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«Das Glück kommt und geht, es nimmt sich, was es will»

Tagelang Steintürme bauen, Blumen auslegen, Schneeskulpturen errichten: Ivo Moosbergers Arbeit ist nicht nur vergänglich, sondern auch «komplett unvernünftig». Doch das monatelange Verweilen in der Natur hat für den 42-jährigen Landart-Künstler einen doppelten Nutzen: Er empfindet das Alleinsein in der Stille als Wohltat. Und seine Naturschauspiele erreichen ein immer grösseres Publikum.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: Ivo Moosberger


Kontakt, weitere Informationen und Daten der Vorträge:
www.naturschauspiele.ch oder info@naturschauspiele.ch


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Kugeln aus Weidenrutenringen im Zugersee.

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Butterblumenringe am am Passo Campolungo – nach Gewitter und Sturm leuchten sie am dritten Tag in der Morgensonne.

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Unvernünftig, aber beglückend: In dreitägiger Arbeit hat Ivo Moosberger aus Weideruten diese Trompetentürme geformt.

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«Fossil» aus rostroten Steinen am Fuss der Windgällen.


Herr Moosberger, Sie schaffen vergängliche Kunstwerke in der Natur. Was hat Sie dazu inspiriert?
IVO MOOSBERGER: Ich war als Kind ein grosser Sammler, habe von meinen Ausflügen immer jede Menge Muscheln, Steine, Hölzer und dergleichen mit nach Hause getragen. Irgendwann wurde mir bewusst, dass all die kleinen Schätze der Natur durch Transport und Anhäufung an Wert verlieren. Der schönste Stein verliert an Glanz, wenn er in einem Zimmer liegt statt in einem Bachbett. So begann ich Jahre später, mich an Ort und Stelle mit meinen Fundstücken auseinanderzusetzen, Steintürme zu bauen, Muster auszulegen mit Blättern, Blumen oder Schnee.

Wer sich als Künstler in der Natur betätigt und aus ihr schöpft, wird früher oder später mit dem Verdacht konfrontiert, den bekannten Landart-Künstler Andy Goldsworthy zu kopieren. Welche Bedeutung hatte sein Werk für Sie?
Zunächst gar keine. Als ich mit gut zwanzig begann, die Formen und Muster in der Natur zu untersuchen und daraus Kunstwerke zu schaffen, hatte ich keine Ahnung, dass das eine eigene Kunstform ist. Der Hauptantrieb war nicht künstlerischer Ehrgeiz, sondern draussen zu sein und den Rhythmus und die Sprache der Natur besser zu verstehen. Das Fotografieren der Objekte, die ich auf diese Weise schuf, war meine Art, Tagebuch zu führen. Er erlaubte mir, weiterhin etwas mit nach Hause zu nehmen und mit anderen zu teilen. Die Auseinandersetzung mit anderen Landart-Künstlern kam erst später.

Können Sie von dieser Kunst leben?
Ich lebe mehr dafür als davon. Am Anfang war es ein reines Hobby. Ich wäre gerne Grafiker geworden, absolvierte aber die Typografen-Lehre. Das war eine sehr technische Angelegenheit, ich lernte, Designvorgaben umzusetzen, sass die meiste Zeit am Computer, wendete das gelernte Handwerk an, ohne viel Spielraum für Kreativität zu haben. Das soll nicht undankbar klingen, ich mache diese Arbeit seit 25 Jahren am gleichen Ort und ich mache sie gerne, aber ich brauche eine Ergänzung dazu. So nahm ich mir immer wieder Auszeiten für ausgedehnte Reisen auf allen Kontinenten. Die letzte grosse Reise führte mich mit meiner damaligen Partnerin und dem Velo durch Zentralasien, den Nahen Osten und zurück in die Schweiz. Im Tibet mussten wir oft das Velo schieben, manchmal auf 5500 Meter über Meer über sandige Strassen und steinige Wege. Da schwor ich mir: Nach 20 von Fernweh geprägten Jahren will ich das nächste Mal die weite Welt vor der Haustür erkunden.

Sie sind dann 10 Monate lang kreuz und quer durch die Schweiz gewandert und haben 6000 Kilometer zurückgelegt. Wie haben Sie sich auf dieses Abenteuer vorbereitet?
Mein Arbeitgeber kennt mich gut genug, dass er mir solche unbezahlten Auszeiten alle paar Jahre zugesteht. Ich musste also nur die Wohnung untervermieten, eine Schweizer Landkarte kaufen, meinen Rucksack packen und losmarschieren. Logistisch war das keine grosse Sache, ich hatte mein Zelt dabei, einen Hobokocher, den Fotoapparat, das Mobiltelefon für den Wetterbericht, eine Solar-Ladestation und ein paar Kleider. Und natürlich musste ich meinen Terminkalender und mein Pflichtenheft entrümpeln, mich aus allen Zwängen befreien. Aber darin hatte ich schon eine gewisse Übung.

Was hatten Sie geplant und wie erlebten Sie die ersten Tage in der Natur?
Ich hatte weder eine Route festgelegt noch ein Ziel definiert. Bei jeder Abzweigung entschied ich mich spontan für links oder rechts. Ich brauchte drei bis vier Wochen, bis ich mich wohl fühlte damit. Am Anfang war ich viel zu schnell losgelaufen und abends jeweils fast zu müde, um noch das Zelt aufzustellen. Die Erschöpfung half mir vermutlich dabei, ganz leer zu werden und abzuschalten. Schnell wandelte sich das Gefühl der Verlorenheit und Einsamkeit in eine tiefe Zufriedenheit. Der Raum, der sich in der Stille öffnete, war nicht länger bedrohlich, sondern wurde eine Wohltat. Ich fühlte eine befreiende Leere im Kopf, ein Aufgehoben-Sein im Moment, eine Offenheit und Dankbarkeit für all die Sinneseindrücke. Ich bestieg bewusst keine Gipfel, sondern marschierte kreuz und quer im eigenen Rhythmus und verweilte dort, wo mich etwas dazu einlud.

Schlägt das nicht aufs Gemüt, wenn man 10 Monate fast rund um die Uhr allein ist?
Ich war ja nicht isoliert, sondern traf immer wieder auf Bergbauern, Wanderer und Ausflügler. Manche verwickelten mich in Gespräche, zum Beispiel, weil sie mich mit dem TV-Wanderer Nik Hartmann verwechselten. Kam es zu längeren Gesprächen, war ich meistens eher in der Zuhörerrolle. Aber natürlich war ich sehr viel allein, abends, in der Nacht im Zelt, am frühen Morgen. Dieses Frei- und Alleinsein kann schwierig und wunderschön sein – die meiste Zeit habe ich die Stille sehr genossen. Hilfreich war, dass ich durch die Landart-Projekte eine Aufgabe hatte. Ich genoss es, im Alter von 42 Jahren dieser kindlichen, komplett unvernünftigen Tätigkeit nachgehen zu dürfen; tagelang an einem Ort zu verweilen, zu beobachten, ein Gefühl für eine Gegend zu entwickeln. Und dann tagelang zu versuchen, in einem Karstgebiet 180 passende Steine zu finden und daraus einen Steinbogen zu bauen.

Wie baut man einen Steinbogen?
Ich stützte ihn mit Schnee, wartete bis der Schnee schmolz und harrte aus, um zu sehen, ob der Bogen ohne Unterlage trägt oder in sich zusammenfällt. Manchmal arbeitete ich tagelang an einem Werk und kurz vor der Fertigstellung machte ein Gewitter all die Arbeit zunichte. Viele Werke, die im Bildband schön anzusehen sind, wären nicht möglich gewesen ohne unzählige Anläufe, klamme Hände, stundenlanges Ausharren im Regen oder Schnee. Und immer gibt es einen Teil, über den ich keine Macht habe. Bei Blätterketten im Wasser beispielsweise braucht es viel Glück, dass sie sich in einem schönen Muster anordnen und nicht von der Strömung oder von Wellen zerfetzt werden. So gesehen ist die Natur eine grosse Lehrerin. Sie zeigt uns: Das Glück verhält sich wie Ebbe und Flut. Es kommt und geht, nimmt sich, was es will. Oft spült es auch Neues vor die Füsse. Dann braucht man es nur zu sehen und aufzuheben. Und oft belohnt es den Hartnäckigen, der beharrlich arbeitet und gleichwohl offen bleibt für das Unerwartete.

War das Ganze ein privates Projekt oder sehen Sie sich als Botschafter einer speziellen Sache?
Zunächst einmal ist es ein guter Ausgleich und eine Lebensschule für mich. Darüber hinaus möchte ich mit meinen Arbeiten dazu beitragen, dass mehr Leute ein Auge haben für die unscheinbaren Dinge in ihrer Nähe. Viele Menschen hier leben in sehr hoher Kadenz, im permanenten Überfluss und versuchen, das Gefühl innerer Leere mit immer stärkeren Reizen und mit Konsum zu bekämpfen. Mir widerstrebt es, wenn Leute für ein Wochenende zum Shoppen nach New York jetten. Es gibt so viele Möglichkeiten, in unmittelbarer Nähe Schönes zu entdecken und intensiv zu leben. Für mich war beispielsweise eindrücklich, wie sich mein Gefühl fürs Essen verändert hat durch die Reduktion auf das Wesentliche. Eine Hand voll Pasta kann etwas Wunderbares sein, wenn man davor einen Tag in der Kälte ausgeharrt und gehungert hat.

Wie finanzieren Sie sich Ihre Auszeiten?
Wenn man mit dem Zelt in der Schweiz unterwegs ist, braucht man sehr wenig Geld. Zudem hatte ich das Glück, dass sich mein erstes Buch «Naturschauspiel» sehr gut verkaufte. Ich hatte es im Eigenverlag herausgegeben und war überrascht von der enormen Resonanz. Schon in den ersten Monaten haben 200 Buchhandlungen das Buch ins Sortiment aufgenommen, total hat es sich über 18’000-mal verkauft. Offenbar ist die Sehnsucht nach einem einfachen, archaischen Leben ohne all die Zwänge der Zivilisation weit verbreitet. Manchmal projizieren die Leser und Leserinnen sehr viel in mich und die Bilder hinein, stilisieren mich zum Einsiedler, der ich nicht bin. Ich mag beides, das Ausgesetzt-Sein und die Stille in der Natur, aber auch den regen Austausch im Grossraumbüro meines Arbeitgebers. Und nun lasse ich mich auf das Abenteuer ein, in einer Vortragstournee von Landart zu erzählen. Ich spüre schon jetzt das Lampenfieber, denn ich bin kein grosser Redner – bis jetzt habe ich stets die Natur erzählen lassen.


10. Dezember 2016