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«Fantasie ist wichtiger als Wissen»

Die dritte Generation hat es selten einfach, wenn sie im Familienunternehmen die Verantwortung übernimmt. Auch Schokoladeunternehmer Daniel Bloch tat sich zu Beginn schwer, aus dem Schatten seines «omnipotenten und omnipräsenten» Vaters zu treten. Doch längst hat er der Firma Camille Bloch, die Marken wie Ragusa und Torino herstellt, seine eigene Handschrift gegeben. Ein Gespräch über die Kraft der Fantasie, Gefahren der Spezialisierung und den Mut zum grossen Sprung.

Interview: Mathias Morgenthaler   Foto: Franziska Rothenbühler



Daniel Bloch (53)

Der Enkel des Firmengründers Camille Bloch war nach seinem Anwaltsexamen in der Papierfabrik Utzensdorf und in einer Anwaltskanzlei in New York tätig. Seit 1997 führt er das Familienunternehmen, das seit 1935 in Courtelary im Berner Jura Schokolade produziert und rund 60 Millionen Franken pro Jahr umsetzt. 2005 übernahm Daniel Bloch das Verwaltungsratspräsidium von seinem Vater Rolf Bloch und wurde gemeinsam mit seinem Bruder Stéphane Inhaber des Familienbetriebs, der mit 180 Angestellten die Traditionsmarken Ragusa und Torino herstellt und 80 Prozent davon in der Schweiz absetzt.
Ende Oktober werden in Courtelary die erweiterte Produktionsstätte und ein neues Besucherzentrum eingeweiht. Dieser Tage erscheint Daniel Blochs Buch «Creating Passion» im Verlag W. by Editions Weblaw. Daniel Bloch ist verheiratet, Vater dreier Kinder und wohnt in Muri bei Bern. (mmw)

Herr Bloch, Sie führen das Familienunternehmen Camille Bloch in dritter Generation. Wie war das, in die grossen Fussstapfen Ihres Vaters Rolf Bloch zu treten?
DANIEL BLOCH: Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Arbeitstag am 1. August 1994. Ich kam als 30-Jähriger ins Unternehmen und sollte als neuer Direktor der Administration vorgestellt werden. So sass ich in diesem Sitzungszimmer, grüner Spannteppich, getäferte Wände, eine Neuenburger Pendule an der Wand – und am Tisch lauter ältere Herren, die mich kritisch musterten. Mir wurde bald klar: Ich war die Antithese zu einem Direktor der Administration, und es gab für mich noch keinen Platz im Familienunternehmen, in dem mein Vater omnipräsent und omnipotent war. So schrieb ich mich bald für eine MBA-Management-Ausbildung in Fontainebleau ein.

In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, wie Sie im MBA-Programm mit Managern in Kontakt kamen, die vor einer grossen Konzernkarriere standen. Dachten Sie nie, das könnte auch für Sie reizvoller sein als eine Schokoladenfabrik im Jura zu übernehmen?
In einem Konzern wäre ich kaum glücklich geworden. Es war mir aber wichtig, echte Alternativen zu haben zum Einstieg ins Familienunternehmen. Es macht einen Unterschied, ob Sie in der Küche Grüntee trinken und Bordeaux im Keller haben oder ob sie Grüntee trinken mangels Alternativen. Ich wollte nicht in den Startpflöcken einrosten wie Prinz Charles, sondern jederzeit gehen können, wenn mein Vater nicht Wort gehalten hätte.

Wie war die Abmachung mit Ihrem Vater?
Er wollte bis zu seinem 75. Geburtstag im Unternehmen bleiben. Ich übernahm schon 1997 die Geschäftsführung, aber da mein Vater noch Gastrecht hatte in den Sitzungen der Geschäftsleitung, war ich ein Geschäftsführer unter Aufsicht, absolvierte sozusagen meine Lehre. Ab 2000 hatte er noch für fünf Jahre das Präsidium inne. Mein Vorteil war, dass sich mein Vater schon gegen seinen Vater Camille Bloch hatte abgrenzen müssen. So konnte ich sagen: Ich mache es gleich wie mein Vater – anders als der Vater.

Was war das für ein Unternehmen, das Sie 1997 übernahmen?
Mein Vater war «Le Docteur», der Patron, zu dem alle ehrfürchtig aufschauten. Er verteilte nicht nur selber die Post, sondern hatte auch sonst alles und alle im Griff. Seine Autorität war einschüchternd, vermittelte aber auch Sicherheit. Die Firma hatte eine stabile Stellung in einem stagnierenden Markt. So gesehen war es ein angenehmer Start für mich. Ich wurde nicht ins kalte oder heisse Wasser geworfen, sondern stieg in ein wohltemperiertes Bad.

Sie spielen aufs Boiling-Frog-Syndrom an: Wenn man einen Frosch ins heisse Wasser setzt, springt er sofort wieder heraus. Setzt man ihn ins lauwarme Wasser und erhöht langsam die Temperatur, bleibt er sitzen, bis er verbrüht.
Das war genau die Situation: Alles war gut eingerichtet bei Camille Bloch, aber niemand sprang. Also beschloss ich 2003 gemeinsam mit der Geschäftsleitung, ein Zeichen zu setzen, und gab das Ziel aus, die Produktion innert sieben Jahren von 2300 auf 4000 Tonnen zu erhöhen. Ich dachte, da gehe ein Ruck durch die Belegschaft. Doch die Mitarbeiter nahmen das zur Kenntnis und dachten, mein Vater werde das schon richten und der junge Bloch werde sich wieder beruhigen. Später, als die Zahlen sich in die gewünschte Richtung bewegten, herrschte keine Aufbruchstimmung, sondern Verunsicherung. Die Zufriedenheit sank sogar. Da lernte ich: Es gibt eine kleine Gruppe von Innovatoren, die Veränderung wollen, und einige Renitente, die alles bremsen. Die grosse Mehrheit ist nur zur Veränderung bereit, wenn man sie in vielen Gesprächen von der Notwendigkeit überzeugt.

Sie wuchsen in den Nullerjahren stark und erhöhten den Marktanteil in einem stagnierenden Markt von drei auf fünf Prozent. In den letzten zwei Jahren war der Absatz aber leicht rückläufig. Und nun eröffnen Sie Ende Oktober eine neue Fabrik, die auf die doppelte Produktionsmenge angelegt ist. Haben Sie sich übernommen mit diesem 40-Millionen-Franken-Bauprojekt?
Zwei Drittel der Kosten betreffen nicht die Fabrikerweiterung, sondern das neue Besucherzentrum und die Büros. Aber ich gebe Ihnen recht: Die kurzfristigen Perspektiven rechtfertigen ein solches Projekt überhaupt nicht. Doch als Familienunternehmen dürfen wir langfristig und grosszügig denken. Das braucht mehr Mut, aber es lohnt sich. Bei kleinen Schritten kann man sich stets mit Zahlen absichern, bei grossen Sprüngen lehnt man sich weit zum Fenster hinaus. Das schafft Freiräume, nicht nur in der Fabrik, sondern auch in den Köpfen der Mitarbeiter.

Woher nahmen Sie den Mut, gut zwei Drittel des Jahresumsatzes in das Bauprojekt zu investieren?
Aus der 88-jährigen Unternehmensgeschichte. Meine Vorfahren bauten Ende der Sechzigerjahre die Fabrik aus. Sie schafften weitblickend Raum für Wachstum, weit über den damaligen Bedarf hinaus. Solche Grossprojekte erzeugen Aufbruchstimmung, während kleine Projekte ähnlich viel Mühe machen, aber ungleich weniger Freude. Schauen Sie, welche Signalwirkung der Bau der Jungfraubahn vor 95 Jahren hatte. Wir brauchen mehr solche Pioniertaten.

Sie stützten sich also mehr auf Ihr Gefühl als auf Marktanalysen.
Ich gehöre nicht zu jenen, die monatlich den Nielsen-Report über die Konsumentenstimmung lesen, um die Planung zu ajustieren. Man kann heute alles quantifizieren und hat unendlich viele Daten zur Hand, doch die Unsicherheit bleibt. Sie finden in diesem Datenmeer Argumente für 20 Prozent Wachstum und solche für einen Rückgang um 20 Prozent. Was den Unternehmer auszeichnet, ist sein Glaube an eine positive Entwicklung. Wenn ich ein Zeichen setze und die Weichen auf Wachstum stelle, hat das auch ein wenig den Effekt einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Lieber etwas wagen und womöglich scheitern, als es aus Vorsicht gar nicht erst versuchen.

Was stimmt Sie zuversichtlich?
Jeden Tag erhalte ich positive Signale. So las ich heute in der Zeitung, dass die Konsumenten in Spanien und Italien wieder mehr Geld für Wein ausgeben. Das Qualitätsbewusstsein wächst, auch in Deutschland, unserem wichtigsten Auslandsmarkt, wo wir 2016 den Durchbruch erzielten. Ragusa wird dort inzwischen als Schweizer Qualitätsschokolade wahrgenommen.

Was ist schweizerisch an Ragusa? Der Kakao kommt aus Ghana, die Haselnüsse aus der Türkei.
Die Milch und der Zucker stammen aus der Schweiz. Bei den anderen Rohstoffen, die hier nicht in genügender Menge verfügbar sind, achten wir sehr genau auf die Qualität und die Anbaubedingungen. In Ghana engagieren wir uns zum Beispiel mit Schulungs- und Infrastrukturprojekten für die 600 Kakaobauern, die für uns produzieren. Darüber hinaus steht Ragusa für Werte wie Eigenständigkeit, Tradition und Kreativität. Mein Grossvater hat Charakter und Mut bewiesen bei der Lancierung und aus der Not eine Tugend gemacht.

Weil er sein Unternehmen 1935 von Bern in den Berner Jura verlegt und dort investiert hat?
1935 waren in Deutschland bereits die Nazis an der Macht, viele jüdische Familien investierten ihr Geld nicht in Unternehmen. Er dagegen kaufte die leere Papierfabrik in Courtelary und dachte nicht an Flucht. 1942, als der Kakao knapp wurde, importierte er Haselnüsse aus der Türkei und erfand den Ragusa-Riegel. Unser wichtigstes Produkt wurde also aus der Not geboren. Diese Tugend, in schwierigen Situationen kreativ zu sein und auf eine gute Entwicklung zu vertrauen, habe ich verinnerlicht.

Sie schildern in Ihrem Buch, dass auch das jüngste Erfolgsprodukt, Ragusa Blond, unter grossem Druck entstanden ist.
Wir wurden 2013 ins Migros-Sortiment aufgenommen, was unseren langjährigen Partner Coop nicht sehr erfreute. Der Coop-Chefeinkäufer machte uns schon im Sommer 2012 klar, dass dieser Schritt zu rund 10 Prozent Einbusse führen könnte. Also stellten wir ihm auf Anfang 2014 eine Innovation in der Ragusa-Familie in Aussicht, welche seine Ausfälle mehr als kompensieren würde. Wir erwogen zuerst ein Ragusa ohne Haselnüsse, eine Variante mit Mandeln und landeten schliesslich bei Ragusa Blanc – einer naheliegenden Lösung, die allerdings niemanden so richtig begeisterte. Dann half uns in letzter Sekunde der Zufall auf die Sprünge: Auf Geschäftsreise in Montreal sah ich bei einem Händler weisse Schokolade, die zu lange gerührt worden war und dadurch einen caramelfarbenen Ton angenommen hatte. In dem Moment dachte ich: «Ragusa Blond – das ist es!» Die Neuheit passte nicht nur perfekt zu unserer Markenbotschafterin Lara Gut, sondern sie machte unsere Marke insgesamt jünger und frecher.

Eine Botschaft Ihres Buches ist denn auch: Man kann den Erfolg nicht mit logischem Denken herbeiführen.
Schokolade ist ein emotionales Geschäft. Es gibt so viel Logik und Struktur in der Geschäftswelt, so viel Zahlen- und Spezialistengläubigkeit und so wenig Intuition, Spieltrieb und Gefühle. Alle wollen professionell sein, und am Ende soll die Marketingabteilung noch die Emotionen reinbringen – so entsteht nichts wirklich Grosses.

Ausgerechnet Sie als Rechtsanwalt plädieren für mehr Emotionalität?
(lacht) Ich bin tatsächlich nicht in der Tradition der Sentimentalität erzogen worden, sondern mehr in Logik, Taktik und Rhetorik geschult. Aber ich war ein Schüler mit ausschweifender Fantasie, was mir die eine oder andere Strafe und schlechte Note eingebracht hat. Manchmal, im Geografieunterricht, schaute ich zum Fenster hinaus und sah Elefantenherden durch die Stadt trampeln. Wir tun auch als Erwachsene gut daran, uns immer wieder mit unserer Traumwelt zu verbinden. Fantasie ist wichtiger als Wissen.

Im Alltag brauchen Sie aber genau so sehr Ihr juristisches Fachwissen. Sie beklagten kürzlich, die gesetzlichen Auflagen wie Swissness-Vorschriften und EU-Verordnung würden den unternehmerischen Spielraum immer mehr einschränken.
Das ist so. Die Zahl der Spezialisten in der Verwaltung, die sich mit uns beschäftigen, nimmt laufend zu – es kommt mir manchmal so vor, als würden 22 Schiedsrichter drei Fussballspieler überwachen statt umgekehrt. Kürzlich hatte der Chef einer Produktionslinie bei uns nach 20 Jahren seinen letzten Arbeitstag, er wechselte zur kantonalen Lebensmittelkontrolle. Ich fand, das war ein schlechter Tag für den Kanton Bern: ein Chocolatier weniger, ein Kontrolleur mehr.

Wie viele Juristen beschäftigen Sie?
Ich bin der Einzige, aber wir haben viele hochkompetente Anwender im Betrieb, die mehr von der Sache verstehen als ich. Ich will nicht mehr Experten einstellen, sondern erfahrene Amateure beschäftigen, die Verantwortung übernehmen. Überall werden hoch spezialisierte Problemlöser herangezüchtet. Dies ergibt Organisationen wie Tausendfüssler, die vor lauter Beinen nicht mehr wissen, wie sie den nächsten Schritt machen sollen. Wenn alles reguliert und spezialisiert wird, ertrinkt man irgendwann im Mittelmass.

Vielleicht sollten Sie in die Politik gehen, um Gegensteuer zu geben.
Ich brauche kein politisches Amt, um mich einzubringen. Ich engagiere mich im Vorstand von Chocosuisse und im Handels- und Industrieverein und suche regelmässig Gespräche mit den Politikern zu wirtschaftlichen Themen.

Wird Ihr Unternehmen auch nach Ihrem Austritt in Familienhand bleiben?
Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt. Mein Bruder und ich haben je drei Kinder, es gibt also mehrere Optionen.

Ihr Grossvater war der Gründer und Pionier, Ihr Vater der autoritäre Patron – wie werden Sie in die Unternehmenschronik eingehen?
Hoffentlich als jemand, der andere wachsen liess. Ich bin sicherlich auch eine Respektsperson, aber meine wichtigste Rolle ist die des Mentors, der das Vertrauen der Leute in ihre eigenen Möglichkeiten fördert. Im Idealfall kommt das dem Unternehmen zugute, manchmal führt es auch dazu, dass langjährige Schlüsselmitarbeiter das Unternehmen verlassen, weil sie darüber hinausgewachsen sind. Ich wurde unzählige Male gefragt, wie es mir gelungen sei, aus dem grossen Schatten meines Vaters zu treten. Ich gebe zu, das war nicht einfach, aber die schwierigste Aufgabe war, aus meinem eigenen Schatten zu treten, mutig zu sein, keine Angst zu haben. Formell werden wir alle frei geboren, aber in Tat und Wahrheit müssen wir uns diese Freiheit nehmen und sie immer wieder verteidigen.


9. September 2017