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«Führen ist kein Privileg, sondern eine Dienstleistung»

Als junger, erfolgsverwöhnter Manager übernahm Bodo Janssen die elterliche Hotelgruppe Upstalsboom – und wurde zur Hypothek im eigenen Unternehmen. Seit er keine Budgets mehr erstellt und sein Lebensziel kennt, laufen die Geschäfte besser denn je. Im Vordergrund steht für den 42-jährigen preisgekrönten Hotelier, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen und entfalten können. Das kommt auch den Gästen und dem Umsatz zugute.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.upstalsboom.de oder b.janssen@upstalsboom.de


Das Buch von Bodo Janssen

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Bodo Janssen: Die stille Revolution. Führen mit Sinn und Menschlichkeit. Ariston, März 2016.

Upstalsboom: Führen mit Werten zahlt sich aus

Die Upstalsboom-Gruppe führt zehn Hotels an der Nord- und Ostsee und vermietet zahlreiche Ferienwohnungen. Sie erzielte im vergangenen Jahr mit 635 Mitarbeitern einen Umsatz von 45 Millionen Euro und erreichte in den Hotels eine Zimmerauslastung von 69 Prozent. Die Hotelkette mit Sitz im ostfriesischen Emden wurde in Deutschland mehrmals zum beliebtesten Arbeitgeber gewählt. Firmeninhaber Bodo Janssen (42) übernahm 2007 nach dem Unfalltod seines Vaters die Führung der Gruppe. 2010 stellten ihm die Mitarbeiter in einer Befragung ein niederschmetterndes Zeugnis aus. Janssen zog sich während anderthalb Jahren regelmässig ins Kloster zurück und beschäftigte sich mit Spiritualität statt mit Managementsystemen.

Herr Janssen, viele Hoteliers kämpfen mit ungenügender Auslastung und Rentabilität, Sie dagegen haben den Umsatz innerhalb von drei Jahren verdoppelt und erreichen eine Auslastung von 70 Prozent. Was machen Sie besser?
BODO JANSSEN: Ich will nicht über die Konkurrenz reden, aber ich kann Ihnen sagen, was ich gelernt habe. Als ich die Verantwortung für die Hotelgruppe von meinen Eltern übernahm, installierte ich ein Managementsystem, um die Hotels nach Zahlen steuern und optimieren zu können. So gelangen uns operative Verbesserungen und ich war überzeugt, dass die Rentabilität sich weiter verbessern würde. Die Mitarbeiter sah ich als Mittel zu diesem Zweck.

Wie haben die Angestellten Ihren Führungsstil aufgenommen?
Ich war zu Beginn so überheblich, dass mich das nicht gross interessierte. Dummerweise hatten wir 2006, als mein Vater noch Chef war, eine Mitarbeiterumfrage durchgeführt. Die Ergebnisse waren derart durchzogen, dass wir sie nie bekannt machten, was die Stimmung zusätzlich verschlechterte. Dann kam mein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, ich übernahm die Verantwortung für das operative Geschäft und bemühte mich, möglichst rasch alles in den Griff zu bekommen und zu steuern.

Wann merkten Sie, dass Sie damit auf dem Holzweg sind?
Die Zahlen waren ok, aber die Stimmung war schlecht, die Fluktuation und die Absenzenquote zu hoch. Und wir hatten wegen des angekratzten Images Mühe, gutes Personal zu finden. Ich zog Bernd Gaukler, einen Branchenkenner, zu Rate. Er schlug mir vor, ein halbes Jahr lang mit den Angestellten zu reden und sich ein Bild zu machen. Bis dahin hatte eine Halbtageskraft das Personal verwaltet. Ich war froh, dass sich fortan jemand um die Menschen kümmerte und ich mich auf die Zahlen konzentrieren konnte. Was Gaukler mir nach dem halben Jahr präsentierte, war allerdings ein Schock: Die Mitarbeiter waren nicht einfach unzufrieden, sondern ihr Lösungsvorschlag lautete: «Wir brauchen einen anderen Chef als Bodo Janssen.» Mein Führungsverhalten, so stellte sich heraus, schadete dem ganzen Unternehmen.

Wie nahmen Sie diese Nachricht auf?
Ich war enorm gekränkt. Mein Selbstbild war das eines erfolgreichen Managers, den nichts aufhalten kann. Neben dem Studium hatte ich als Model gutes Geld verdient, die erste mobile Cocktailbar Hamburgs lanciert, später eine Sportanlage im elterlichen Unternehmen zum Erfolg geführt. Mehrmals überlebte ich brenzlige Situationen, schwere Auto- und Motorradunfälle ebenso wie eine achttägige Entführung mit Scheinhinrichtungen. All diese Erlebnisse hatten mich im Gefühl bestärkt, unverletzlich und auf Erfolg abonniert zu sein. Deshalb traf mich diese offene Ablehnung aus den eigenen Reihen im Mark.

Was veränderten Sie danach?
Mir dämmerte, dass es einen fundamentalen Unterschied gab zwischen Managen und Führen – und dass ich von Führung wenig Ahnung hatte. Ich zwang mich, etwas Kontrolle abzugeben und mich verstärkt um Selbstführung zu kümmern. Das fiel mir unheimlich schwer, denn es war ein Sprung ins Ungewisse, aber zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass viele Dinge gleich gut oder besser liefen, wenn ich mich nicht darum kümmerte.

Wie haben Sie gelernt, Ihre Führungsrolle zu reflektieren?
Ich ging dazu ins Kloster und arbeitete mit dem Benediktinerpater Anselm Grün zusammen. Er brachte mir zunächst zwei Dinge bei. Erstens: Nur wer sich selber führen kann, kann andere führen. Und zweitens: Führung ist eine Dienstleistung, kein Privileg. Das kognitiv zu erfassen, ist nicht so schwierig. Aber es braucht Zeit, es zu verinnerlichen und im Alltag zu leben. Mich konfrontierte es mit elementaren Fragen wie: Was macht mir Freude? Was sind meine Stärken? Wofür lebe ich? Das ist ein ganz anderer Ansatz als die Frage: Wovon lebe ich und wie optimiere ich die Einkünfte?

Taugen solche Fragen als Basis für die Unternehmensführung?
Ja, es sind die einzig wichtigen Fragen. Wir Manager haben immer das Gefühl, wir müssten uns um die Ergebnisse kümmern. Meine Erfahrung der letzten Jahre besagt: Die Ergebnisse kümmern sich um sich selbst, wenn wir uns um die Menschen kümmern. Wenn unsere Angestellten das tun können, was sie gerne und gut tun, wenn sie in Balance sind und ihre Arbeit als sinnvoll erleben, dann sind sie ein Geschenk für jeden Gast. Gäste merken, ob die Hotelangestellten mit Begeisterung arbeiten, ob sie mit ihrer Aufmerksamkeit beim Gast sind, seinem Blick standhalten. Oder ob sie ausgenutzt werden, um dem Hotelbetreiber eine gute Rendite zu ermöglichen.

Reicht es denn, wenn der Chef ins Kloster geht, um im Unternehmen einen Wandel in Gang zu setzen?
Nein, das hätte nichts gebracht. Ich lud in einem zweiten Schritt alle Führungskräfte ins Kloster ein, später auch Mitarbeiter ohne Führungserfahrung. Für einige war das eine ebenso eindrückliche Erfahrung wie für mich, andere konnten nicht viel damit anfangen. Sie näherten sich dem Thema Selbstführung über die Wissenschaft oder die positive Psychologie. Mir ging es nicht darum, einen Königsweg vorzugeben, entscheidend war, dass wir uns intensiv mit Selbstführung und den Werten beschäftigten und so ein neues Leitbild erarbeiteten.

Haben Sie sich als Manager nicht gefragt, ob sich der ganze Aufwand finanziell lohnen wird?
Nein, die Wirtschaftlichkeit stand bei diesem kulturellen Wandel nicht im Vordergrund. Entscheidend war, wie zufrieden die Mitarbeiter sind bei dem, was sie tun; wie gut sie sich entfalten können, wie viele positive Geschichten Mitarbeiter und Gäste unserer Hotels erzählen können. So hat sich auch meine Aufgabe gewandelt. Mein wichtigstes Ziel ist heute, dass die Mitarbeiter das Unternehmen am Abend aufrechter verlassen, als sie am Morgen gekommen sind.

Sie führen nicht mehr über Kennzahlen?
Nein. In der Zentrale haben wir die Budgets bereits abgeschafft, in den einzelnen Häusern werden wir sie im nächsten Jahr abschaffen. Wir setzen uns kaum noch quantitative Ziele, sondern konzentrieren uns ganz auf das Verhalten. Natürlich sehen wir im Rückblick, dass die Zahlen stimmen. Zwischen 2010 und 2013, während unserer Transformation, hat sich der Umsatz verdoppelt, die Auslastung stieg auf 70 Prozent – so kühn hätte ich niemals zu planen gewagt. Und das Wichtigste: Wir erhalten enorm viele persönliche Gästerückmeldungen und Blindbewerbungen.

Sie führten unter anderem einen «Corporate Happiness»-Beauftragten ein. Verordnetes Glücklichsein – das klingt fast mehr nach einer Sekte als nach einem Unternehmen.
Die Funktion heisst inzwischen Herzlichkeitsbeauftragter. Dieser vom Team gewählte Mitarbeiter kümmert sich ganz um die Frage, wie sich Mitarbeiter und Gäste am besten entfalten oder wohlfühlen können. Wir sind sicherlich keine Sekte. Jeder darf sich selber bleiben. Entscheidend ist, dass wir uns alle an der Frage ausrichten, was ein glücklicher Mensch ist und wie jeder ein Maximum seiner Fähigkeiten entwickeln kann.

Mir graust offen gestanden vor dem Aufenthalt in einem Hotel, in dem alle Mitarbeiter auf Glück getrimmt worden sind.
Wir spielen kein Theater und wir sind nicht so naiv zu glauben, Glück könne zum Dauerzustand werden. Es braucht auch Widerspruch und Kritik – die Mitarbeiter äussern heute viel offener Kritik als vor 10 Jahren. Wichtig ist für mich, dass ich die Mitarbeiter nicht als Mittel zum Zweck sehe, sondern als Kern des Unternehmens. Deswegen investieren wir auch 20 Prozent des Firmenergebnisses in die fachliche und persönliche Weiterbildung. Ein Grossteil der Mitarbeiter engagiert sich beispielsweise beim Bau von Schulen in Ruanda.

Im Unternehmensfilm «Der Upstalsboom-Weg» und in den TV-Talkshows sieht man aber doch in erster Linie Bodo Janssen reden.
Ich bin auch heute nicht frei von Narzissmus, das gebe ich gerne zu. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie aber feststellen, dass ich viel öfter als früher meine Mitarbeiter und Auszubildenden reden und glänzen lasse. Vor allem habe ich heute eine viel klarere Richtschnur für Erfolg. Paradoxerweise hat mich die schwierigste Zeit meines Lebens gelehrt, worauf es wirklich ankommt.

Sie meinen die Entführung?
Ja, als ich im Juni 1998 für acht Tage in der Gewalt von Entführern war und mehrmals mit einer Pistole an der Schläfe am Boden kniete, dämmerte es mir erstmals, wie unerheblich alles Materielle ist. Reichtum kann dir jederzeit genommen werden, es ist absurd, all seine Anstrengungen darauf auszurichten. Für mich ist heute die Frage massgebend, wie viele Geschichten von glücklichen Menschen ich in 35 Jahren meinen Enkeln erzählen kann. Ich messe mich jeden Abend daran, ob ich in dieser Hinsicht etwas bewegt habe.

Als Besitzer einer Hotelgruppe können Sie gut die Bedeutung des Materiellen relativieren.
Das sind nicht einfach schöne Worte. Ich habe heute keine Angst mehr, etwas Materielles zu verlieren. Meine Frau und ich pflegen einen einfachen Lebensstil, wir sind mit wenigen Taschen unterwegs, was uns innerlich frei macht. Entsprechend habe ich auch kein Problem damit, weniger zu verdienen als einige meiner Mitarbeiter.


2. April 2016