten, war ich gerade mal einjährig. Ich wuchs später im Flüchtlingsheim auf. Nachdem ich die Matura geschmissen hatte, sagten alle: «Ohne Abschluss hast du keine Chance.» Da waren der hohe Lohn und der fette Audi natürlich gute Argumente, um allen zu zeigen: «Ich habs geschafft.»

Warum sind Sie ausgestiegen aus der Konzernwelt?
Ich brauchte vier Wochen Ferien in Thailand, um zur Besinnung zu kommen. Mir wurde klar, dass ich nicht die Schule geschmissen hatte, um 60 Stunden pro Woche mit frustrierten, gestressten und geldgetriebenen Menschen zu verbringen. Ich las in dieser Zeit einen Artikel über eine Frau, die Sterbende begleitet. Da überlegte ich mir: Was sollen meine Freunde einmal über mich sagen? «Er hat den Umsatz der Firma X um 20 Prozent erhöht»? Oder eher: «Er hat etwas Neues geschaffen und war ein guter Mensch»? Kurz und gut, ich kehrte mit Irokesenfrisur und vier Tattoos aus den Ferien zurück, beendete die Konzernkarriere und machte mich als IT-Berater selbständig.

Wie kamen Sie auf die Idee, das Unternehmen Whatchado zu gründen?
Als Kind dachte ich, es müsste eigentlich möglich sein, mit jedem Menschen zu reden, bevor man einen Beruf ergreift. Ich wünschte mir so etwas wie ein Freundebuch für Erwachsene, in dem alle ehrlich ein paar Fragen zu ihrem Beruf beantworten. Nach Abschluss meiner Konzernkarriere erinnerte ich mich an die Idee und dachte: Ich könnte ein digitales Freundebuch programmieren. Dann erhielt ich zum Geburtstag eine Videokamera geschenkt. Ich begann sofort, Freunde vor laufender Kamera über ihren Beruf auszufragen. Zu einem Jugendfreund sagte ich: Lass uns eine Inspirationsplattform für Berufsleute ins Leben rufen, ein Wikipedia der Lebensläufe. Er war dabei und wir gründeten mit fünf Kollegen einen Verein und nahmen uns vor, jeden Tag eine Jobstory zu filmen. Bevor wir richtig losgelegt hatten, gewannen wir erste Preise, etwa den globalen «Social Impact Award» für das beste Konzept. Wir kauften uns von den 4000 Euro sofort weitere Kameras.

Das lief alles noch ehrenamtlich?
Ja, wir hatten alle noch unsere Jobs. Dann wurde es ein Selbstläufer. Der ORF, unser staatlicher Fernsehsender, rief an und fragte, wann wir online gehen und ob sie in unseren Büros einen Beitrag für die Spätnachrichten drehen dürften. Wir hatten weder eine Homepage noch Büros, machten uns aber in einer Nacht- und Nebelaktion an die Arbeit. Als dann unsere Vision in einem 2,5-minütigen Beitrag vorgestellt wurde, meldeten sich am nächsten Tag so ziemlich alle Bildungseinrichtungen des Landes. Dazu sehr viele Unternehmen, die wünschten, dass wir ihre Angestellten befragen. Wir sagten: «OK, aber nur wenn wir die Fragen stellen, wir schalten keine Werbevideos auf.» Zudem hätten wir nur am Wochenende Zeit. Erst allmählich realisierten wir, dass die Unternehmen bereit waren, dafür zu bezahlen, und dass das unser Geschäftsmodell war. Heute ist die Hälfte der rund 1600 abgedrehten Filme von Unternehmen bezahlt, den Rest finanzieren wir selber.

Im Januar 2012 gründeten Sie die Firma und stellten sechs Mitarbeiter an. Hatten Sie schlaflose Nächte?
Ich hatte schon Respekt vor diesem Schritt – und es war nicht gerade hilfreich, dass meine Mutter eine Woche lang fast nur geweint hat aus Panik. Ich sagte mir: «Es gibt Situationen im Leben, wo du genau einen Schuss hast: und der muss sitzen.» Die Chance, aus einem Kindheitstraum ein Unternehmen zu machen, käme wohl nie wieder. Also stellte ich Mitarbeiter ein und sagte ihnen, es sei ein Himmelfahrtskommando und ich könne nichts garantieren, ausser dass ich alles geben werde, um die Geschichte zu einem Erfolg zu machen. Heute sind wir 25 Angestellte und gehören zu den besten 50 Jungunternehmen Europas. Ich glaube, es hat sich gelohnt.

Und worin besteht der Nutzen von Whatchado genau?
Wenn jemand, der seinen Job nicht mag, in die Stellenvermittlung geht, sucht der Vermittler einen neuen Job zu den bekannten Qualifikationen. Bei Whatchado kann er online in fünf Minuten einen Fragebogen ausfüllen und erhält dann Videos von Berufsleuten angezeigt, welche die gleichen Interessen und Talente haben. Er erfährt, wo sie arbeiten, was sie am Job mögen, was nicht, wie man zu so einem Job kommt. Für die Unternehmen ist das eine sehr sympathische Art, ihre Visitenkarte abzugeben. Unternehmenskommunikation wirkt rasch unglaubwürdig, weil alles geschönt und geglättet ist. Wenn aber einzelne Akteure sich persönlich äussern, ergibt das ein gutes Bild. Weil Employer Branding für Unternehmen immer wichtiger wird, zahlen sie uns Geld für die Videoporträts – und wir konnten den Umsatz im ersten Jahr schon verdoppeln.

Sie haben den Österreichischen Staatspreis für Bildung und Wissen gewonnen und sind zum EU-Botschafter für Jugend auf Lebenszeit ernannt worden. Macht Sie das stolz?
Ja, die Ernennung zum Jugendbotschafter ist die coolste Ehrung, die ich mir für einen Schulabbrecher vorstellen kann. Vor vier Wochen konnten wir Whatchado in New York vor 10 Uno-Mitarbeitern vorstellen. Der Uno-Kommunikationsleiter möchte die Plattform nutzen, um das Profil der Uno als Arbeitgeberin zu schärfen. Stellen Sie sich vor: Ein Jugendlicher in der Schweiz fragt sich, was er machen will im Leben. Er gibt seine Interessen ein bei uns und lernt im Video-Interview jemanden in Japan kennen, der genau seinen Traumjob macht. Oder ein 45-Jähriger findet bei uns Alternativen dazu, noch 20 Jahre in seiner langweiligen Stelle auszuharren. Darum geht es uns: Menschen neue Möglichkeiten und Perspektiven zu zeigen.

Und jetzt, wo sie im Wochenrhythmus Preise gewinnen, denken Sie wieder, Sie hättens geschafft?
Nein, das passiert mir nie mehr. Meine Eltern waren Manager, hatten zwei Häuser und tolle Autos. Dann gingen sie einmal für eine Demonstration auf die Strasse – und kamen sofort auf die Todesliste des persischen Regimes, so dass nur noch die Flucht blieb. Ich besuche einmal im Jahr das Flüchtlingsheim, in dem ich danach lebte. Es wäre vermessen zu sagen: «Mir kann nichts passieren.» Es ist alles nur geborgt, das gilt auch für den Erfolg. Man gewinnt leicht einen Sprint, aber Unternehmertum ist ein Marathon. Meine Freundin hilft mir, nicht abzuheben. Wenn ich nach Hause komme und euphorisch über die neusten Besucherzahlen oder Preise erzähle, sagt sie: «Schön, aber lass uns jetzt essen.»

Sie haben monatlich gegen 120'000 Besucher auf Ihrer Plattform und fassen gerade in Deutschland und der Schweiz Fuss. Welche Ziele haben Sie mit dem Unternehmen?
Die schönsten Dinge im Leben kann man nicht planen. Aber es ist erlaubt und hilfreich, gross zu denken. Ich möchte, dass unsere Plattform weltweit funktioniert und Menschen verbindet. Persönlich würde ich gerne auf jedem Kontinent einmal arbeiten und leben. Und ich würde mich gerne mit 62 Jahren so jung fühlen wie meine Mutter, die jetzt gerade wieder eine neue Sprache lernt und spät noch den Führerschein gemacht hat.


5. Oktober 2013