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«Dann bleibt nichts anderes übrig, als die Zukunft gemeinsam zu erfinden»

Claudius Fischli war Chef der Management-Entwicklung bei der UBS, doch die entscheidende Lektion in Sachen Führung hat er in einem externen Training gelernt, das ihn zur Weissglut brachte. Heute unterstützt der Experte für Gruppendynamik Unternehmen darin, in vertrauensvoller Zusammenarbeit Innovationen zu schaffen. Das klappt nur, wenn auch schwierige Themen zur Sprache kommen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG



Herr Fischli, Sie sind ein Experte für Gruppendynamik und begleiten Unternehmen bei Innovations- und Veränderungsprozessen. Was entscheidet darüber, ob in Gruppen alle am gleichen Strick ziehen?
CLAUDIUS FISCHLI: Innovation kann nicht befohlen und nicht auf dem Reissbrett geplant werden. Die entscheidende Frage ist deshalb, wie es gelingt, dass sich sehr unterschiedliche Menschen in einer Gruppe austauschen und es schaffen, die Verschiedenheit als Bereicherung zu sehen, statt sich gegenseitig zu bekämpfen. Das ist nur möglich, wenn die Beteiligten ein Mindestmass an Vertrauen entwickeln können. Vertrauen entsteht dann, wenn auch Differenzen offen zur Sprache kommen. Ohne Auseinandersetzung mit den Differenzen entsteht keine echte Gemeinsamkeit.

Das klingt schön und gut, aber wie funktioniert das im Wirtschaftsalltag? Sie waren Leiter der Führungsentwicklung bei der UBS – da steht doch die Konkurrenz im Vordergrund, nicht die vertrauensvolle Kooperation.
Ein Monat nach meinem Eintritt beim Bankverein in Basel fiel der Entscheid zur Fusion mit der Bankgesellschaft zur UBS. Zusammen mit anderen erhielt ich den Auftrag, die beiden Führungskulturen zusammenzubringen. Als Neuling ohne Stallgeruch wurde ich von beiden Seiten akzeptiert. Die Projekte liefen sehr gut. Später, als ich zum Chef der Management-Entwicklung befördert wurde, konnte ich kaum mehr direkt mit den Leuten arbeiten, sondern musste taktisch vorgehen und hauptsächlich darauf achten, wie ich mich in Meetings verhielt und mit wem ich wann essen ging. Das führte dazu, dass die Bank und ich uns irgendwann gegenseitig nicht mehr aushielten.

Was bringen Investitionen in die Teambildung, wenn die Kultur wie bei den Banken einseitig von finanziellen Belohnungen geprägt wird?
Da kann man noch so viel Geld in Leadership-Kurse investieren – wenn die Bestechungsmaschinerie der Bonuszahlungen den Takt vorgibt, gibt es keinen Raum für vertrauensvolles Teamwork. Statt in spezifische Team- und Organisationsentwicklung zu investieren, kaufen viele Konzerne bei englischen oder amerikanischen Anbietern Entwicklungsprogramme ab Stange für ihre Manager ein. Da werden dann die Leadership-Grundsätze eines Steve Jobs oder Bill Gates erlernt und nachgebetet. Im Vordergrund stehen nicht selten Gerissenheit und Durchsetzungsstärke. Man sollte sich dann nicht wundern, wenn das zu Illoyalität und juristischen Problem führt.

Ein Banker würde wahrscheinlich sagen: Das, was Ihnen vorschwebt, rechnet sich schlicht nicht.
Da gibt es prominente Gegenbeispiele. Volkswagen-Chef Ferdinand Piëch war wie alle Automobil-Manager ein kühler Rechner. Als sich abzeichnete, dass der VW Käfer bald das Ende seines Lebenszyklus erreicht haben würde, zog er einen ziemlich guten Gruppendynamiker bei. Dieser bestand darauf, nicht nur die besten, sondern auch die kritischsten Mitarbeiter aller relevanten Bereiche in einem Workshop zu versammeln. Die Gruppe arbeitete eine Woche, um ein Klima des Vertrauens zu schaffen. Nach einer zweiten Woche intensivsten Arbeitens präsentierte die Gruppe das Konzept des Kompaktwagens VW Golf. Dieser wurde zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte mit fast 30 Millionen Verkäufen in den letzten 39 Jahren.

Wie setzen Sie Gruppendynamik in Ihrer Arbeit ein?
Meine Kunden sind oft Unternehmen, die auf Innovation angewiesen sind und nicht nur davon reden, dass die Mitarbeiter das wichtigstes Kapital sind. So arbeite ich für einen Kunden in einem technologisch anspruchsvollen Bereich; der mächtige Patron prägt die Firma seit Jahrzehnten. Nun zeichnet sich ein radikaler Wandel ab, weil die asiatische Konkurrenz die technologischen Apparaturen für einen Bruchteil der bisherigen Preise anbietet. Die Firma muss sich gänzlich neu erfinden und der Chef, ein Ingenieur alter Schule, ist sich bewusst, dass er den neuen Weg nicht vorgeben kann.

Können Sie das?
Das hat er mich auch gefragt. Er wollte wissen, mit welcher Legitimation ich mir die Frechheit herausnehme, Hand anzulegen an sein Lebenswerk. Ich antwortete ihm, ich sei kein Experte in seiner Branche und auch kein guter Manager, aber ein Experte für Lernprozesse in Gruppen. Wenn die Rezepte der Vergangenheit nicht länger taugen und wir die Zukunft nicht kennen, bleibt nichts anderes übrig, als die Zukunft gemeinsam zu erfinden. Weil Berater aus den USA und aus St. Gallen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, liess sich der Patron auf das Experiment ein. Heute ist das Unternehmen sehr gut unterwegs, weil es gelang, es von innen heraus weiterzuentwickeln. Daraus resultiert eine ganz andere Kraft, als wenn eine Figur an der Spitze die Lösung vorgibt.

Das sind erstaunliche Worte für einen, der Offizier in der Armee war und seine Karriere bei einer Bank begann.
(Lacht) Ich war vermutlich der schlechteste Offizier in der Geschichte der Schweizer Armee. Aber das Leben ist ja keine permanente Prüfung, sondern eine Einladung, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Aus verschiedenen Gründen gehörte ich in meiner Kindheit und Jugend nie so ganz dazu, sondern hatte in Gruppen meistens eher eine Position am Rand. Natürlich hätte ich mir das anders gewünscht, aber der Vorteil war, dass ich früh darüber nachzudenken begann, was es für Rollen gibt in einer Gruppe, unter welchen Bedingungen der Stärkste zum Anführer wird. wann der Schlauste und wann keiner von beiden. Und natürlich: Wer bei den Mädchen hoch in der Gunst steht – da kann man ja auch als interessanter Sonderling am Rand punkten.

Und später in der Armee vertieften Sie diese Studien?
Ja, das war ein ergiebiges Feld. Es gab zwei Typen, die aufstiegen: Die grosse Mehrheit derjenigen, die gestützt auf ihre formale Macht führten. Und die interessanten Ausnahmen, welche die anderen überzeugen konnten, ohne je ein lautes Wort zu sagen. Ich probierte beide Wege aus und vertiefte das in der Feldforschung Erlernte schliesslich im Psychologiestudium.

Woher rührt Ihr Interesse für Gruppendynamik?
Als ich bei der UBS befördert wurde, schaute ich mich nach einer Weiterbildung um und wurde bei der Österreichischen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung fündig. Im ersten Training, aus dem ich mir eine Empfehlung für die Ausbildung erhoffte, fuhr ich mit meinem damaligen Verständnis von Führung grausam gegen die Wand. Ich erwartete, dass ein Trainer uns sein Wissen vermittelt, stattdessen fragte die Trainerin immer wieder: «Worum geht es hier? Was beobachten Sie? Wer hat Einfluss, Vertrauen, welche Rolle?» Ich ärgerte mich, liess in den Pausen Dampf ab und mobilisierte die halbe Gruppe gegen die Trainerin. Ich war ein Führungsexperte, der seine Expertise mehren wollte! Am Ende ging ich ohne die Empfehlung nach Hause und fragte mich: «Wie bist du in so kurzer Zeit bei der Bank so ein Idiot geworden?»

Haben Sie eine Antwort gefunden?
Ich wollte sie unbedingt finden und ging kurze Zeit später nochmal hin, weil mich diese Arbeit enorm beeindruckte, auch wenn ich noch nicht viel davon verstanden hatte. Allerdings verhielt ich mich erneut ziemlich lernresistent, bis mich die Trainerin fragte: «Worum kämpfen Sie, Herr Fischli?» Die Frage ging mir unter die Haut – und ich wusste sofort die Antwort: Ich kämpfte darum, am Rand zu bleiben, meine vertraute Rolle zu behalten. Und gleichzeitig wünschte ich mir Zugehörigkeit. Diese war aber nicht zu bekommen im Expertenkorsett. Ich musste mich öffnen, mich zeigen, in Kauf nehmen, verletzlich zu werden. Solange ich meine Führungsshow abliefern wollte, hatte ich keinen richtigen Zugang zur Gruppe.

Ist das der Grund, warum viele Teambildungsworkshops so wenig bringen?
Es ist einfach, Flosse zu bauen oder in Kletterparks herumzuturnen, aber es gibt in solchen Prozessen keine Abkürzungen. Ohne ehrliche Begegnung verändert sich nicht viel in einem Team.

Stehen Sie heute noch immer am Rand?
Heute pendle ich zwischen den Welten und geniesse dies. Ich fühle mich wohl als Beobachter am Rand, der viele Dinge hoffentlich klarer sieht als jene, die mittendrin stehen. Und ich finde es interessant, in eine Organisation einzutauchen, mit einer Gruppe etwas zu erarbeiten durch alle Reibungen und Widerstände hindurch. Ich glaube, das ist die Herausforderung jeder Führungskraft: Sie sollte am Rand sein, um professionelle Distanz wahren und nötigenfalls auch unpopuläre Entscheidungen fällen zu können. Und sie muss gleichzeitig alles daran setzen, in Verbindung zu sein mit sich, dem Team und der Organisation.. Eine gute Führungskraft ist immer auch ein Sozialingenieur, der das echte Leben in der Arbeit ermöglicht.


8. März 2014