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Das Smartphone, das nichts kann und vieles in Frage stellt

Normalerweise arbeitet Horst Bohnet mit Hammer und Meissel am Stein. Doch vor zwei Jahren ging der Zürcher Bildhauer unter die Smartphone-Produzenten. Sein iStone kommt komplett ohne Strom aus, ist strahlungsfrei und abhörsicher. Darüber hinaus regt es zum Nachdenken und Diskutieren an. Trotz hoher Nachfrage hat Horst Bohnet die Produktion vor kurzem eingestellt. Mehr als 2500 iStones wird es nicht geben.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.i-stone.ch oder info@horstbohnet.ch


Das Smartphone, das nie aufgeladen werden muss

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Leider bereits kurz nach Publikation des Interviews ausverkauft: Horst Bohnets iStone, limitiert auf 2500 Exemplare.

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Herr Bohnet, warum sind Sie als Bildhauer unter die Smartphone-Produzenten gegangen?
HORST BOHNET: Es begann damit, dass ich in meiner Wohngemeinde Buchs angefragt wurde, ob ich die 1.-August-Rede halten würde. Da gerät man als Bildhauer natürlich in Verlegenheit. Ich bringe meine Gedanken und meine Sicht auf die Welt in dreidimensionalen Gebilden zum Ausdruck, nicht in geschliffenen Worten. Während ich über die Skulptur als Medium der Kommunikation und Verständigung nachdachte, wurde mir bewusst, dass heute praktisch all unsere Kommunikation über das Smartphone läuft. Und da kam ich auf die Idee, als Pointe meiner Rede ein selbst gefertigtes Smartphone zu präsentieren, das allen anderen haushoch überlegen ist: weil es nie aufgeladen werden muss, komplett abhörsicher ist und der Besitzer damit rund um die Uhr nicht erreichbar ist.

Wie haben die Besucher der Feier darauf reagiert, dass Sie ein Stück Stein als ideales Smartphone präsentierten?
Es gab lebhafte Diskussionen, über Entschleunigung, virtuelle Kontakte und Begegnungen von Angesicht zu Angesicht, über Vorzüge von Online und Offline und das Erleben der Natur. Aber auch darüber, wie wir uns am Tisch verhalten, ob wir es normal finden sollen, wenn wir uns mehr für das Display unseres Smartphones interessieren als für unser Gegenüber. Ich bin da kein Dogmatiker. Als Bildhauer bin ich zwar in der Steinzeit angesiedelt, schaffe aus uraltem Material Skulpturen, welche die Zeit überdauern – in körperlicher, fast schon archaischer Arbeit, mit Hammer und Meissel. Ich möchte aber nicht das Rad der Zeit zurückdrehen. Es geht mir mehr darum, dass wir verstehen, was passiert. Jedenfalls hat meine Smartphone-Skulptur den Nerv der Zeit getroffen. Ich erhielt einige Anfragen, ob man das Teil bei mir bestellen könne.

Und dann gingen Sie kurzerhand in Serienproduktion?
Ja, da entschied ich mich, zum iStone-Produzenten zu werden. Das war allerdings schwieriger als gedacht. Mir war klar, dass der gewünschte Irritationseffekt nur zu erzielen war, wenn meine Kopie dem Original aus dem Hause Apple zum Verwechseln ähnlich sah. Nur als Hightech-Designobjekt hatte mein iStone die gewünschte Ausstrahlung. Ich suchte monatelang nach dem richtigen Stein. In der Schweiz gibt es keinen schwarzen Granit, im restlichen Europa auch nicht. Schliesslich standen Simbabwe, Indien und China zur Auswahl, und ich landete – wie die meisten Smartphone-Produzenten – in China. Shanxi Black, der Stein meiner Wahl, wird sonst für Böden und Fassadenverkleidungen benutzt.

Wie wird man als Zürcher Bildhauer mit einem chinesischen Granitlieferanten handelseinig?
Ich brauchte zunächst einmal einen Quadratmeter Granit – bei dieser geringen Bestellmenge bekommt jedes chinesische Unternehmen einen Lachanfall. Glücklicherweise entdeckte ich die Plattform Fair Stone und kam so mit einem deutschen Importeur von Natursteinen in Kontakt. Bei ihm konnte ich ein Muster für meine ersten Rohlinge bestellen. Ein Jugendfreund, der als Prototypenbauer in der Metallindustrie tätig ist, half mir bei der Entwicklung eines eigenen Geräts zum Bearbeiten der iStones. Schliesslich fand ich einen Partner, bei dem ich mit Laser das iStone-Label anbringen kann, und einen Lieferanten für die Software: in meinem Fall eine graue Hülle aus Merinowolle. Ich erarbeitete ein Usermanual zu meinem Gerät, zwei Freunde gestalteten einen Webshop und eine Facebook-Seite dazu und meine Partnerin übernahm den ganzen Bürokram. Auch die drei Töchter waren mit Frankieren und Verpacken involviert.

Haben Sie sich in all der Zeit nie gefragt, ob es sich lohnt, Hunderte von Stunden in die Produktion eines komplett nutzlosen Smartphones zu investieren?
Ich bin mir nicht so sicher, ob das iStone wirklich nutzlos ist. Kürzlich erzählte mir ein Manager, er lege jeweils zu Sitzungsbeginn ein iStone auf den Tisch – als Statement und Aufforderung an die Teilnehmer, auf Multitasking zu verzichten. Ich sehe mich als Hofnarr in unserer durch und durch digitalen Kultur. Mag sein, dass viele nur den Kopf schütteln angesichts meiner Veräppelung, aber auch beim Kopfschütteln kann etwas in Bewegung kommen. Wir nehmen viele unsinnige Dinge heute für selbstverständlich, da kann ein wenig Irritation und ungläubiges Staunen nicht schaden. Mir bereitet es grosses Vergnügen, wenn ich jemandem dabei zuschauen kann, wie er den On/Off-Knopf an meinem iStone sucht oder den versteckten Kern, das getarnte Display.

Solches entschädigt Sie für all den Aufwand? Wirtschaftlich dürfte sich die Produktion bei einem Verkaufspreis von 88 Franken nicht rechnen.
Wenn jemand gerne fischen geht und Ihnen am Abend stolz seinen Fang serviert, brechen Sie das dann auf Franken und Rappen herunter und fragen, ob es sich gelohnt hat? Es geht doch immer auch um die Frage, wie man seine Lebenszeit nutzt, womit man sich beschäftigt. Die iStone-Produktion war nie in erster Linie ein Business, sondern ein Akt der Neugier, ein Abenteuer, ein Statement, ein Hobby, das zeitweise zur Besessenheit wurde. Wenn ich mich einmal in etwas verbeisse, lasse ich nicht so schnell wieder los. Inzwischen, nach rund 2000 verkauften Exemplaren, arbeite ich kostendeckend. Bei 2500 Stück wird aber Schluss sein. Ich bin ja Künstler, kein Industrieunternehmer. Mein Produkt hat in den knapp zwei Jahren sehr viele Fans und Aktivisten gewonnen, es hat also durchaus einen sozialen Impact.

Sie leben mit ihrer 5-köpfigen Familie und vielen Tieren auf einem Bauernhof. Greifen Sie selber von Zeit zu Zeit zum Smartphone?
Nein, ich leiste mir den Luxus, darauf zu verzichten. Noch vor 30 Jahren war es ein extremer Luxus, unterwegs telefonieren zu können. Die Geräte kosteten Tausende von Franken und konnten fast nichts. Heute telefonieren die Leute pausenlos, im Auto, im Zug, in der Sitzung, beim Essen. Wenn 20 Leute an der Bushaltestelle stehen, schauen 18 davon auf ein Display. Ich habe meine Zweifel, ob uns das gut tut. Und ich schütze mich davor, mich in diesen Geräten zu verlieren, weil ich mich noch genau erinnere, wie ich als Kind den Versuchungen des Fernsehens erlegen bin. Als Bildhauer bin ich ganz glücklich, einfach mit dem Stein konfrontiert zu sein und in aller Einfachheit eine Form herauszuarbeiten, die schon in ihm angelegt ist. Ich habe unendlich viele Möglichkeiten mit Meissel und Hammer, mehr als ich bis zum Ende meines Lebens ausschöpfen kann. Warum sollte ich mich zusätzlich verzetteln?

Was gewinnen Sie im Alltag durch den Verzicht auf ein Smartphone?
Ich kann in aller Regel das tun, was ich mir vorgenommen habe. Ich entscheide mich bewusst fürs Fotografieren, fürs Schreiben, fürs Musikhören oder Telefonieren und gehe dieser Tätigkeit mit innerer Ruhe und in voller Intensität nach. Wenn wir immer alle Optionen greifbar haben, verliert das Einzelne an Wert, an Attraktivität. Barfuss durch den Schlamm zu stapfen hat eine andere Qualität als im Computerspiel Hindernisse zu überwinden. Einen Tag mit offenen Sinnen in der Natur zu verbringen berührt uns anders als wenn wir die Natur abfotografieren, die Fotos sofort mit der halben Welt teilen und uns durch Likes und Kommentare stimulieren lassen. Es ist wahnsinnig schwierig, sich nicht zu verlieren im Bedürfnis nach Liebe, Anerkennung und News. Es ist, als hätten Sie den ganzen Tag eine offene Guetzli-Büchse auf dem Tisch, dürften aber nur zwei Guetzli essen. Ich schaffe das nicht.


9. April 2016