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«Nichts blockiert uns mehr als die Angst vor der Angst»

Warum ziehen manche Redner ihr Publikum in ihren Bann, während andere es bloss langweilen? Entscheidend sind nicht brillante Worte oder rhetorische Tricks, sondern der Umgang mit Emotionen, sagt Cordelia Zafiropulo. Die Opernsängerin lehrt ihre Kunden in Zürich und London, wie sie über den Atem Zugang zu ihren Emotionen finden und dadurch eine ganze andere Resonanz erzielen.   

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg



Frau Zafiropulo, Sie schulen Menschen im Umgang mit der Stimme. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum viele Referate und Präsentationen in der Schweiz sterbenslangweilig sind?

CORDELIA ZAFIROPULO: Sind sie das? Vermutlich hängt es damit zusammen, dass viele Menschen das Geheimnis einer guten Rede nicht kennen. Sie legen sich den Inhalt zurecht, wählen mit Bedacht ihre Worte aus, setzen vielleicht rhetorische Techniken ein. Das alles hilft wenig, wenn das Gesagte nicht über eine Kopfgeburt hinauskommt. Wer sein Publikum erreichen will, sollte es auch auf der emotionalen Ebene berühren. Ich habe das oft erlebt: Zwei Menschen sagen inhaltlich ähnliche Dinge. Beim einen verhallt das ohne Resonanz, beim anderen springt der Funke über.

Kann man das üben?

Oft kommen Kunden zu mir, weil sie ihre Sprechtechnik verbessern möchten. Natürlich gibt es Übungen dafür. Wer trainiert, lernt, seine Stimme vielfältiger und bewusster einzusetzen. Letztlich ist die Stimme aber ein Indikator dafür, in welchem Mass jemand Zugang zu seinen Emotionen hat. Ich erkenne rasch an der Stimme, wie authentisch jemand redet. Es geht nicht einfach um Stimmtechnik, es geht um Präsenz und Charisma. Es liegen Welten zwischen einem Redner, der sein Thema bloss durchdacht hat, und einem, der es verkörpert. Aber wir legen hier in der westlichen Welt so grossen Wert darauf, nüchtern zu sein und alles im Griff zu haben, nur ja nicht emotional zu werden. Damit berauben wir uns einer grossen Kraft.

Wie arbeiten Sie mit jemandem, der Ihre Unterstützung sucht, weil er sich nicht wohl fühlt beim Reden oder nicht die erwünschte Wirkung erzielt?

Zunächst geht es meistens darum, die Selbst- und die Fremdwahrnehmung anzuschauen und herauszufinden, woher das Unbehagen kommt. Am bequemsten sind natürlich Rezepte: 5 Wege zum Erfolg, die 6 Geheimnisse einer guten Rede, 10 Fehler in der Körpersprache und wie diese Programme alle heissen. Auf diesem Weg entstehen aber bloss Karikaturen von Menschen. Ich verteile keine Rezepte, sondern versuche, durch Übungen und Rollenspiele dem Unbehagen auf die Spur zu kommen mit den Kunden. Entscheidend ist, dass Gesprochenes und Gefühltes in Einklang kommen.

Was, wenn jemand Angst hat, vor grösseren Gruppen zu sprechen?

Nichts blockiert uns mehr als die Angst vor der Angst. Die naheliegende Reaktion ist in diesem Fall die falsche. Weil man die Angst weghaben möchte, unterdrückt man sie – mit dem Effekt, dass man sie selber womöglich nicht mehr fühlt, dafür spürt sie jede und jeder im Publikum. Wenn ich die Angst dagegen akzeptieren und auf einem erträglichen Ausmass halten kann, bin ich präsent und erreiche mein Publikum noch auf einem anderen Kanal als jenem der Worte. Es gibt ja nicht nur die Ängstlichen, sondern auch die routinierten Redner, die Experten, die langweilig und selbstgefällig wirken. Auch bei ihnen geht es darum, Emotionen wie Wut, Freude oder Angst zu integrieren und dadurch lebendiger zu werden.

In hierarchisch geprägten Unternehmen sind Emotionen eher ein Risiko als ein Erfolgsfaktor.

Es ist klar, wenn ich mich Tag für Tag verbiegen muss und immer darauf achten, dass ich alle Erwartungen erfülle und niemanden brüskiere, dann ist der Weg zum charismatischen Redner relativ lang. Man hört das vielen Reden in Politik und Wirtschaft ja auch an. Das Meiste wird durch die Blume gesagt, begleitet von Relativierungen und Absicherungen. Dabei gibt es kaum etwas Machtvolleres als wenn sich jemand traut, direkt zu sein und wenn nötig auch unbequem. Wer sich Authentizität und Charisma wünscht, darf es nicht allen recht machen wollen. Es ist ok, wenn etwas, das man aus innerster Überzeugung sagt, nicht ankommt. Fatal dagegen ist, wenn man immer allen gefallen muss.

Welche anderen Fehler beobachten Sie bei Reden?

Ich sehe oft, dass Redner ohne Ende Feuer geben. Sie kennen sicher auch diese Dauereuphorisierten, die wirken, als kämen sie direkt aus einem Kurs für Motivationstrainer. Das künstlich Aufgepeitschte kann punktuell wirkungsvoll sein, der Effekt verpufft aber rasch. Die Kunst besteht darin, die ganze emotionale Bandbreite zu nutzen – im Inhalt, in der Stimme, in der Gestik. Nicht zufällig reden wir davon, etwas zuerst verinnerlichen zu müssen. Es geht ganz konkret darum, in den Körper zu kommen und aus dem Körper heraus zu agieren. Das beginnt damit, dass wir unseren Atem wahrnehmen und lernen, tief zu atmen. Über den Atem finden wir Zugang zu unserer Emotionalität. Und über den Atem können wir auch unser Reden regulieren.

Wie wichtig sind Pausen?

Viele können sich nichts Schlimmeres vorstellen, als den Faden zu verlieren und unfreiwillig Pause zu machen. Deshalb reihen sie Satz an Satz und sind froh, wenn sie am Ende alles fehlerfrei abgespult haben. Gute Redner setzen Pausen ein, lassen es darauf ankommen, wie lange sie selber und das Publikum die Stille aushalten. Beim bewussten Einatmen sind wir rezeptiv, wir nehmen die Stimmung in einem Saal auf, können unsere Ausrichtung überprüfen. Pausen sind unglaublich wichtig. Und sogar Missgeschicke können wertvoll sein, weil sie die Verbindung mit dem Publikum stärken.

Wie sind Sie zum Stimmtraining gekommen?

Ich absolvierte zuerst eine Ausbildung zur Modedesignerin. Bald zog mich die Oper in ihren Bann. Musik geht direkt ins limbische System, da wirst du erschüttert, bevor der Kopf versteht, was passiert. In der Ausbildung zur Opernsängerin habe ich nicht nur meine Stimme, sondern auch meine Wahrnehmung geschult. Und ich habe gelernt, meine Emotionen und meine rationale Seite in Einklang zu bringen. In unserer Gesellschaft sind Emotionen oft negativ bewertet. Gerade bei Intellektuellen werden Gefühle gerne als naiv und unreif taxiert. Wenn wir aber wachsen wollen, kommen wir nicht um die Emotionen herum. Ich erlebe oft bei meinen Kunden, wie ihre Blockaden verschwinden, wenn sie einen besseren Zugang finden zu ihrer Emotionalität und diese nicht länger unterdrücken müssen.

Da geht es dann nicht mehr um Stimmtraining, sondern um Persönlichkeitsentwicklung.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir uns gerne an unseren Blockaden festklammern, weil wir es nicht anders kennen und uns mit dem identifizieren, was uns einschränkt. Deswegen brauchen wir jemanden, der uns hilft, das zu verstehen und zu verändern. Dann wird viel mehr möglich, als wir uns hätten träumen lassen. Die Angst ist nicht weg, aber sie lähmt uns nicht mehr. Angst haben alle, auch die Spitzensportler und Sängerinnen, die wir verehren. Hätten sie alles im Griff, würden sie uns nicht berühren.


8. November 2014