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Wenn sich der Palace-Direktor in Gstaad wie der Hüttenwart in einer Jugendherberge fühlt

Andrea Scherz, Direktor und Mehrheitsaktionär des glamourösen Hotel Palace in Gstaad, empfängt die Schönen und Reichen aus aller Welt bei sich. Im Vergleich mit den Betreibern anderer Luxustempel ist er aber ein armer Schlucker. Während diese Milliardäre oder potente Finanzinvestoren im Rücken haben, muss Scherz die Investitionen aus dem Betrieb erwirtschaften. Ein Gespräch über unmoralische Kundenanfragen, schwindelerregende Kaufangebote und den Respekt vor der Familientradition.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.palace.ch oder pr@palace.ch


Herr Scherz, wie lief das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft im Palace? Sind die Kunden in Konsumlaune?
Wir sind für diese zwei Wochen immer schon ein Jahr vorher ausgebucht. Die Einnahmen aus Konsumation, Wellness und Dienstleistungen lagen diesmal rund vier Prozent über dem Vorjahr. Es geht nach vier schwierigen Jahren also wieder aufwärts. Salopp formuliert: Die Gäste trinken wieder vermehrt Champagner – einstweilen aber noch eher die Flasche für 280 Franken als jene für 700 Franken. Man gönnt sich also wieder was, aber ich sehe noch keine Anzeichen von Euphorie.

Was zahlt der Gast im Durchschnitt für die knapp zwei Wochen über den Jahreswechsel im Palace?
Über den Daumen gepeilt: 1000 Franken für Zimmer und Halbpension pro Tag und nochmal so viel an individuellen Ausgaben. Also beim Mindestaufenthalt von zwölf Tagen rund 25000 Franken. Bei manchen ist es doppelt oder drei Mal so viel. Das ist dann das gleiche Budget, wie wenn unsereiner zwei Wochen Urlaub macht – einfach mit einer Null mehr dahinter.

Sie machen traditionell im Januar Ferien. Wie luxuriös leben Luxushoteliers im eigenen Urlaub?
Ich war in Marrakesch Gast des Hotels Royal Mansour, das im Besitz des marokkanischen Königshauses ist. (Er sucht in seinem Smartphones nach Fotos) Schauen Sie, das war meine 420-Quadratmeter-Suite. Das Mosaik am Kamin ist handverlegt, die Seidenvorhänge und der gemusterte Parkettboden kosten ebenfalls ein Vermögen. Wenn ich nach einem solchen Aufenthalt zurück ins Palace komme und in unserer 100-Quadratmeter-Suite stehe, fühle ich mich wie der Hüttenwart in einer Jugendherberge.

Da reicht auch ein Spaziergang zum Alpina in Ihrer Nachbarschaft.
Ja, das stimmt. Die haben TV-Geräte à 25 000 Franken pro Stück in ihren Zimmern. Wenn ich so einkaufen würde, wären wir leider bald konkurs.

Das muss frustrierend sein. Rundherum entstehen neue Luxustempel, finanziert von Milliardären, die nicht auf Rentabilität achten müssen. Sie dagegen müssen die Investitionen aus den Erträgen finanzieren.
Ja, das macht einem das Leben nicht leicht. Es ist als würde ich barfuss zu einem Marathon antreten, während die Gegner in schön gedämpften Turnschuhen losrennen. Die letzten vier Jahre waren hart. Wir haben zwar immer schwarze Zahlen geschrieben, aber die Gewinnmarge hat sich in dieser Zeit halbiert. Da hat man als Inhaber schon ein paar schlaflose Nächte und fragt sich, woher man das Geld nehmen soll für die Investitionen. Andererseits hat es Vorteile, wenn man knapp bei Kasse ist. Man wägt besser ab und macht nicht jeden Trend mit.

Sie haben ihr Hotel auch schon als Geldverbrennungsmaschine bezeichnet. Ist es so schlimm?
Mein Vater hat mir die Begeisterung für dieses Metier weitergegeben, aber er hat mir verschwiegen, dass es ein Fass ohne Boden ist. (Lacht) In einem gut 100-jährigen Haus muss immer etwas ersetzt werden. Letztes Jahr hatten wir ein Problem mit der Kühlanlage. Ich dachte, das koste ein paar tausend Franken. Schliesslich mussten wir wegen verschärfter Vorschriften die komplette Anlage ersetzen – Kostenpunkt: 450 000 Franken. Jedes Jahr erneuern wir fünf bis zehn Zimmer für 100 000 bis 180 000 Franken pro Zimmer. Manche Kunden beklagen sich, wenn wir ihnen ein Zimmer anbieten, an dem drei Jahre nichts gemacht wurde.

Wird die Kundschaft immer anspruchsvoller?
Das Erwartungsniveau ist sehr hoch, ja. Wir sind in einem internationalen Wettbewerb und haben durch den starken Franken, die hohen Löhne und Einkaufspreise und die vielen administrativen Auflagen Wettbewerbsnachteile. Weil der Kunde König ist, erfüllen wir praktisch alle Wünsche. Wenn ein Gast aus dem Mittleren Osten darauf besteht, seine vergoldeten Möbel in die Penthouse-Suite mitzubringen, dann räumen wir unser Mobiliar halt weg.

Ist das nicht manchmal mühsam - gerade mit neureichen Gästen, die ihre Macht zelebrieren?
Doch, wenn Geld mit Arroganz und Ignoranz gepaart ist, wird es gelegentlich anstrengend. Wir machen nicht alles mit. Kürzlich wollte ein Gast unbedingt die Penthouse-Suite haben, obwohl diese schon vergeben war. Er forderte uns auf, dem Bewohner 100 000 Dollar anzubieten für den Fall, dass er sie räume. Das Spiel haben wir natürlich nicht mitgemacht.

Auch Ihnen wird regelmässig viel Geld geboten – für den Verkauf des Hotels. Vor drei Jahren soll ein Interessent aus dem Nahen Osten mehrere hundert Millionen Franken offeriert haben. Wollen Sie partout nicht reich werden?
Wir sitzen dann immer en famille zusammen, diskutieren und entscheiden uns dagegen. In diesem Fall war ich schon erstaunt, wie viel Geld da jemand zahlen wollte. Ich trank mit meinem Vater einen guten Wein und sagte scherzeshalber zu ihm: «Wenn wir zwei ein wenig intelligenter wären, hätten wir längst verkauft und könnten noch viel besseren Wein trinken jetzt.» Wir wissen aber beide, dass wir nicht glücklicher wären. Wenn man Unmengen an Geld hat, aber keine Aufgabe, dann ist man rasch unzufrieden und gelangweilt. Das hier ist meine Lebensaufgabe, und ich könnte schon aus Respekt vor meinen Vorfahren nie verkaufen, solange wir wirtschaftlich eine Perspektive haben. Das wäre Verrat – etwa so, als würde ich eine Schwester verkaufen.

Hegen Sie keine Wünsche, die Sie sich mit dem Geld erfüllen könnten?
Doch, ich träume seit langem von eigenen vier Wänden, von einem Chalet hier in Gstaad. Da fehlen mir ein paar Millionen dazu – und meine Aussichten werden nicht besser. So leben wir halt weiter in der hoteleigenen Direktionswohnung mit 180 Quadratmetern. Das ist ja vergleichsweise luxuriös. Mein Grossvater, der in den 1940er-Jahren mit Hilfe von Freunden und Gästen die Palace-Aktien übernahm, musste extrem sparsam leben. Kürzlich fand ich sein Kassenbüechli, in dem jede Tasse Kaffee und jedes Brötchen verzeichnet waren, die er sich auf dem Weg zur Grossratssession in Bern gönnte. Mein Vater musste mehrmals um überlebenswichtige Kredite zittern. Einmal stellten sie ihm die Telefonleitung ab, weil er die Rechnung nicht bezahlen konnte. Verglichen mit ihnen lebe ich auf grossem Fuss. Und wenn ich meine Gäste sehe, denke ich oft: Mir geht es besser als ihnen.

Inwiefern?
Sehr wenig oder sehr viel Geld zu haben, bedeutet Stress. Ich bin froh, als Unternehmer jeden Tag hart schuften zu müssen, um das Unmögliche hier möglich zu machen. So habe ich keine Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ob die Yacht des Kollegen fünf Meter länger ist als meine oder ob ich mein Vermögen verlieren könnte.

Jimmy Carter nannte das Palace das beste Hotel der Welt. Sind Sie das noch?
Wer ist die schönste Frau der Welt? Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters – so ist es auch bei Luxushotels.
Aber die glamourösen Zeiten, als Stars aus Politik, Kultur und Unterhaltung im Palace ein- und ausgingen, sind vorbei.
Mein sparsamer Grossvater holte 1960 für 40 000 Franken Louis Armstrong ins Palace – sehr zum Ärger seiner Frau. Wenn ich heute Tina Turner verpflichten möchte, müsste ich über eine halbe Million zahlen, was nie und nimmer refinanzierbar wäre. Was die Gäste betrifft, haben wir noch immer regelmässig Stars im Haus, aber die meisten achten extrem auf Diskretion. Mindestens so wichtig ist, dass wir uns neue Märkte erschliessen, namentlich in Indien, China und Brasilien. Und erfreulicherweise nimmt auch die Zahl der Schweizer Besucher wieder zu. Wir wollen ein offenes Haus sein, wo sich von der lokalen Bevölkerung bis zum internationalen Jet-Set alle wohl fühlen.


18. Januar 2014