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«Im Kampf gegen Alzheimer ist kein Einsatz hoch genug»

Wenn sich Andrea Pfeifer etwas in den Kopf gesetzt hat, erreicht sie es meistens. Mit 17 Jahren hatte sie das Abitur in der Tasche, später wurde sie Forschungschefin von Nestlé. Seit acht Jahren arbeitet sie als Chefin der Lausanner Firma AC Immune daran, ein wirksames Medikament gegen Alzheimer auf den Markt zu bringen. Die Chancen stehen gut.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.acimmune.com oder eva.schier@acimmune.com

 

Frau Pfeifer, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfuhren, dass Gunther Sachs sich aus Verzweiflung über die Alzheimerkrankheit erschossen hat?
ANDREA PFEIFER:
Es war ein Schock für mich. Ich dachte sofort: «Warum konnte ich nicht mit ihm sprechen?» Aus der Ferne klingt es so, als hätte er selber die Diagnose gestellt und sich dann aus Angst das Leben genommen. Ich hätte ihn gerne ermutigt, eine professionelle Diagnose machen zu lassen und dann vielleicht an einem der klinischen Versuche teilzunehmen. In einigen Jahren werden erste Medikamente auf dem Markt sein, die den Krankheitsverlauf verzögern oder gar stoppen – da kann man doch nicht einfach aufgeben. Ich habe Respekt vor der mutigen Entscheidung, die Herr Sachs getroffen hat, aber nachvollziehen kann ich das nicht. Man muss doch kämpfen und alles versuchen.

Sie selber haben im Alter von 17 Jahren erfahren, dass Ihr Vater an Krebs erkrankt ist. Was ging da in Ihnen vor?
Ich hatte gerade das Abitur gemacht und wurde erstmals mit einer existenziellen Unsicherheit konfrontiert. Mein Vater war immer ein grosser Kämpfer gewesen, aber der Krebs hatte ihn so erschöpft, dass er nicht mehr die Kraft hatte, alles Menschenmögliche zu versuchen. Deshalb kämpfte ich für das Leben meines todkranken Vaters. Ich suchte die besten Ärzte in den besten Zentren der Welt – und gemeinsam gelang es uns, die Krankheit zu besiegen.

Man siegt über den Krebs oder verliert den Kampf gegen ihn? Wollen Sie sagen, das liege in der Macht jedes Einzelnen?
Nein, nicht immer. Es gibt Hunderte von Krebsarten. Bei manchen Erkrankungen ist man chancenlos. Aber oft lohnt es sich, zu kämpfen. Mein Vater gewann 15 Jahre zusätzliches Leben. Für mich war diese Erfahrung prägend. Ich hatte von da an das Gefühl: Mein Leben hat dann einen Sinn, wenn ich mithelfen kann, chronische Krankheiten zu heilen. Das ist meine Möglichkeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Seit acht Jahren sind Sie Chefin des Lausanner Unternehmens AC Immune, das Medikamente gegen Alzheimer entwickelt. Nebenbei haben Sie auch noch eine Professur an der Universität Lausanne inne. Wie bewältigen Sie diese Doppelbelastung?
Ich habe eine gute Erziehung genossen und ich verfüge über eine robuste Konstitution – das ist nicht nur ein Privileg, sondern eine Verpflichtung. Ich sehe täglich, wie gross die Aufgabe ist, die wir noch zu bewältigen haben. Wenn man eine Chance hat, das schreckliche Leid, das Alzheimer-Patienten und ihr Umfeld erleben, zu lindern, ist eigentlich kein Einsatz hoch genug. Aus diesem Grund bin ich meistens um 7 Uhr als Erste im Büro und gehe ich nach 20 Uhr als Letzte nach Hause. Nach dem Nachtessen studiere ich dann noch die wissenschaftliche Literatur. Dazu muss ich mich nicht zwingen, das ist sozusagen mein Privatvergnügen. Wenn man sich in einem so kompetitiven Markt bewegt, muss man jeden Deal und jede neue Studie kennen, sonst büsst man sofort Terrain ein.

Haben Sie keine Angst, sich zu übernehmen und eines Tages tot zusammenzubrechen, weil Sie die Entspannung vernachlässigen?
Nein, davor habe ich keine Angst. Ich muss mich nicht zur Arbeit zwingen, das ist ein elementares Bedürfnis für mich, eine Herausforderung, die ich liebe. Ich kenne keinen erfolgreichen Chef, der bloss von 9 bis 17 Uhr arbeitet. Wenn ich mal abschalten will, koche ich gerne, gehe schwimmen, spiele mit meiner Katze oder spiele Karten mit meiner 92-jährigen Mutter. Sie spielt ziemlich stark, und ich kann mich furchtbar ärgern, wenn sie gewinnt.

Zumindest beruflich feiern Sie seit Jahren nur Erfolge. Diese Woche wurde bekannt, dass Sie vom US-Pharmaunternehmen Genentech eine zweite Meilensteinzahlung erhalten haben, weil der Antikörper, den AC Immune entwickelt hat, erstmals in der klinischen Phase II an einem Patienten getestet wurde. Wie lange wird es noch dauern, bis er auf den Markt kommt?
Noch mehrere Jahre. In Phase 1 hat sich gezeigt, dass das von uns entwickelte und an Genentech auslizenzierte Antikörper-Molekül sicherer ist und höhere Dosierungen erlaubt als andere Produkte der Konkurrenz. Wenn die Sicherheit so hoch bleibt und sich ausreichende Effizienz zeigt, könnte dies das beste Produkt auf dem Markt werden – das darf ich in aller Bescheidenheit so sagen. Und dann gibt es ja noch die beiden hauseigenen Produkte. Es ist verrückt, was in den letzten Jahren acht hier passiert ist. Wenn wir diesen Speed beibehalten können und trotzdem die Flexibilität, Qualität und den unternehmerischen Geist nicht verlieren, dann kann AC Immune etwas Grosses erreichen. Schon heute ist Alzheimer weltweit die Krankheit Nummer 3. Jeder Zehnte 65-Jährige erkrankt daran, unter den 85-Jährigen ist es jeder Zweite.

Problematisch ist, dass die klinische Diagnose oft erst im fortgeschrittenen Krankheitsstadium erfolgt. Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass sich ältere Menschen präventiv untersuchen lassen?
Ja, unbedingt, in Frankreich geschieht das gerade. Da werden Zehntausende ältere Menschen, die keine Auffälligkeit zeigen, untersucht. So können Risikogruppen identifiziert und früh Massnahmen getroffen werden. Unser eigenes Medikament, das in einem frühen Stadium verabreicht werden kann, steht derzeit in Phase II der klinischen Entwicklung. Es könnte in vier bis fünf Jahren Marktreife erlangen. Dann wäre es möglich, die Krankheit Alzheimer zu stoppen, bevor sie richtig ausbricht – sofern sich Institutionen finden, die solche nationale Programme wie in Frankreich lancieren. Aus psychologischer Sicht könnte es sogar einfacher sein, ältere Menschen ohne Symptome zur präventiven Untersuchung zu motivieren. Wenn sich erste Symptome zeigen, wehren sich viele Betroffene gegen eine Untersuchung.

Was für die Betroffenen eine Katastrophe ist, bedeutet für Sie ein immenses Marktpotenzial.
Sie dürfen mir glauben, dass Profitstreben nicht mein wichtigster Antreiber ist. Wir haben mit Genentech eine Lizenzvereinbarung über 300 Millionen Dollar unterzeichnet und von privaten Investoren 64 Millionen Franken eingenommen – an Geld mangelt es uns nicht. Aber wer erlebt hat, wie grausam es ist, wenn ein Mensch, der einem sehr nahe war, plötzlich wegbricht und nicht mehr erreichbar ist, der versteht, welch wichtige Aufgabe es ist, Alzheimer früh zu erkennen und Medikamente zu entwickeln, welche die Krankheit stoppen oder eventuell sogar rückgängig machen können. Ich und mein 50-köpfiges Team sind entschlossen, den Kampf gegen Alzheimer mit dem grösstmöglichen Einsatz zu führen.


12. Mai 2011