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«Als wäre ich gerade erst in den riesigen blauen Ozean gesprungen»

Als Schuhmacher trat Dominik Risch zunächst in die Fussstapfen seines Grossvaters und Vaters. Nach aufwühlenden Lehr- und Wanderjahren lancierte Risch vor vier Jahren in Zürich seine eigene Marke, die Kundennähe, Online-Shopping und italienische Handwerkskunst kombiniert. Mit seinem Konzept, Massschuhe zu erschwinglichen Preisen anzubieten, hat Risch eine Marktlücke besetzt.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
contact@risch-shoes.com oder www.risch-shoes.com


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Dominik Risch: «Meine Frau hat einen sehr gut dotierten Job in der Finanzindustrie aufgegeben, um ebenfalls bei Risch Shoes einzusteigen.»


Herr Risch, das Schuhmacher-Metier wird selten genannt, wenn Schulkinder nach ihrem Traumberuf gefragt werden. Warum sind Sie Schuhmacher geworden?

DOMINIK RISCH: Etwas Anderes stand nie zur Debatte. Ich bin in der Schuhwerkstatt aufgewachsen, half jeden Tag nach der Schule meinem Grossvater und atmete den Ledergeruch ein. Da ich lange Zeit keine genaue Vorstellung davon hatte, was ich mit meinem Leben anfangen könnte, nahm ich nach der Handelsschule wie selbstverständlich die Schuhmacherlehre in Angriff. Für mich war es klar, dass ich dereinst den Familienbetrieb übernehmen würde. Gleichzeitig fühlte ich mich ein wenig gefangen in dieser Familiengeschichte.

Haben Sie deshalb nach fünf Jahren im Familienbetrieb das Weite gesucht?

Wenn die Eltern oben im Haus wohnen und unten das Geschäft betreiben, ist das eine kleine Welt. Irgendwann begann ich, mich in halb Europa zu bewerben. Durch einen zufälligen Kontakt konnte ich die Verantwortung für den Einkauf bei Bally Schweiz übernehmen, später die internationale Damenschuh-Entwicklung bei Bally leiten. Ich erhielt in der Folge viele verlockende Angebote von internationalen Schuhmarken, aber als mein Vater mich fragte, ob ich das Familienunternehmen nun mit meiner Schwester übernehmen möchte, zweifelte ich keinen Moment daran, dass das meine Aufgabe war.

Übernahmen Sie das Geschäft in einem guten Zustand?

Ja, meine Eltern waren sehr erfolgreich gewesen, es mangelte auch nicht an zahlungskräftiger Kundschaft in Liechtenstein. Nach der Stabsübergabe lief es sogar noch besser. Trotzdem träumte ich regelmässig davon, noch etwas ganz anderes zu machen. Eines Morgens im Dezember 2006 trommelte ich die Familie zusammen und eröffnete ihr meinen Entschluss, das Unternehmen und das Land zu verlassen. Ich musste weg, weit weg. Die Anfrage eines Kollegen, ob ich mit ihm eine Sportschuhsohle in Shenzhen, China, entwickeln möchte, kam wie gerufen. Ich lernte an der Universität Yunnan Chinesisch und fuhr danach mit dem Velo 2600 Kilometer bis nach Lhasa im Tibet.

Das klingt ein wenig nach Flucht.

Ja, manchmal muss man weit reisen, um sich selber zu begegnen. Ich war in vielerlei Hinsicht ein Spätzünder mit Hang zum Grübeln und zur Schwermut. Erst durch die grosse Distanz und die körperlichen Strapazen fühlte ich mich frei und bekam ein Gefühl dafür, wie ich mein Leben gestalten möchte. Nachdem ich über das Dach der Welt gefahren und dabei mehrmals an meine Grenzen gekommen war, wusste ich mit erstaunlicher Klarheit: Ich will mit meiner Freundin eine Familie gründen und beruflich in Zürich etwas Eigenes aufbauen. Nach einem kurzen Abstecher in die Unternehmensberatung realisierte ich schliesslich jene eigene Idee, die ich mindestens 15 Jahre mit mir herumgetragen hatte.

Was ist der Kern dieser Idee?

Mein Ziel war es, den Kunden Massschuhe zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Einen Massschuh nach individuellen Vorgaben von Hand zu produzieren, ist sehr teuer – dafür bezahlt ein Kunde mindestens 3000 Franken. Die Schuhe, die wir anbieten, kosten zwischen 320 und 580 Franken. Der Kunde lässt sich einmalig den Fuss dreidimensional vermessen, danach ist sein 3D-Scan-Profil in unserer Datenbank gespeichert. Er kann dann aus allen 33 Modellen, die wir derzeit im Sortiment führen, auswählen und weiss, dass er ein auf seine Passform zugeschnittenes und in italienischer Handwerkskunst gefertigtes Paar bekommt. Ich wollte also nicht nur hochwertige Produkte anbieten, sondern auch den Einkaufsprozess stark vereinfachen. Wenn Sie nämlich an der Bahnhofstrasse in den Schuhladen Ihrer Wahl gehen und sagen, sie möchten nochmals den gleichen Schuh wie vor einem Jahr, dann wird der Verkäufer den Kopf schütteln und Ihnen die neue Kollektion mit veränderter Passform vorführen.

Wie haben Sie Ihre ersten Kunden gefunden?

Der Anfang war schwierig. Ich begann wirklich mit einem weissen Blatt Papier und einem Stift. Mir war zwar klar, dass ich aufgrund meines Ansatzes und meiner Branchenkenntnisse einen wirklichen Mehrwert zu bieten hatte gegenüber den teilweise austauschbaren Marken. Ich kann einen Wahnsinnsschuh für 320 Franken anbieten, der im Handel normalerweise 750 Franken kostet. Um zu Beginn herauszufinden, ob mein Konzept in der Praxis funktioniert, schrieb ich ein Rundmail an all meine Kumpels und lud sie ein, meine Geschäftsidee zu testen. Viele von ihnen liessen sich die Füsse vermessen – das war die Pilotphase. Meine Frau und ich mussten in dieser Zeit auf einiges verzichten, aber man lernt so unglaublich viel bei der Lancierung einer Geschäftsidee, dass wir diesen Preis gerne bezahlten.

Fanden Sie Kreditgeber oder Investoren?

Ich stellte meinen Businessplan der Zürcher Kantonalbank vor, die sich in dieser Zeit gerade für ihr Engagement bei KMUs rühmte. Aber natürlich gibt dir keine Bank einen Kredit, wenn du keine Sicherheiten vorweisen kannst. Bald freundete ich mich damit an, das Risiko selber zu tragen. In Unternehmerfamilien gewöhnt man sich das Zweifeln ab, man muss immer in Vorleistung gehen und dann mit viel Arbeit und Kundennähe dafür sorgen, dass etwas ein Erfolg wird. Ich habe in diesen letzten vier Jahren unglaublich viele Glücksmomente erlebt, die man vermutlich nur provozieren kann, wenn man etwas aufs Spiel setzt und sich mit Haut und Haar für eine Sache ins Zeug legt.

Wie hat sich der Kundenkreis entwickelt in den vier Jahren?

Wir haben heute fast 4000 Kunden in der Schweiz. Viele von ihnen sind zu Botschaftern geworden. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass ich nichts mehr darstellen muss, was ich nicht bin. Ich fühle mich in meinem Element, kann meine Kreativität ausleben, strategisch denken, in persönlichen Gesprächen von Kunden lernen, aber auch einmal auf die Hinterbeine stehen und Nein sagen, wenn mir etwas gegen den Strich geht. Dieser Spielraum gefällt mir. Wir dürfen auch Fehler machen und können sie sofort korrigieren. In letzter Zeit werde ich oft angefragt, ob ich in Business-Clubs über meine Tätigkeit reden würde. Mir wurde klar: Nicht alle haben das Glück, ein so fantastisches Naturprodukt herzustellen. Andere sitzen 10 Stunden pro Tag vor dem Computer und haben am Abend nichts in der Hand. Meine Frau hat einen sehr gut dotierten Job in der Finanzindustrie aufgegeben, um ebenfalls bei Risch Shoes einzusteigen.

4000 Kunden in knapp vier Jahren ist eine stolze Zahl. Was sind die nächsten Ziele?

Wir wollen nichts überstürzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich oft lohnt, den beschwerlichen Weg zu gehen, auch wenn man ein wenig langsamer vorankommt. Derzeit arbeiten fünf Leute für das Unternehmen. Denkbar ist, dass wir unser Konzept auch im benachbarten Ausland umsetzen, selber oder mit lokalen Partnern.

Sind Frauenschuhe kein Thema?

Ich hätte grosse Lust, ein Sortiment aufzubauen – und habe das fertige Konzept schon im Kopf. Aber Frauenschuhe sind brutal schwierig. Im Vergleich zum Männerschuh gibt es unendlich viele Leistenformen, man muss wahnsinnig aufpassen, dass Leisten und Schnitt perfekt passen. Wir sind noch nicht reif für diesen Schritt, derzeit brauchen die Männer noch zu viel Aufmerksamkeit. Zudem habe ich noch sehr viele Ideen für die Herrenschuhe. Am Anfang beschränkten wir uns darauf, die obligaten Anzugschuhe mit mehr Klasse und Pfiff zu machen. Dann kamen Boots und vor kurzem Golfschuhe dazu, jetzt machen wir erste Gehversuche mit Sneakers aus pflanzlich gegerbtem Kalbsleder aus der Toscana. Mich hat es nie gereizt, einen Schuh mit Materialwert von 10 Franken durch Marketing zu pushen und für 240 Franken zu verkaufen. Mein Ziel ist es immer, hochwertige und langlebige Klassiker herzustellen und mich um jedes Detail zu kümmern. Tagelang an etwas scheinbar Nebensächlichem zu tüfteln – das ist wahrer Luxus.

Zum Beispiel?

Es gibt Hunderte von Arten, aus einer Tierhaut durch sorgfältige Handeinfärbung und spezielle Schnittmuster ein Maximum herauszuholen. Bei der Massenproduktion ist das Leder tot, zugekleistert von viel zu viel Farbe. (Er greift einen braunen Schuh) Bei diesem behutsam gefärbten Material erkennt man die Lederstruktur, sieht sogar kleine Äderchen auf der Seite. Oder diesen Schuh haben wir 4 Millimeter länger gemacht als die klassische Variante, dazu eine stärkere Sprengung verwendet, was ihn weniger brav erscheinen lässt. Oder hier sehen sie dreimal den gleichen Schuh, aber es wirkt so, als wären es komplett verschiedene Modelle, weil die Sohle so unterschiedlich gestaltet ist. Mir kommt es nach vier Jahren immer noch vor, als hätte ich neu begonnen, als wäre ich gerade erst in den riesigen blauen Ozean gesprungen.


19. April 2014