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«Lieber wenig verdienen und viel bewegen als umgekehrt»

Vor 10 Jahren arbeitete Andy Keel auf Direktionsstufe in einer Grossbank. Nach der Geburt seines Sohnes kündigte er den Job, wurde erst Hausmann und dann Unternehmer. Heute verdient der 37-Jährige nur noch einen Viertel des früheren Gehalts und lebt auf einem Campingplatz statt in einer Villa. An manchen Tagen sagt der Banker Keel zum Unternehmer Keel, er sei wahnsinnig.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.dade-design.com oder andy@keel.at


Herr Keel, Sie wurden mit 26 Jahren in die Direktion einer Schweizer Grossbank befördert, stiegen mit 30 Jahren aus, um Vollzeit-Hausmann zu sein, und wurden später als Vorzeige-Teilzeitmann in der ganzen Schweiz bekannt. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag heute aus?
ANDY KEEL: Ich leite ein Unternehmen mit 20 Angestellten, das Küchen und Badewannen aus Beton herstellt. Daneben betreibe ich weiterhin das Portal teilzeitkarriere.ch, auf dem alle ausgeschriebenen Teilzeitstellen der Schweiz zu finden sind. Und ich bin geschiedener Vater eines 7-jährigen Sohnes, der an 10 Tagen pro Monat bei mir lebt. Die Zeit mit meinem Sohn hat oberste Priorität.

Bereuen Sie es manchmal, die Konzernkarriere frühzeitig abgebrochen zu haben?
Der Banker in mir provoziert manchmal den Unternehmer und wirft diesem vor, er sei nicht kreditwürdig, sondern wahnsinnig. Er reibt mir dann unter die Nase, welchen Preis ich für meinen Weg bezahlt habe. Grob gesagt verdiene ich heute einen Viertel von dem, was ich in Spitzenzeiten bei der Bank bekam. Rechnet man die Alimente mit hinein, lebe ich seit fünf Jahren am Existenzminimum. Die Kollegen von damals besitzen Häuser, Autos und anderen Luxus, ich lebe in Zürich-Wollishofen auf dem Campingplatz. Möchte ich deswegen mit ihnen tauschen? Auf keinen Fall!

Warum nicht?
Ich würde gar nicht mehr funktionieren in einem Konzern. Das wurde mir kürzlich wieder bewusst, als ich ehemalige Kollegen aus Bankerzeiten auf ein Bier traf. Sie verdienen zwar 200‘000 Franken und mehr, haben aber null Gestaltungsspielraum und grosse Angst vor Entlassung und Statusverlust. Sorgen machen sie sich hauptsächlich um die interne Positionierung. Oder um Grabenkämpfe zwischen verschiedenen Abteilungen. Wenn man sich selber gerade überlegt, wie man die Löhne der Angestellten bezahlen kann, wirkt das ziemlich befremdend. Dazu kommt etwas Zweites: Mein Anspruch, als Vater im Alltag präsent zu sein, liesse sich auch heute nicht mit einer anspruchsvollen Aufgabe in einem grösseren Unternehmen vereinbaren.

Damit sagen Sie auch: Das Projekt «Der Teilzeitmann» hat wenig verändert. Obwohl es vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann mit 500‘000 Franken dotiert wurde und mit über 1000 Medienbeiträgen innerhalb von zwei Jahren grosse Resonanz hatte.
Die Bilanz fällt für mich als Initiant zwiespältig aus. Seit 2012 hat sich der Anteil Teilzeit arbeitender Männer von 11 auf 16,3 Prozent erhöht. Allein im vergangenen Jahr haben sich in der Schweiz 40‘000 Männer für Teilzeitarbeit entschieden. Teilzeitarbeit entspricht also einem weit verbreiteten Bedürfnis und ist auf dem Vormarsch. Trotzdem gelang es uns nicht, für 2015 eine Anschlussfinanzierung durch Staat oder Stiftungen zu realisieren. Das Thema ist zwar gesellschaftlich und gleichstellungspolitisch relevant, aber es ist kein «Business Case». In den meisten Unternehmen dominieren nach wie vor patriarchale Führungsstrukturen, in denen hohe Präsenzzeit belohnt und Wissen monopolisiert wird. Teilzeit wird höchstens im 80- oder 90-Prozent-Pensum ausgeschrieben – wenn ein Kandidat 100 Prozent verfügbar ist, wird er bevorzugt. Dabei gibt es in allen Berufsgruppen hervorragende Leute, die gerne 50 oder 60 Prozent arbeiten würden.

Wie sieht das bei Ihnen in der Firma Dade Design aus?
Da arbeiten alle 20 Mitarbeiter Teilzeit – was den Angestellten und dem Unternehmen zu Gute kommt. Ein weiteres wichtiges Element ist die Transparenz. Bei uns haben alle Mitarbeiter Zugriff auf alle Dokumente inklusive Lohndaten. Das verpflichtet uns dazu, nachvollziehbare, faire Entscheidungen zu treffen. Weiter schreiben wir intern keine Mails, sondern organisieren uns über WhatsApp-Gruppen und ein Pendenzensystem. Und schliesslich geniesst jeder einen Vertrauensvorschuss. Er kann Bestellungen selber auslösen und soll Dinge selber entscheiden. Das bewirkt viel mehr als all die Regeln, Vorgaben und Kontrollen, wie sie in den meisten Organisationen üblich sind.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Betonbadewannen zu entwickeln und zu verkaufen?
Als Kind verbrachte ich unzählige Stunden auf Baustellen. Ich sass auf einem Campingstuhl, schaute den Bauarbeitern zu und brachte ihnen das Znüni. Später verdiente ich mein erstes eigenes Geld auf dem Bau. Mein Traumberuf war Polier, nicht Banker. Während meiner Hausmannszeit suchte ich im Internet nach Betonbadewannen und stellte fest, dass es das nicht gab. Ich bildete mich autodidaktisch weiter und erfuhr in der Guggenmusik von einem Freund, dass er gerade das elterliche Baugeschäft übernimmt. So entschieden wir an der Fasnacht per Handschlag, es gemeinsam zu versuchen. Wir schafften es mit unseren Wannen sehr schnell in Zeitschriften und ins Museum für moderne Kunst in Barcelona, schliesslich erhielten wir erste Anfragen für Küchenabdeckungen aus Beton. Heute verkaufen wir rund 200 Küchen pro Jahr.

Kann man als kleiner Betrieb mit Schweizer Löhnen überleben in dieser Branche?
Diese Frage habe ich mir in den letzten Jahren auch immer wieder gestellt – am akutesten in den letzten 18 Monaten. Unser Exportanteil liegt bei 80 Prozent. Durch die Aufhebung des Euro-Mindestkurses haben  wir über Nacht um 20 Prozent Marge verloren. Das ist im produzierenden Gewerbe nur schwer zu verkraften. Die Firma stand mehrmals auf der Kippe. Jetzt liegt unser Umsatz über der Millionen-Schwelle, wir sind über den Berg – auch weil wir sehr früh auf 3-D-Druckverfahren gesetzt haben im Formenbau. Ende Mai sind wir mit einem ersten grossen Projekt an der Biennale in Venedig vertreten.

Sie haben beruflich schon viel erlebt, sind aber erst 37-jährig. Wie soll es weitergehen?
Ich bin insgesamt sehr zufrieden, denn es gibt für mich nichts Wertvolleres als Zeit und Gestaltungsspielraum. Ich kann heute als Erschaffer und Ermöglicher wirken – das ist für mich die perfekte Rolle. Mein Motto lautet: Lieber wenig verdienen und viel bewegen als umgekehrt. Zudem lebt man in der Schweiz auch mit wenig Geld sehr komfortabel. Ich kann heute Abend ein Entrecôte essen, wenn ich das will, und übermorgen wandern gehen statt ins Büro.

Das klingt nach viel Freiheit.
Von aussen sieht es manchmal idyllischer aus, als es ist. Als Unternehmer mit mehreren Projekten hast du nie wirklich Feierabend, zudem lastet die Verpflichtung, 20 Löhne zu bezahlen, auf den Schultern. Ich habe streckenweise zu viel gemacht, mich zu sehr verzettelt – einige Start-ups haben wir hier gar nicht erwähnt. Die Neugier wird weiterhin ein starker Treiber bleiben, aber ich werde mich künftig noch stärker auf die drei Pfeiler Beton und Designprodukte, Arbeitsformen der Zukunft und Vaterzeit fokussieren. Darüber hinaus würde ich gerne mein Erfahrungswissen weitergeben, zum Beispiel als Verwaltungsrat.


14. Mai 2016