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«Was möchten Sie wirklich machen in Ihrem Leben?»

Als er vor neun Jahren erstmals über das bedingungslose Grundeinkommen las, hielt Daniel Straub die Idee für komplett unrealistisch. Heute ist der Ökonom und Psychologe Co-Leiter der Volksinitiative. Bliebe noch genügend Anreiz zum Arbeiten, wenn wir 2500 Franken vom Staat geschenkt bekämen? «Menschen haben ein natürliches Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun», sagt der 49-Jährige.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Sabina Bobst


Kontakt und weitere Informationen:
www.bedingungslos.ch oder ds@zukunft.ch


Daniel Straub, vom Kritiker zum Befürworter

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Daniel Straub (49) ist mit Christian Müller Co-Leiter der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die beiden arbeiten an der Zürcher Augustinergasse in einem kleinen Raum, in dem das Institut Zukunft angesiedelt ist. Straub absolvierte die Handelsschule und arbeitete bei IBM, studierte dann an der Fachhochschule Luzern Betriebsökonomie, erwarb in den USA einen Master in Internationalen Beziehungen und studierte anschliessend in Bern Psychologie. Danach war Straub bei der Ideenfabrik Brainstore und als IKRK-Delegierter tätig und leitete eine Montessori-Schule. Straub lebt heute mit seiner Lebenspartnerin und zwei Stiefkindern in Zürich.

Herr Straub, seit wann beschäftigen Sie sich mit der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens?
DANIEL STRAUB: Vor neun Jahren las ich erste Artikel zu diesem Thema. Mir war sofort klar, dass das unmöglich funktionieren kann. Dann begriff ich, dass es kein Zusatz sein soll zum heutigen Einkommen, sondern dieses teilweise ersetzen würde. Das machte die Idee für mich realistisch. 2009 lud ich den Drogerie-Unternehmer Götz Werner nach Zürich ein, der sich seit 2005 in Deutschland für ein Grundeinkommen einsetzt. Es kamen enorm viele Zuhörer zu seinem Vortrag, und Werner stellte ihnen die Kernfrage: «Was möchten Sie wirklich machen in Ihrem Leben?»

Diese Frage kann man sich unabhängig von der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens stellen.
Das ist tatsächlich schon heute möglich und einige setzen sich auch intensiv damit auseinander – viele allerdings erst während der «midlife crisis». In jungen Jahren dominieren der Druck und die Angst, den Anschluss zu verpassen. Ab der 5. Klasse erwarten die Eltern von ihren Kindern, dass sie einspuren, gute Noten nach Hause bringen, arbeitsmarktkonform werden. Sonst, so die Befürchtung, werden sie es sehr schwer haben im Leben. Das führt dazu, dass junge Menschen Studien absolvieren und Berufe ausüben, die wenig bis nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben. Sie fügen sich und passen sich an.

Und das Grundeinkommen würde diesen Anpassungsdruck ihrer Meinung nach verringern?
Ja, ein Modell mit Grundeinkommen gäbe jungen Menschen in der Berufsfindungsphase mehr Zeit. Und es würde allen Altersgruppen mehr Spielraum schenken. Es geht um die Grundsatzfrage, ob wir in Freiheit etwas tun, weil wir darin einen wichtigen persönlichen Beitrag sehen, oder bloss unter dem Zwang, unseren Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Wenn wir die fixe Koppelung von Arbeit und Einkommen ein wenig lösen, schaffen wir Raum für mehr Reflexion und sinnvollere Tätigkeiten. Und für eine andere Haltung schon während der Ausbildung. MIT-Professor Andrew McAffee beschreibt in einem TED-Talk, welches Motto an unseren Schulen zu dieser Haltung passen würde: «Die Welt ist ein wunderbarer Ort und deine Aufgabe ist es, sie zu erkunden.» Das ist ein anderer Ansatz als wenn man jungen Menschen signalisiert, dass sie schon in der Grundschule um ihre späteren Jobchancen kämpfen.

Mit einem Grundeinkommen würden sich Jugendliche vielleicht gar nicht mehr um einen Job bemühen. Wenn vier zusammen in einer Wohngemeinschaft leben, haben sie monatlich steuerfrei 10‘000 Franken vom Staat zur Verfügung. So lässt es sich bequem leben.
Eine Schlüsselfrage ist, welches Menschenbild wir solchen Diskussionen zugrunde legen. Ich bin überzeugt, dass der finanzielle Anreiz massiv überschätzt wird. Menschen haben ein natürliches Bedürfnis, tätig zu sein, mit anderen etwas Sinnvolles zu tun. In der heutigen Arbeitswelt ist das nur für wenige möglich. Über ein Drittel der Arbeitnehmenden in der Schweiz haben innerlich gekündigt – das ist mit Studien gut belegt. Diese Menschen haben vor den Sachzwängen kapituliert, sie beziehen mehr Schmerzensgeld als Lohn und mühen sich ab. Das ist schlecht für ihre Gesundheit und für die Produktivität. Wie wäre es denn, wenn Menschen aus freien Stücken und mit echtem Interesse einer Arbeit nachgingen, die sie für wichtig halten?

Sie skizzieren eine Welt voller engagierter und unternehmerisch agierender Menschen. Die Ökonomen von Avenir Suisse dagegen kommen zum Schluss: «Die Gefahr ist gross, dass sich mit dem Grundeinkommen ganze Bevölkerungsschichten – nämlich jene mit geringen Verdienstaussichten – aus dem Erwerbsleben verabschieden würden.»
Der finanzielle Anreiz bleibt ja erhalten, er wäre einfach nicht mehr derart dominant wie heute. Wir schlagen vor, einen Drittel des Bruttoinlandprodukts bedingungslos zu verteilen, zwei Drittel wären davon nicht tangiert. Auf Dauer werden sich die Wenigsten mit 2500 Franken zufrieden geben.

Warum sollte jemand, der in einem 50-Prozent-Pensum 3000 Franken verdient, diesen Job weiterhin machen, wenn er praktisch den gleichen Betrag ohne irgendwelche Auflagen bekommt?
Vielleicht macht er die Arbeit ja nicht primär aus finanziellen Gründen. Im heutigen System wäre sein Lohn für 100-Prozent Arbeit 6000 Franken. Mit Grundeinkommen setzt sich das Einkommen aus 3500 Franken Lohn und 2500 Franken Grundeinkommen zusammen. Somit erhält er neu für ein 50-Prozent Pensum 1750 Franken vom Arbeitgeber. Dazu kommt das Grundeinkommen von 2500 Franken, ergibt ein Gesamteinkommen von 4250 Franken. Möglicherweise würde er den Job auch kündigen und ein eigenes Projekt lancieren. Ich kenne viele Angestellte, die eigene Ideen in der Schublade haben, sie aber nicht in Angriff nehmen aus Angst vor den finanziellen Folgen einer Kündigung.

Das Grundeinkommen würde Firmengründungen begünstigen?
Ich vermute stark, dass sich mehr Menschen selbständig machen, wenn sie finanziell abgesichert werden. Das Grundeinkommen würde auch die Folgen eines unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes abfedern. Heute gibt es in unserer Gesellschaft eine tiefe Kluft zwischen jenen, die im ersten Arbeitsmarkt tätig sind, und allen anderen. Wer seine Stelle verliert, gehört nicht mehr dazu und versucht panisch, wieder irgendwo unterzukommen. Das Grundeinkommen wäre da ein sicherer Sockel, den wir nicht verlieren können.

Sie haben das Modell bereits 2012 im Buch «Die Befreiung der Schweiz» beschrieben. Von was genau muss die Schweiz denn befreit werden?
Wir haben dank den enormen Produktivitätssteigerungen in den letzten Jahrzehnten ein unglaubliches Wohlstandslevel erreicht. Wir wissen aber auch aus Studien, dass die Zufriedenheit seit den Siebzigerjahren stagniert, dass wir den materiellen Erfolg nicht mehr adäquat in Lebensqualität umzusetzen vermögen. Ein Stück weit sind wir Gefangene unseres Erfolgs, wir arbeiten wie verrückt, um weiteres Wachstum und weiteren materiellen Wohlstand zu ermöglichen. Dabei ist klar: Sobald das Wachstum nicht mehr mit der Produktivitätssteigerung Schritt hält, wird es weniger bezahlte Jobs geben und die Vollbeschäftigung wird zur Utopie.

Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin sagt, dass der technologische Fortschritt viele Jobs kosten und der massenhaften Lohn- und Gehaltsarbeit ein Ende setzen wird – allerdings erst in rund 50 Jahren.
Das ist auch unser Zeithorizont. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird weder heute noch morgen eingeführt, sondern etwa in 30 Jahren. Aber wir sollten uns bereits heute intensiv damit auseinandersetzen, wie wir die pure Marktwirtschaft durch eine soziale Komponente ergänzen können. Wir diskutieren derzeit viel über die Gefahren und negativen Auswirkungen eines Grundeinkommens. Wir sollten uns auch fragen, ob das Festhalten am Status Quo überhaupt möglich ist. Veränderungen sind immer ein Risiko, sich nicht zu verändern, ist oft ein noch viel grösseres Risiko.

Ist es nicht ein hoher Preis, wenn wir alle zu Empfängern staatlicher Fürsorgegelder werden?
Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine unglaubliche Wertschöpfung erzielt. Einige werden dafür fürstlich entlöhnt, andere, die sich um Haushalt, Erziehung und Pflege kümmern, erhalten nichts, obwohl sie wesentlich dazu beigetragen haben. Oft sind das Frauen. Ich setze mich dafür ein, dass in Zukunft alle eine Art Flatrate erhalten, die an keine Bedingungen geknüpft ist. Gleichzeitig ist das Grundeinkommen die Aufforderung, sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen.

Das klingt sehr schwammig. Konkreter ist die Befürchtung, dass niemand mehr die Niedriglohnjobs wie Müllabfuhr und Gebäudereinigung verrichten würde.
Wer verrichtet diese Arbeiten denn heute? Da werden Menschen ausgenutzt und dazu gezwungen, einen Job zu machen, den wir nicht übernehmen wollen. Ein Grundeinkommen würde den Druck erhöhen, attraktivere Arbeitsplätze zu schaffen. Vielleicht würden wir uns dann auch ernsthaft fragen, warum wir den Menschen, denen wir unser Geld anvertrauen, doppelt so viel zahlen wie jenen, denen wir unsere Kinder anvertrauen.

Klar ist: Der Zuwanderungsdruck auf die Schweiz würde massiv steigen, wenn alle Erwachsenen 2500 Franken vom Staat erhielten. Rudolf Strahm sprach deshalb von einer «Strategie für die Robinsoninsel».
Die Schweiz ist aus ökonomischer Sicht schon heute gigantisch attraktiv, die Regulierung der Zuwanderung wird deshalb in den nächsten Jahren zu einer grossen Aufgabe – ob mit oder ohne Grundeinkommen. Wenn die Schweiz mit Mut voranginge und das Grundeinkommen als erstes Land einführen würde, wäre das eine humanitäre Tat, welche allen Völkern dienen würde. Damit wird die Regulierung der Zuwanderung vermutlich anspruchsvoller, aber nicht zu einem unlösbaren Problem. Auch heute haben Migranten nicht sofort und ohne Einschränkung Anrecht auf unsere Sozialleistungen, man kann solche Dinge also mit Fristen und Übergangslösungen regeln. Ich halte die Migration für ein komplexes Thema, es stellt die Machbarkeit des Grundeinkommens aber nicht in Frage.

Aber es muss Ihnen doch zu denken geben, dass Mitinitiant Oswald Sigg Anfang Woche verkündet hat, das Grundeinkommen könne nicht isoliert in der Schweiz eingeführt werden, sondern höchstens in einem europaweiten Verbund.
Ich teile seine Einschätzung nicht. Das Grundeinkommen spaltet die SP. Deshalb steht Oswald Sigg wahrscheinlich unter grossem Druck.

Selbst in SP-Kreisen finden sich wenig Befürworter der Initiative.
Das stimmt so nicht. Soeben haben die SP Thun und die SP Thurgau die Ja-Parole beschlossen. Wichtige Exponenten wie Anita Fetz, Andreas Gross und Cédric Wermuth sind dezidierte Befürworter.

Beschleichen Sie selber manchmal Zweifel, ob die Initiative nicht Gutes bezwecken, aber Schlechtes bewirken könnte?
Ich gebe gerne zu, dass ich heute längst nicht auf alle Fragen Antworten habe. Aber als John F. Kennedy sagte, Amerika würde in acht Jahren einen Mann auf den Mond schicken, ging es ihm ähnlich. Er erntete dafür sehr viel Kritik und haufenweise Beweise, dass dies unmöglich sei. Derzeit gibt es noch keine Mehrheit für ein Grundeinkommen. Wenn eine Mehrheit davon überzeugt ist, dass das der richtige Weg ist, werden wir die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen können.

Wann endet Ihr Mandat als Co-Leiter der Volksinitiative und wer bezahlt Ihren Lohn?
Meine Aufgabe endet am Sonntag 5. Juni. Sie wurde ermöglicht von einer Unternehmerin, die überzeugt ist, dass die Zeit für das bedingungslose Grundeinkommen reif ist. Die Frage, wie wir von einem bequemen zu einem guten Leben kommen, wird mich auch nach dem Abstimmungssonntag beschäftigen. Das ist Teil meiner Arbeit beim Institut Zukunft, das den Status Quo hinterfragt und über radikal neue Lösungen zur Steigerung der Lebensqualität nachdenkt. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass es wichtigere Indikatoren gibt für ein gutes Leben als materieller Wohlstand.


30. April 2016