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«Ich bin süchtig nach Kennenlernen»

Daniel Puntas Bernet begann seine berufliche Laufbahn auf einem Notariat und liess sich dann von Bauchentscheidungen und vom Zufall leiten. Bevor er Reporter wurde, war er als Rezeptionist, Devisenhändler, im Sportmarketing, in chilenischen Weinkellern, als Pizzaiolo und als Sprachlehrer tätig. Vor acht Jahren lancierte er das Magazin «Reportagen», obwohl alle Experten das Projekt für chancenlos hielten. Sein Kontrastprogramm zu Kurzfutter und Videoclips kommt gut an – zur Überraschung des 53-Jährigen besonders beim jungen Publikum.

Interview: Mathias Morgenthaler Foto: zvg


Kontakt und Informationen:
www.reportagen.com oder daniel@reportagen.com

Herr Puntas Bernet, Sie haben wohl zwei Dutzend Berufe ausgeübt. Wie findet man zur richtigen Tätigkeit?
DANIEL PUNTAS BERNET: Indem man rausgeht, viele Menschen und ihre Geschichten kennenlernt. Das bereichert dein Leben und hilft dir zu erkennen, wo du in deinem Element bist. Mir wurde eines Tages klar: Ich bin süchtig nach Kennenlernen. Und ich komme mit allen Menschen leicht ins Gespräch. Ob ich einen Fischer, einen Financier oder einen Fernfahrer treffe – ich will wissen, warum jemand macht, was er tut. Ich kann gar nicht anders. In den Ferien bin ich eine Zumutung für meine Familie. Hinter jeder Speisekarte, jedem Firmenschild entdecke ich Geschichten.
 
Wie haben Sie in der Arbeitswelt Fuss gefasst?
Ich wusste vor allem, dass ich nach den neun Jahren keinen Tag länger in die Schule wollte. Nach zwei, drei Schupperlehren kam ich bei einem Notar in Belp unter, den mein Vater über zwei Ecken kannte. Das war ein Glücksfall. Er war der einzige Notar im Amtsbezirk Seftigen, also gab es keine Kampfscheidung und keinen Erbschaftsstreit, die nicht bei uns gelandet wären. So lernte ich während meiner KV-Lehre nicht nur Büro und Buchhaltung, sondern ich blickte auch tief in die menschlichen Abgründe.
 
Später waren Sie in Spanien in einer Immobilienfirma und in den USA als Devisenhändler tätig. Hatten Sie einen Plan, was aus Ihnen werden sollte?
Nein, ich hatte keinen Plan, das waren spontane Entscheidungen kombiniert mit verschiedenen Zufällen. Die Gegend um Denia in Spanien kannte ich aus den Ferien. Ich war damals mit einem Wirt ins Gespräch gekommen und am Ende hatten wir uns darauf geeinigt, dass ich nach dem Militärdienst in der Schweiz zurückkomme und für ihn arbeite. Im folgenden Jahr packte ich meine Koffer, reiste nach Spanien und klopfte beim Wirt an mit den Worten «Da bin ich nun.» Er hatte das aber offensichtlich weniger ernst gemeint als ich. Einer der Kellner bot mir an, bei ihm zu übernachten, und wenig später konnte ich an der Rezeption einer Immobilienfirma beginnen, weil dort gerade eine deutsche Mitarbeiterin gegangen war. Wenn man alle Anrufe und Anliegen entgegennimmt, lernt man sehr rasch ganz passabel Spanisch.
 
Andere bilden sich jahrelang aus, um eine Sache gut zu beherrschen. Hatten Sie gar kein Bedürfnis nach Sicherheit?
Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, da gab es wenig Sicherheit. Meine Mutter, eine Oberaargauerin, arbeitete in den 1960er-Jahren im Tessin in einer Wäscherei und lernte dort einen Deutschen aus der Nachkriegsgeneration kennen, der sich als Kellner durchschlug. Später war mein Vater als Magaziner, Mineralwasserspediteur, Whiskey-Vertreter, Verkäufer eines Fensterreinigungsgeräts und Erfinder tätig. Ich hatte diese diffuse Sehnsucht nach mehr, nach etwas Grösserem als dieser kleinen Welt in Belp. Zwar spielte ich Fussball bei den Junioren, aber dieses Jassen und Saufen mit den immer gleichen Leuten, dem wollte ich entkommen. Vielleicht habe ich mich deshalb so bereitwillig in Abenteuer gestürzt.
 
Und dann landeten Sie nach der Rückkehr aus Spanien ausgerechnet auf einer Bank.
Einer aus dem Quartier hatte mich überredet, doch bei der Volksbank anzufangen. Ich fand es grausam langweilig dort, aber in einer Abteilung waren immer alle am Telefon, da wollte ich hin. So wurde ich Devisenhändler, lernte in drei Wochen, was es zu wissen gab, nämlich «buy low, sell high», günstig einkaufen und teurer verkaufen – mit etwas Bauchgefühl war das nicht so schwierig. Ich schaffte den Sprung von Basel nach New York, und als ich dort mit meinen Chefs beim Mittagessen sass, gaben sie mir den Auftrag, auf dem Fischmarkt einen guten Händler anzuheuern. Tatsächlich sass der Fischer meiner Wahl einen Monat später als neuer Trainee neben mir am Handelsdesk und wurde später einer der besten Händler. Auf Dauer machte mir meine Tätigkeit wenig Freude, ich verlor oder verdiente für die Bank an einem Tag sechsstelligen Beträge, musste aber mit einem Lohn von 2800 Franken leben und merkte, dass mich New Work mit seinem hohen Rhythmus überforderte. So kam ich zurück nach Basel und landete beim Tennisturnier Swiss Indoors. Turnierdirektor Roger Brennwald ging zum gleichen Physiotherapeuten wie meine Mutter, deshalb hatte ich erfahren, dass er Entlastung suchte.
 
Was war Ihre Aufgabe dort?
Ich war seine rechte Hand und Mädchen für alles. Ich druckte Tombola-Lose aus, organisierte Kuchen für die Ballbuben, holte aber auch Boris Becker vom Flughafen ab, verhandelte TV-Deals in Monaco oder Sponsoring-Verträge in Holland. Und dann reinigte ich wieder Tennisplätze. Ich mochte die Vielseitigkeit meines Jobs und die Emotionen, die beim Sport immer im Spiel sind. Aber mich widerte diese dekadente Cüpli-Welt im Sponsorendorf an. Wenn nicht grad Becker oder McEnroe spielten, machten sich die Besucher wichtig und interessierten sich kein bisschen fürs Tennis. Ich las in dieser Zeit Erich Fromm, «Wege aus einer kranken Gesellschaft», und eines Abends, als ich die Stelle über die Entfremdung des Menschen las, bekam ich derart starke Bauchschmerzen, dass ich zu später Stunde Roger Brennwald aus dem Bett klingelte und ihm kurz vor Mitternacht nach fünf Jahren bei den Swiss Indoors meine Kündigung aussprach. Die Bauchschmerzen waren augenblicklich weg.
 
Und Sie wieder ohne Job.
Ich hatte bis 27 kaum etwas gelesen ausser Comics, Schulstoff und der Zeitung «Sport». Die Ausnahme waren Pablo Nerudas Memoiren «Ich bekenne, ich habe gelebt». Zehn Jahre nach der ersten Neruda-Lektüre fasste ich den Entschluss, nach Chile zu reisen, diese sagenhafte Landschaft zu sehen und etwas mit Wein zu machen. Auch diesmal war es mehr ein Gefühl als ein Plan. Die Reise nach Chile dauerte über ein Jahr, zunächst ab Hamburg mit dem Containerschiff nach Puerto Rico, wo ich in einem Hotel aushalf, später auf dem Rad über die Anden und weiter per Anhalter. In San Cristobal, Venezuela, lernte ich Alejandro kennen, der mich eine Weile auf seiner Kaffeeplantage beschäftigte, in Ecuador war ich als Reiseleiter tätig. Und als ich endlich in Chile angekommen war und in Weinkellern nach Arbeit fragte, rief mich ein Freund aus Devisenhandelszeiten an und sagte, ich müsse sofort nach Chicago fliegen, er habe einen Job für mich.
 
Sie hatten ein Jahr gebraucht für die Reise nach Chile und flogen, kaum angekommen, nach Chicago?
Ich fasste mir selber an den Kopf, aber der Freund hatte das Ticket bezahlt und ich wollte ihn nicht brüskieren. In Chicago erfuhr ich, dass die First National Bank einen Südamerika-Verantwortlichen mit Arbeitsplatz Sao Paulo suchte und dass ich in den nächsten zwei Stunden von sieben Bank-Managern jeweils 15 Minuten befragt und geprüft würde. Um es kurz zu machen: Obwohl ich aus einem anderen Film kam und in Jeans und T-Shirt den Bankern gegenüber sass, hätte ich den Job bekommen. Aber ich hatte in Basel nicht gekündigt, um dann in einer anderen Scheinwelt aufzusteigen. Deshalb lehnte ich ab, reiste zurück nach Chile und heuerte in einer Bodega als Arbeiter an. Es war körperlich sehr harte Arbeit auf den 50‘000-Liter-Fässern, einmal pro Tag gab es etwas zu essen, übernachtet wurde im Schlafsack in der Arbeiterbaracke. Aber diese ehrliche, harte Arbeit gefiel mir gut.
 
Wie kamen Sie schliesslich mit dem Beruf des Reporters in Kontakt?
Es brauchte noch zwei weitere Umwege. Zuerst half ich meinem Vater aus der Patsche, der, kaum hatte er als Unternehmer Konkurs anmelden müssen, mit seiner zweiten Frau und kleinem Kind nach Calpe an der spanischen Mittelmeer-Küste zog, um dort eine Pizzeria zu übernehmen. In Calpe kämpfen 670 Beizen um die Gunst von 10‘000 Einwohnern und ein paar Hunderttausend Gästen im Sommer. Ich half beim Start und servierte dann Pizzas. Als die Direktoren einer lokalen Sprachschule beim Essen über Lehrermangel klagten, empfahl ich meine Dienste. Bald darauf unterrichtete ich Deutsch für Erwachsene und Englisch für Kinder, was mir so gut gefiel, dass ich schliesslich doch noch einen vernünftigen Entschluss fasste: Ich wollte Literatur studieren und dann Gymnasiallehrer werden. Allerdings funkte mir auch bei diesem Vorhaben der Zufall dazwischen.
 
Wie haben Sie selber zum Reporter-Beruf gefunden?
AlIch wollte mit fast 35 endlich einen richtigen Beruf lernen und Gymnasiallehrer werden. Doch als wir während des Literaturstudiums die Gattung Literarische Reportage durchnahmen, fand ich diese Mischung aus Wahrhaftigkeit, Ästhetik und Abenteuer unfassbar spannend. Die Welt zu bereisen und Menschen auszufragen, war immer schon meine grösste Leidenschaft gewesen, und das gab es also als Beruf? Ich befragte Erwin Koch, den grossen Schweizer Reporter, für meine Seminararbeit – und nach diesem Gespräch wusste ich: Ich werde Reporter! Einwände wie die eines Kollegen, der meinte, ich könnte doch gar nicht schreiben, liessen mich kalt. Schreiben kommt erst am Schluss und ist nicht das Wichtigste. Recherchieren, im Gespräch eine Welt erkunden, für ein Thema brennen: Darauf kommt es an.
 
Wie gelang Ihnen der Berufseinstieg?
Meine Grossmutter erzählte mir von einem seltsamen Tunnelunglück am Önzberg, wo die Bahn-2000-Strecke gebaut wurde. Ein italienischer Polier habe eines Tages gesagt, etwas mit dem Berg stimme nicht, die Mannschaft müsse den Tunnel sofort verlassen. Kaum seien alle draussen gewesen, sei der Tunnel eingebrochen. Ich wollte es genauer wissen und lebte für zwei Monate mit den Bauarbeitern in der Baracke, lernte den Polier Nino Colasacco und Dutzende weitere Arbeiter aus Italien, Portugal, Spanien, Jugoslawien, Österreich, Frankreich, Bosnien, Kroatien und der Schweiz kennen. Ich schrieb ihre Geschichte nieder, schickte sie an zehn Verlage und erhielt ebenso viele Absagen. Glücklicherweise las eine Redaktorin der Beilage «NZZ Zeitbilder» den Text und wollte ihn sogleich publizieren. Sonst würde ich heute mit Gymnasiasten Goethe-Gedichte analysieren.  
 
Später wurden Sie Redaktor bei der «NZZ». War Ihnen das auf Dauer zu unspektakulär oder warum gründeten Sie ein eigenes Magazin?  
Die Anfänge im Hintergrund-Teil unter Martin Senns Leitung waren wunderbar. Die Kollegen hatten viele Ideen und setzen mich auf alle möglichen Themen an. Wenn Anfang Woche in «Le Monde» ein Drei-Zeiler über die Geburt des ersten Transplantationsbabys in der Schweiz erschien, lieferte ich am Wochenende die zweiseitige Geschichte. Wenn Franz Müntefering Hedgefonds mit Heuschrecken verglich, machte ich drei Tage später eine Doppelseite zur Frage, wie Hedgefonds eigentlich funktionieren. Im Wochentakt tauchte ich in neue Welten ein, recherchierte bis Freitag spät und schrieb am Samstag früh meine Geschichten. Dann wurde ich dem Wirtschaftsteam zugeteilt und kam viel seltener aus dem Büro. Es kam mir vor, als würde ich hauptsächlich die «Financial Times» übersetzen, mit Experten telefonieren und dann blutleere Geschichte schreiben. Gleichzeitig las ich, worüber Reporter im «New Yorker», im «Harper’s Bazaar» oder «Atlantic» berichteten – und dachte immer öfter, eigentlich müsste es auch im deutschsprachigen Raum ein Magazin mit Reportagen geben.
 
Der «Spiegel» hatte eines, stellte es aber 2001 nach zwei Jahren mangels Erfolg wieder ein.
Das war die offizielle Begründung. Eine andere besagte, dass das Reportagen-Magazin so gut lief, dass es zur Gefahr fürs Hauptblatt wurde. Ich sprach mit dem «Spiegel»-Verantwortlichen und anderen Profis über meine Idee und alle sagten, so ein Projekt sei chancenlos, die Leute wollten keine langen Texte, sondern Kurzfutter. Auch «NZZ»-intern winkten beide Chefredaktoren ab. Von Ringier und Tamedia erhielt ich gar keine Antwort, nur Peter Wanner, Verleger der AZ-Medien, antworte freundlich, zehn Jahre früher hätte er das sofort gemacht, aber jetzt habe er andere Sorgen. Diese Absage hat mich ermutigt. Ich beschloss, es selber zu versuchen, nicht aus einer Garage heraus mit Ehrenamtlichen, die rund um die Uhr arbeiten, sondern solid finanziert mit guten Löhnen. Ich schnappte mir die «BILANZ» mit den 300 Reichsten und suchte ein Jahr lang nach Geldgebern.
 
Sie gewannen Evi Diethelm und die Familie Jansen als Investoren und konnten im Frühling 2011 loslegen mit «Reportagen». Wie können Sie überleben, während grosse Zeitungsverlage reihenweise Stellen streichen?
Auch wir haben uns schon nach einem Jahr eine erste Schlankheitskur verpasst: Wir kürzten die Honorare, reduzierten den Personalaufwand, sparten bei der Produktion und packten noch mehr selber an. Ermutigend war, dass das Produkt von Anfang an gut ankam – wenn auch anders, als ich gedacht hatte. Ich war davon ausgegangen, dass uns vor allem Über-50-jährige Romantiker mit einer Vorliebe für gedruckte Texte lesen würden. Doch wenn man Kiosk-Betreiberin Valora glauben kann, sind wir das jüngste Magazin der Schweiz. Der grösste Kiosk im Zürcher Hauptbahnhof hat 4000 Titel im Angebot. Alle sind grossformatig, vierfarbig, bildlastig und schreien nach Aufmerksamkeit. Wir sind das Gegenteil: A5-Format, kein einziges Foto und auf dem Cover nur das Inhaltsverzeichnis. Alle zwei Monate sechs Geschichten, die das Weltgeschehen anhand eines Einzelfalls beleuchten. Dieser Ansatz holt gerade auch die Jungen ab, die unter der Reizüberflutung leiden. Je mehr Klicks Netflix und Youtube erzielen, desto besser für uns. Die Nutzer merken ja selber auch, dass sie verblöden, und wünschen sich Alternativen zum «Junk Food» fürs Hirn. An eine Reportage, die dich berührt, erinnerst du dich auch zehn Jahre später noch.
 
Funktioniert ihr Heft auch deshalb so gut, weil wir in der Schweiz zwar maximal versichert sind, aber kaum mehr Abenteuer erleben?
Das mag sein. Sicher erlaubt das Lesen uns, den Erfahrungsreichtum zu erweitern. Wenn ich die Reportage von Sabine Riedel über einen Hungerkünstler in St. Petersburg lese, schmecke ich den Wodka auf den Lippen und fühle diese Stadt. Ich war dort mit ihr und muss dann nicht mehr selber hinreisen. Oder wenn Alexander Osang sich dem Berater von Arnold Schwarzenegger an die Fersen heftet und uns mitnimmt in den Wahlkampf in Kalifornien, dann lerne ich den späteren Gouverneur besser kennen als durch tausend TV-Bilder und Zeitungs-Analysen. Glücklich macht mich, dass «Reportagen» nicht nur bei der Leserschaft gut aufgenommen wurde und inzwischen 15’000-mal pro Nummer verkauft wird, sondern auch grosse Autoren uns ihre Geschichten anbieten. Roger Willemsen oder Sibylle Berg schrieben für uns, und Michael Stührenberg, der für «GEO» und den «Stern» jahrzehntelang die Welt bereist hat, entdeckte uns vor seiner Abreise nach Mali am Flughafen und bot mir an, einen Monat länger zu bleiben und ein längeres Stück über die Rebellen zu schicken.
 
Wie oft sind Sie selber noch auf Reportage?
Morgen reise ich zu einem Lavendelbauern in Südfrankreich, aber leider bin ich viel zu selten draussen. Ich hoffe, dass ich eines Tages einen Chefredaktor anstellen kann, um selber wieder mehr unterwegs zu sein. Wenn ich in Lebensgeschichten anderer Menschen eintauchen kann, ist das für mich wie Ferien im Job. Bis es so weit ist, reise ich im Kopf. Ich lese jeden Tag mindestens eine halbe Stunde ausserhalb der Arbeit. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung und meinem Lesetempo gäbe das immerhin noch 318 Bücher für den Rest meines Lebens.
 
Nun veranstalten Sie Ende August in Bern ein dreitägiges Reportagen-Festival und laden 60 Reporter aus aller Welt zu Lesungen und Diskussionen ein. Am Ende kürt eine internationale Jury die beste Reportage. Das klingt nach wenig Lektürezeit und ziemlich viel Organisationsaufwand.
Deswegen sagte ich immer «Vergiss es!», wenn meine Frau wieder einmal fand, wir sollten ein Reportagen-Festival in der Schweiz durchführen. Wir hatten beide mehr als genug zu tun mit der Herausgabe des Magazins «Reportagen», und ich bin nun wirklich kein guter Organisator. Andererseits habe ich eine Schwäche für verrückte Ideen. Mein Traum war, einen globalen Reporterpreis zu verleihen. Ich erzählte Jon Lee Anderson, einem der Stars der Branche, davon, und der sagte gleich, er sei in der Jury dabei. Und wenn du erst einmal drei, vier klingende Namen auf der Liste hast, ziehen viele weitere fast von selber mit.

Und dank dem Preis haben Sie sich auch mit der Durchführung eines Festivals angefreundet?
Mir war die Vorstellung ein Gräuel, irgendwelche Debatten zu Klimawandel und dergleichen anzetteln zu müssen. Durch die Idee, Festival und Reporterpreis zu kombinieren, ergab sich das Programm ganz natürlich: Die nominierten Reporter lesen ihre besten Texte und erzählen aus ihrem Berufsalltag, das Ganze wird von Profis moderiert und übersetzt. Als wir den Preis ausschrieben, erhielten wir 924 Einsendungen. Da wusste ich: Es hat sich gelohnt, mir vorübergehend einen zweiten Job zuzumuten.

Wie haben Sie die Stadt Bern als Veranstaltungspartnerin gewonnen?
Ich rief Marcel Brühlhart, Verwaltungsratspräsident von Bern Welcome, an. Nach drei Minuten unterbrach er mich und sagte: «Klingt faszinierend. Wann können wir uns sehen?» Was Locarno für den Film ist, kann Bern für den Journalismus, für die Reportage werden. Einflussreiche Stimmen aus aller Welt kommen hierher, erzählen ihre Geschichten und bringen dem Publikum die Reportertätigkeit näher – ich freue mich inzwischen sehr auf dieses weltweit erste Journalismus-Festival. Auch deshalb, weil ich weniger organisieren muss als anfänglich befürchtet. Bern Welcome trägt einen Grossteil des Budgets und den administrativen Aufwand, wir können uns auf die inhaltlichen Schwerpunkte konzentrieren.


27. Juli und 3. August 2019