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Wenn der Akademiker in der alten Poststelle Biber bäckt

Was tun mit einem Geschichts- und Germanistikstudium, wenn man nicht unterrichten will? Claudio Leibacher erinnerte sich an seine Wurzeln, nahm mit 28 Jahren statt der Dissertation eine Bäckerlehre in Angriff und lancierte im Keller des Elternhauses eine Biber-Manufaktur. In der Vorweihnachtszeit beschäftigt der 35-Jährige 16 Bäcker.

Interview: Mathias Morgenthaler  Fotos: Regina Jäger


Kontakt und weitere Informationen:
www.biber-manufaktur.ch
oder claudio.leibacher@biber-manufaktur.ch

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Die Brüder Claudio und Silvan Leibacher in der Backstube.

Herr Leibacher, Sie haben zuerst ein Studium in Geschichte und Germanistik abgeschlossen und danach mit 28 Jahren noch eine Bäcker-Konditor-Lehre in Angriff genommen. Wie fanden Sie sich in der Backstube zurecht?
CLAUDIO LEIBACHER: Natürlich war ich ein Exot, schon aufgrund meines Alters. Und manche meiner Kollegen oder Vorgesetzten fragten sich schon, was ich da suchte und ob ich mich möglicherweise als etwas Besseres fühlte wegen meines Studiums. Für mich war das aber eine sehr natürliche Sache. Mein Grossonkel war Bäcker und Konditor gewesen, ich selbst habe schon als Kind gern Zopf und Kuchen gebacken. Als ich mit 28 Jahren die Lehre in Angriff nahm, hatten mein Bruder und ich ja schon unsere eigene Biber-Manufaktur, und ich war entsprechend motiviert.

Ein Studium hätten Sie dafür aber nicht gebraucht.
Das stimmt, aber was wäre unser Leben ohne die Umwege? Ich entschied mich damals fürs Gymnasium, um mehr Zeit zu haben für die Berufswahl. Nach der Matura folgte ich meinen Interessen und nahm das Studium der Geschichte und Germanistik in Angriff. Mit dieser Kombination hätte ich später unterrichten können wie meine beiden Eltern, aber nach ein paar Stellvertretungen wusste ich, dass ich mich nicht besonders wohlfühlte vor einer Schulklasse. Hingegen zeigte ich schon früh einen ausgeprägten Sammlerehrgeiz: Ich trug als Schüler jede Menge schöne Steine, Briefmarken, Kuhglocken und vieles mehr zusammen und stellte all diese Schätze in meinem Zimmer aus. Später spezialisierte ich mich auf Bügeleisen und schrieb dazu meine Maturaarbeit.

Wie kommt ein Teenager auf die Idee, Bügeleisen zu sammeln?
Ich fand es spannend, die technische Entwicklung zu verstehen. Und im Gegensatz zu anderen Sammlerobjekten waren die Bügeleisen sehr erschwinglich. Via Gratisinserat im «Brückenbauer» kam ich zu vielen alten Bügeleisen, danach tauschte ich mich mit anderen Sammlern aus, die im Schnitt 50 bis 60 Jahre älter waren als ich. Mein etwas schräges Hobby verhalf mir sogar zu einer Ausstellung im Schloss Lenzburg; später wurde ich Präsident des Bügeleisen-Sammler-Clubs, und noch heute besitze ich rund 600 Exemplare, obwohl ich Dutzende wieder abgestossen habe.

Wie wurden Sie mit dieser Vorgeschichte zum Backwarenunternehmer?
Nach dem dritten Museumspraktikum stellte ich mir ernsthaft die Frage, was beruflich aus mir werden sollte. Ein Studienabschluss in Geisteswissenschaften gibt einem ja noch lange keine berufliche Identität. Eines Tages erwarb ich von einer Appenzeller Bäckerei eine Serie von alten Bibermodeln. Ich war begeistert von der traditionellen Schnitzkunst aus der Heimat meines Grossvaters und absolvierte bald darauf Praktika bei Bäckereien und Holzbildhauern im Appenzell. Und es ging nicht lange, da war die Doktorarbeit an der Uni kein Thema mehr, und ich beschäftigte mich stattdessen mit der Frage, wie ich den grossen Keller im Elternhaus so ausbauen und ausstatten konnte, dass er als Backstube für meine Biberproduktion taugte. Ich schaffte einen Backofen und eine Ausrollmaschine an, schnitzte Sujets aus dem Zürcher Oberland ins Birnbaumholz und beschenkte Familie und Nachbarschaft mit den ersten Eigenproduktionen.

Verschwendeten Sie keinen Gedanken daran, dass die Welt vielleicht nicht auf den Biberbäcker Leibacher gewartet hatte?
Nein, ich fand dieses Abenteuer einfach wesentlich spannender als ein viertes Museumspraktikum. Was ein Businessplan ist, wusste ich damals nicht. Also begnügte ich mich mit der Überzeugung, dass die Konkurrenz in Zürich kleiner war als in der Ostschweiz und dass wir als Kleinbetrieb ein viel hochwertigeres Produkt anbieten konnten als der Grosshandel. Die Startinvestitionen waren überschaubar, weil ich keine Räumlichkeiten mieten musste und die ersten Maschinen Occasion für ein paar Zehntausend Franken kaufen konnte. Schön war, dass die ganze Familie sofort mitzog. Mein Bruder Silvan, der damals noch Betriebsökonomie in Winterthur studierte, kümmerte sich um Logo, Website, Marketingkonzept und eine ansprechende Verpackung. Anfang November 2010, ein halbes Jahr nach den ersten Versuchen, verkauften wir die Biber schon im Dorfladen, die Kunden liebten unser Gebäck, und die Lokalzeitung, die über das Jubiläum des Dorfladens berichten sollte, schrieb stattdessen ein Porträt über mich. So nahm alles Fahrt auf, und ich begann 2011 die Bäckerlehre, um mehr Sicherheit zu bekommen.

Zwischen 2011 und 2013 waren Sie demnach Lehrling und Unternehmer in einem.
Genau, unter der Woche in der Lehre, abends am Computer, am Wochenende in der Backstube. Bald merkte ich, dass ich die Produktion unmöglich allein schaffte, und so stellten wir früh erste Mitarbeiter ein. Und wir expandierten munter weiter im Elternhaus: Die Garage wurde zum Büro, der Luftschutzkeller zum Rohstofflager, Teile des Hauses zum Warenausgang. Meine Frau und ich zügelten in den anderen Teil des Hauses, um mehr Platz zu schaffen für die rasch wachsende Firma. Aber als sich die vielen Biberschachteln 2016 auch im Wohnraum meiner Eltern türmten, fand mein Vater, es sei nun an der Zeit, ein neues Daheim für die Biber zu finden. Er lieferte auch gleich die Idee, mit der Firma in eine stillgelegte Poststelle zu ziehen. So sind wir im Sommer 2017 in Illnau in die alte Poststelle eingezogen. Die Eltern hatten ihr Haus wieder für sich, halfen uns aber bei der Finanzierung, da wir nun höhere Fixkosten zu stemmen hatten.

Wie viele Angestellte wirken heute mit?
Jetzt in der Vorweihnachtszeit sind es 25 Personen, davon 16 Bäcker. Sonst sind es sechs Festangestellte, wobei die meisten im Teilzeitpensum angestellt sind. Die Nachfrage hat sich sehr gut entwickelt in den letzten Jahren, aber die Margen sind klein in der Lebensmittelbranche. Ich selbst muss aufpassen, dass ich nicht zu sehr vom Handwerker zum Manager mutiere. Mit jedem Wachstumsschritt rücke ich etwas weiter weg von der Produktion – vor allem in der Hauptsaison sitzt man plötzlich im Büro, statt in der Backstube zu stehen. Das Schnitzen habe ich aber nicht abgegeben, die Reliefs in Birnbaumholz, mit denen wir die Oberfläche der Biber prägen, entstehen nach wie vor in Handarbeit. Und auch die Mandeln für die Füllung schälen wir selbst kurz vor dem Backen, weil die vorgeschälten Mandeln rasch an Geschmack verlieren. Es ist enorm befriedigend, auf biologische Zutaten aus der Region zu setzen und mit unserer Manufaktur das Back- und das Holzbildhauerhandwerk am Leben zu erhalten.


15. Dezember 2018