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«Ich versuche, keine Angst zu haben, vor gar nichts»

Er war notorischer Schulversager, stand später im Tor des FC Bayern München, wurde mit 26 Jahren Unternehmer und scheiterte im ersten Anlauf kläglich. Heute sind die Design-Gartenmöbel, die Bobby Dekeyser vor 20 Jahren lancierte, in 80 Ländern erhältlich. «Meine Hauptaufgabe ist es, jungen Menschen Mut zu machen», sagt der 48-jährige Unternehmer, dessen Lebensgeschichte nun in Buchform vorliegt.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.dedon.de oder www.dekeyserandfriends.org

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Stefan Krücken/Bobby Dekeyser: Unverkäuflich! Ankerherz Verlag, Hollenstedt bei Hamburg 2012.

Dedon: Design für den Garten und Stiftung für Junge

Die von Bobby Dekeyser vor 20 Jahren gegründete Firma Dedon beschäftigt heute 2800 Angestellte. Rund 80 davon sind am Hauptsitz in Lüneburg bei Hamburg tätig, wo die Kunstfaser für die Gartenmöbel produziert wird, über 2000 Angestellte arbeiten auf Cebu, einer Insel der Philippinen, wo die Rahmen hergestellt und die Möbel geflochten werden. Als Marktführer im Bereich der hochwertigen Outdoormöbel ist Dedon in 80 Ländern präsent. Zu den Kunden gehören der Vatikan, Hollywoodstars wie Brad Pitt, Sportler wie Roger Federer oder die deutsche Fussballnationalmannschaft sowie der Sultan von Brunei. Im April wurde Dedon Island eröffnet, ein Barfussresort für Gutbetuchte, die gerne selber Fische fangen und das Essen mit einem Starkoch zubereiten. Dedon Travel bietet exklusive Abenteuerreisen an.Die Stiftung Dekeyser & Friends (gegründet 2009) gibt jedes Jahr Stipendien an junge Menschen aus aller Welt zur Umsetzung von Kultur-, Sport- und Sozialprojekten.

Herr Dekeyser, Sie machen in 30 Tagen in 20 Ländern Halt. Halten Sie es nirgendwo aus?
Ich empfinde es als befreiend, nirgendwo zu sehr verwurzelt zu sein, keine Villa zu haben und kein Büro, sondern überall zu Gast zu sein. Meine Passion sind die Menschen, ansonsten hänge ich an nichts. Mein Leben passt in zwei Koffer. So bleibe ich leicht und flexibel. Als Kind habe ich nie länger als zwei Jahre an einem Ort gelebt und 13 Mal die Schule gewechselt. Meine Kindheit war sehr chaotisch, ich musste früh lernen, mit einem Übermass an Freiheit umzugehen und mir selber Leitplanken zu setzen. Bis heute kann ich nichts besonders gut. Meine grösste Stärke war immer, Menschen zu vertrauen, die wirklich gut sind in einer Sache.

Wer es in kürzester Zeit ins Tor des FC Bayern München schafft und später ein Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern aufbaut, kann nicht komplett talentfrei sein.
Das mit der Fussball-Karriere war eine reine Willenssache. Als Schulversager und Kind getrennter Eltern hatte ich nicht das stärkste Selbstbewusstsein. Deswegen stand ich mit 15 Jahren mitten in einer Englisch-Lektion auf und verabschiedete mich mit den Worten: «Ich werde jetzt Fussballprofi.» Meine Motivation war recht simpel: Ich wusste, dass man als Fussballer leichter die Mädchen beeindrucken kann. Weil ich kein Talent hatte, aber völlig angstfrei war, kam ich ins Tor. Ich trainierte wie ein Besessener, sieben bis acht Stunden pro Tag. Als ich an einem Fussballcamp in New York neben meinem Idol Pelé auf der Bank sass, fragte ich ihn: «Wie wird man der beste Fussballer der Welt?» Er lächelte und sagte: «Folge deinem Traum, dann kann alles passieren.»

Sie spielten später längere Zeit in der Bundesliga, aber glücklich hat Sie das nicht gemacht.
Ich setzte mich jahrelang enorm unter Druck. Der Fussball war schon damals eine Vakuumwelt. Man steht im Schaufenster, verdient enorm viel, aber man ist nur eine Nummer, es ist fast unmöglich, frei zu denken und zu leben. Deshalb war es eigentlich ein Geschenk des Himmels, dass mir eines Tages ein Gegner mit dem Ellbogen das Jochbein und den Augenbogen zertrümmerte. Damals sah ich das natürlich nicht so. Keiner vom Klub besuchte mich im Krankenhaus, aus der Zeitung erfuhr ich, dass sie sofort einen neuen Torhüter verpflichtet hatten. Ich war einfach aussortiert worden wie ein alter Schuh. Dennoch war ich erleichtert. Ich schwor mir, nie mehr die Erwartungen anderer zu erfüllen, und fasste den Entschluss, Unternehmer zu werden.

Ein paar Wochen später standen Sie aber schon wieder im Tor.
(Lacht) Weil sich mein Nachfolger den Finger gebrochen hatte, feierte ich ein Comeback auf Zeit. Sie zahlten mir für drei Spiele ein Jahresgehalt eines Bankdirektors – und mir gelangen die drei besten Spiele meines Lebens. Ich wurde Spieler des Monats, erhielt schon fast unanständig gut dotierte Vertragsangebote. Mein Kopf sagte: «Du spinnst, wenn du das nicht annimmst.» Aber das Kapitel war für mich mit 26 Jahren abgeschlossen, ich fühlte mich als Unternehmer und wollte nicht mehr zurück.

Auch als Unternehmer mussten Sie sich den Erfolg hart erarbeiten.
Ja, das kann man sagen. Wir waren da schon eine kleine Familie, und wir lebten zehn Jahre lang am Rand des Ruins. Mein erstes Projekt war ein grandioser Misserfolg. Ich kaufte 1000 Ski-Rohlinge. Wir besprühten sie mit der Airbrush-Pistole eines Nachbars, eines Hufschmieds. Um für den Grosserfolg gewappnet zu sein, mietete ich im Nachbardorf einen 1000 Quadratmeter grossen Kuhstall und wollte ihn aufwändig umbauen. Mein Problem: Die Bank wollte mir die halbe Million, die ich dafür brauchte, nicht leihen. Ich überredete einen Bauern aus der Nachbarschaft, der zwar viel Land geerbt, aber kein Geld für einen neuen Traktor hatte, bei der Bank für mich zu bürgen. Ich versprach ihm dafür einen Traktor und eine gute Rendite. Wir verkauften genau 78 Paar Ski, 50 davon kamen umgehend zurück. Die Kunden tobten wegen der vielen Mängel – es waren vermutlich die schlechtesten Ski in der Geschichte des Wintersports. Unsere Firma brauchte dringend ein neues Produkt. Wir entschieden uns, wetterbeständige Design-Gartenmöbel aus Polyethylen herzustellen – ich kannte das Material von den Henkeln der Waschmittelkartons, die mein Grossvater verkauft hatte.

Wie wird man vom Ski- zum Möbelproduzenten?
Ich lernte in Deutschland einen philippinischen Flechter kennen und überredete ihn, Möbel aus Kunststoff für uns zu flechten. Wir entschieden uns kurzerhand, für ein halbes Jahr auf die Philippinen zu ziehen. Nach einem halben Jahr mühevoller Aufbauarbeit präsentierten wir unsere erste Kollektion auf einer Messe in Frankfurt. Weil wir kein Geld hatten für die Dekoration, flankierten wir die Möbel mit zwei Bastgirafffen, die meine Schwester aus Madagaskar mitgebracht hatte. Um es kurz zu machen: Für unsere Möbel interessierte sich kein Mensch, aber viele Besucher fragten mich, wo man solche Bastgiraffen kaufen könne. Ich machte einen Händler in Afrika ausfindig, bald traf eine erste Lieferung von 500 Exemplaren ein. Ich engagierte sämtliche verfügbaren bayrischen Hausfrauen, um die Tiere bunt zu bemalen. So wurde der Kuhstall zum Zentrum für afrikanische Kleinkunst. Wir verkauften mehrere tausend Stück und hielten uns so über Wasser. Aber eigentlich war München zu teuer geworden für uns. Deshalb kauften wir uns einen heruntergekommenen Hof in Lüneburg in der Nähe von Hamburg.

Woher hatten Sie das Geld?
Meine Frau fragte mich das Gleiche: «Wie sollen wir das zahlen?» Ich antwortete ihr: «Das weiss ich im Moment auch nicht, aber wir brauchen das Geld ja erst in sechs Monaten.» Ich liebe solche Alles-oder-Nichts-Situationen. Aus meiner Zeit als Spitzensportler hatte ich Übung in positivem Denken. Ich war felsenfest überzeugt: Wenn man alles auf eine Karte setzt, kommt es am Ende gut. Zwei Wochen vor dem Umzug hatte ich einen Termin bei einem Bankvertreter. Ich redete zwei Stunden ununterbrochen auf den armen Mann ein und bekam am Ende die erforderlichen 780 000 Mark.

Ihre Frau muss gute Nerven haben.
Ja, das hatte sie tatsächlich. Sie hat mir blind vertraut, obwohl sie ganz anders funktionierte als ich, viel bodenständiger war. Es waren sehr abenteuerliche Jahre. Ich will nichts beschönigen, es war nicht immer lustig, keine Ahnung zu haben, wie man die nächsten Monate finanziert. Aber wenn man am Anfang zu viel Geld hat, ist das sehr ungesund. Dieser langsame Aufbau hat ein enorm starkes Fundament geschaffen. Später, als Dedon eine international erfolgreiche Marke war, wunderten sich die Kunden und Journalisten immer wieder, wie ein so grosses Unternehmen so familiär funktionieren kann. Ohne die Prüfungen zu Beginn, ohne den starken Zusammenhalt hätte es die Erfolgsgeschichte gar nie gegeben. Als nach zehn Jahren die Dynamik dann plötzlich umschlug und der Erfolg wie eine Welle über uns hereinbrach, waren wir selber überrascht.

Innerhalb weniger Jahre ist aus einem Fünf-Mann-Familienbetrieb ein Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern geworden. Wie haben Sie das verdaut?
Es war eine berauschende Zeit. Wir fanden gar nicht rasch genug neue Mitarbeiter, ich stellte sprichwörtlich den Eisverkäufer an der Strassenecke und viele andere Leute ein, und dennoch mussten selbst Hollywood-Stars wie Brad Pitt lange auf die bestellten Möbel warten. Das Problem ist: Der Erfolg hat seine eigene Dynamik. Irgendwann merkst du, dass nicht er dir folgt, sondern du ihm hinterherrennst. Ich war mehr im Flugzeug als zu Hause, redete öfter mit Journalisten als mit meiner Familie, lebte wie ein Rockstar auf Welttournee. Jede Woche rückte eine neue TV-Crew an, filmte in der Firmenzentrale in Lüneburg, wo auch unser Wohnsitz war. Mir war immer wichtig, dass wir nicht einfach Möbel, sondern ein Lebensgefühl verkauften, aber wenn man nur noch arbeitet wie die Roboter, geht das schlecht. Ich merkte, wie der Druck auf meiner Brust stärker wurde, wie es mich immer mehr Energie kostete, ein guter Botschafter für die Firma zu sein. Die Verantwortung, mit einem falschen Entscheid nicht nur meine Familie, sondern die Familien von mehreren tausend Mitarbeitern zu gefährenden, belastete mich. Deshalb war ich sehr erleichtert, als ich 49 Prozent des Unternehmens an Finanzinvestoren verkaufen und mit meiner Familie an den Genfersee umziehen konnte.

Das war 2006. Keine drei Jahre später wollten Sie die Firma wieder zurückkaufen. Was war geschehen?
Ich war nie besonders begabt im Nachdenken, aber im Nachspüren bin ich gut. Ich spürte damals, dass Dedon höchstens noch sechs Monate überleben würde, wenn ich nichts unternahm. Also musste ich die Anteile zurückkaufen. Mit welchem Geld, das wusste ich nicht. Erschwert wurde der Rückkauf dadurch, dass die Investoren das Unternehmen schwer verschuldet hatten, um die Kaufsumme für mich zu finanzieren. Deshalb konnte die Bank dreiste Forderungen stellen: Sie teilte mir schriftlich mit, sie sei bereit, über eine Kreditverlängerung zu verhandeln – ich bräuchte ihr dafür bloss 1,5 Millionen Euro zu überweisen. 18 Bankmitarbeiter und Berater sollten am Meeting teilnehmen, zudem wollte die Bank den CEO und CFO einsetzen. Ich wusste sofort: Wenn ich da einwilligen muss, ist die Firma schon in drei Monaten am Boden. Ich spürte aber auch: Es wird im richtigen Moment etwas passieren.

Wie kamen Sie diesmal zu Geld?
Eine Woche nach dieser Demütigung durch die Banken trat ich mit Richard Branson am Swiss Economic Forum in Thun auf und erzählte meine Geschichte. In der Folge lernte ich den Schweizer Arzt Daniel Borer kennen. Eine Woche vor dem Bankentermin rief mich Borer an, wir trafen uns in Ascona. Am Abend redeten wir bei Rotwein über meine Stiftung «Dekeyser & Friends» und über Geschäftliches. Am nächsten Morgen trafen wir uns im Bademantel zum Frühstück. Ich skizzierte Borer die Entwicklung von Dedon und zeigte ihm, was möglich wäre ohne die Schuldenlast. Dann schlug ich vor, ihm 20 Prozent der Firma zu verkaufen. Borer, der nicht nur Arzt, sondern auch Investor aus der Rolex-Dynastie ist, sagte in seiner ruhigen Art: «Gut, so machen wir das.» So ging per Handschlag ein Geschäft in dreistelliger Millionenhöhe über die Bühne, ohne Juristen, einfach auf der Basis von Vertrauen und Sympathie. Die Banker waren damit aus dem Spiel. Heute ist Daniel Borer ein guter Freund. Wir besitzen gemeinsam das Inselresort Dedon Islands.

Von da an ging es wieder aufwärts?
Es ging los wie in einem Düsenflugzeug. Es ist alles eine Frage der Energie. Deshalb liebe ich Krisen: Sie setzen viel Energie frei. Und sie sind ein Steilpass für unkonventionelle Entscheidungen. Ich entscheide oft schnell aus dem Bauch heraus. Jeder Wirtschaftsberater, der mich ein paar Tage begleitet, bekommt Herzrhythmusstörungen. Vielleicht auch deshalb, weil mich Geld nie interessiert hat. Geld ist dazu da, etwas in Bewegung zu bringen. Häuft man Eigentum an, wird es zur Belastung, weil es Zeit und Energie raubt. Ich sehe viele solche goldenen Käfige, wenn wir Möbel liefern. Jedenfalls investierten wir nach Jahren der herzlosen Kostensenkungen wieder in Entwicklung und Design, als gäbe es keine Weltwirtschaftskrise. In den USA sind wir im ersten Jahr um 80 Prozent gewachsen, insgesamt legen wir Jahr für Jahr 25 Prozent zu.

Als Sie das Steuer herumgerissen hatten und alles auf guten Wegen war, erreichte Sie Ende September 2010 die Nachricht, Ihre Frau sei an einer Hirnblutung gestorben.
Das war ein furchtbarer Tiefschlag. Ann-Kathrin war meine erste, meine grosse Liebe, das mit uns schien für alle Ewigkeit gemacht. Und dann soll man verstehen und akzeptieren, dass von einem Tag auf den anderen alles vorbei ist. Ich zog mich acht Monate lang mit meinen drei Kindern zurück; es bringt nichts, dem Schmerz davonzulaufen, er holt dich ja doch ein. Wir redeten viel, weinten viel, ich las Bücher über Trauerarbeit, machte Sport, um mich nicht ganz gehen zu lassen. An einigen Morgen fand ich trotzdem keinen Grund, weiterzumachen.

Haben Sie nach dieser Zäsur erwogen, ganz auszusteigen bei Dedon?
Ich habe kurzfristig daran gedacht, mich nur noch um meine drei Kinder zu kümmern. Dann wurde mir klar, dass damit niemandem gedient wäre. Sie sind erwachsen und wünschen sich einen aktiven Vater, keinen, der sich über einen Verlust definiert. Ich selber lebe seit dem Tod meiner Frau noch bewusster. Ich höre noch stärker auf meine Gefühle, mache mich frei von den Erwartungen anderer, versuche, keine Angst zu haben, vor gar nichts. Meine Hauptaufgabe ist, jungen Menschen Mut zu machen. Sie sollen auf ihre Sehnsucht hören und sich nicht verbiegen lassen. Heute gibt es so viel Manipulation, Verführung, Ablenkung – es ist schwierig geworden, Stille zu erleben, gemeinsam etwas aufzubauen und Freundschaften zu pflegen. Aber letztlich kommt es nur darauf an: Den Moment zu erwischen, um mit den richtigen Leuten etwas Gutes zu tun. Das möchte ich im Buch zeigen, das ich mit meinem Freund Stefan Krücken geschrieben habe.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Stiftung «Dekeyser & Friends»?
Es ist eine Mutmacher-Stiftung, die jungen Menschen erlaubt, ihre Träume zu verwirklichen. Wir unterstützen verschiedene Projekte, in erster Linie aber die D&F Academy, eine Bildungsinitiative, die jährlich drei Programme für 15 Jugendliche aus aller Welt organisiert. Ziel ist es, motivierten Menschen die Chance zu geben, in ihren Ländern und damit in der Welt etwas zu verändern. Ein Beispiel: In Malawi hat unsere Stipendiatin eine Werkstatt für Bambusmöbel eröffnet. Die Möbel sind qualitativ so gut, dass man sie exportieren kann. Sie bildet nun junge Frauen zu Flechterinnen aus und will mit einem Teil der Gewinne Stipendien für junge Landsleute vergeben. Es gibt viele starke Ideen. Wir wollen das ausbauen, wir erhalten jedes Mal 1000 Bewerbungen aus 100 Ländern für die 15 Plätze. Bald werden in New York und Asien Akademien eröffnet. Sobald Dedon wieder profitabel ist, gehen 10 Prozent des Gewinns in die Stiftung. Die Stiftung ist heute meine wichtigste Lebensaufgabe.


7. Juli 2012