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«Ein Nein stachelt mich zur Höchstleistung an»

Wenn Jessica Farda sich etwas in den Kopf gesetzt hat, akzeptiert sie so schnell kein Nein. Die 25-Jährige will mit einer Folie auf Algenbasis den Plastikverschleiss in der Verpackungsbranche reduzieren. Erfolgreiche Unternehmer wie Ertan Wittwer sollten dem Projekt mit Geld und Know-how nun zum internationalen Durchbruch verhelfen.

Mathias Morgenthaler


Kontakt und weitere Informationen:
www.noriware.com
jessica.farda@noriware.com


Wer Jessica Farda zum Gespräch trifft, muss hellwach sein. Die 25-Jährige denkt und spricht in horrendem Tempo, manchmal verschluckt sie den zweiten Teil eines Satzes, weil sie gedanklich schon beim nächsten und übernächsten Punkt ist.
Wäre in ihrem Leben alles nach Plan gelaufen, würde die Studentin derzeit ihre Bachelorarbeit im Fach Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen schreiben. Aber dafür findet sie in diesen Tagen keine Zeit, denn Farda setzt gerade alles daran, ein Produkt patentieren zu lassen und zur Marktreife zu bringen, das einen substanziellen Beitrag gegen das weltweite Plastikproblem leisten könnte.
Dass Farda Unternehmerinnenqualitäten mitbringt, hat sich schon in Primarschulzeiten angedeutet. Damals verkaufte die 10-Jährige mit ihrer besten Freundin selbst gebackene Waffeln in Freienbach SZ. Mit den Rollerblades eilte das Duo von Tür zu Tür.

Als der Mitarbeiter einer Unternehmensberatungsfirma sie an der Eingangstür abwimmeln wollte, stellte Jessica Farda ihren Rollschuh in die Tür und bestand darauf, alle Angestellten persönlich sprechen zu können. Einige Minuten später hatte sie sieben Waffeln verkauft und 35 Franken eingenommen.
«Ein Nein oder ein ‹Das geht nicht› stachelt mich zur Höchstleistung an», sagt Farda, nachdem sie die Waffelepisode erzählt hat. Im Gymnasium habe sie zunächst schlechte Noten geschrieben und sich gelangweilt. Dann trat sie eine 60-Prozent-Stelle im Saftladen Joe & The Juice an – mit dem Ziel, dort die jüngste Filialleiterin zu werden. Schlagartig verbesserten sich die Noten.

«Wenn ich eine Idee im Kopf habe, dann blende ich alle Widerstände aus und lasse keine Zweifel zu», sagt Farda. «Dank dieser Mischung aus Naivität und Hartnäckigkeit bin ich schwer zu bremsen.»

Idee kam am Karibikstrand

Auf ihre bisher wichtigste Idee kam Farda vor knapp drei Jahren in den Ferien im mexikanischen Tulum, wo sie statt paradiesischer Karibikstränden eine übel riechende Algenschwemme antraf. Angesichts dieser Plage fragte sie sich: Wozu könnte man diese Algen verwenden?

Zurück an der Uni in St. Gallen, vertiefte sich die damals 22-Jährige in Botanik statt Internationale Beziehungen. Sie erfuhr, dass es 12’000 verschiedene Algenarten gibt, dass manche bis zu einen Meter pro Tag wachsen und dass Algen viel CO₂ absorbieren. Deshalb wäre es fürs Klima gut, sie zu kultivieren – am besten durch industrielle Verwendung.

Bald rückte für Farda die Frage in den Mittelpunkt, ob es möglich wäre, auf der Grundlage von Algen eine kompostierbare Verpackungsfolie herzustellen. Und ob mit dieser die umweltschädlichen Plastikfolien ersetzt werden könnten, in die Waren weltweit eingepackt werden.
Zunächst hatte sie versucht, in der WG-Küche aus Algenextrakten, Weichmachern und Zusatzstoffen ein Ersatzprodukt für Plastikbecher zu formen. Doch als sie am Abend Reste der erwärmten Masse von ihren Jeans kratzen wollte, erwiesen sich diese Rückstände als «nahezu perfekte Folie».

Begeistert knüpfte Farda erste Kontakte zur Industrie, etwa zum Chef der auf Verpackung spezialisierten Firma Fromm und zu Forschungsinstituten an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft, der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Die meisten Gesprächspartner gaben ihr zu verstehen, dass sie als junge Uniabsolventin von der Materie keine Ahnung haben könne und dass entsprechende Forschung zu kostspielig wäre. 

Nur Lucio Isa, Professor für weiche Materialien und Grenzflächen an der ETH Zürich, war überzeugt von Fardas Ansatz. Er sicherte ihr vertraglich zu, das Projekt mit Studierenden weiter voranzutreiben. Jessica Farda experimentierte daneben auf eigene Faust weiter, bereitete sich auf ihre Prüfungen an der Universität St. Gallen vor, belegte Kurse für Start-up-Gründerinnen, schrieb Anträge für Forschungsgelder und knüpfte Kontakte zu möglichen Kapitalgebern.

Die Suche nach Kapital, ein Albtraum

Vor einem Jahr fand sie in Stefan Grieder einen Geschäftspartner, der als Ingenieur am Institut für Kunststofftechnik der Fachhochschule Nordwestschweiz die fehlende Expertise mitbrachte und gleichzeitig einen ähnlichen unternehmerischen Antrieb hat. In kürzester Zeit gründeten die beiden die Firma Noriware und bewarben sich erfolgreich um ein Forschungsstipendium des Kantons Aargau.

Die Suche nach weiterem Kapital gestaltete sich dann allerdings schwieriger, als Farda sich das ausgemalt hatte. Die vielen Gespräche, die sie diesen Frühling mit Wagniskapitalgebern geführt habe, seien «ein einziger Albtraum» gewesen, sagt die Firmengründerin. Wiederholt sei sie von möglichen Geldgebern arrogant behandelt und unter Druck gesetzt worden, schlechte Bedingungen zu akzeptieren. «Als müsste ich mir als unerfahrene junge Frau alles gefallen lassen von Menschen, die wenig Verständnis haben für den unternehmerischen Weg.»

Schliesslich kam sie mit Ertan Wittwer in Kontakt, der in den vergangenen Jahren serienweise Unternehmen im Gesundheitsbereich gegründet und auf Wachstum getrimmt hat. Die Zahnarztpraxiskette Bestsmile hat er vor einem Jahr nur vier Jahre nach der Gründung für geschätzte 100 Millionen Franken an die Migros verkauft.
Bei Wittwer, der nach eigenen Angaben an fünfzehn Unternehmen beteiligt ist und vor kurzem einen 30 Millionen Franken schweren Fonds für Start-up-Investments lanciert hat, rannte Farda offene Türen ein. Seit er eine Netflix-Doku über die langfristigen Folgen der Plastikverpackungen für die Umwelt gesehen habe, sei er fürs Thema sensibilisiert und versuche, wo immer möglich ohne Plastik auszukommen, sagt der 38-Jährige.
Dank Wittwer und den weiteren Investoren Marcel Kubli und Philip Magoulas hat Noriware in einer ersten Finanzierungsrunde eine Million Franken aufnehmen können. Wittwer bringt sich zudem im Verwaltungsrat ein und will dort helfen, «die richtigen Entscheidungen zu treffen».

Ziel sind fünfzig Angestellte in fünf Jahren

Farda will das Geld nutzen, um das sechsköpfige Team zu erweitern, weitere Maschinen am Firmenstandort im aargauischen Lupfig anzuschaffen und in Testverfahren mit interessierten Industriekunden das Produkt weiterzuentwickeln.
Sie sieht einen wichtigen Wettbewerbsvorteil von Noriware gegenüber anderen Anbietern von Plastikalternativen darin, dass ihre Folien auf Algenbasis auf den bestehenden Maschinen der Kunststoffindustrie vergleichsweise günstig und in grosser Stückzahl hergestellt werden können.

Die Schweiz sei ein hervorragender «Testmarkt für den Markteintritt 2024», sagt Farda. Danach will sie rasch in den USA, in Asien und Afrika Fuss fassen. Sie hofft, bis in fünf Jahren fünfzig Angestellte zu beschäftigen. Ertan Wittwer denkt bereits einen Schritt weiter und sieht gute Chancen, dass ein internationales Verpackungsunternehmen Noriware für «hundert oder auch mehrere Hundert Millionen Franken» übernehmen könnte.

Für Farda wäre das eine grosse Genugtuung – und ein schöner Beweis, dass man keine erfahrene Expertin sein muss, um einer guten Idee zum Durchbruch zu verhelfen.


14. Juli 2023