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«Manchmal muss man der guten Sache wegen die eigene Reputation aufs Spiel setzen»

Zwei Jahre nach seinem Rücktritt vom UBS-Präsidium blickt Kaspar Villiger noch einmal zurück auf eine turbulente Amtszeit, die seinen Ruf ramponiert und ihm viele Anfeindungen eingebracht hat. Der 73-jährige erzählt, warum er den unpopulären Job übernahm, obwohl ihm alle abrieten, wie er seinen eigenen Lohn runterhandelte und was er in der Grossbank verändern konnte.  Und er sagt, warum er lieber ein trockenes Sachbuch als einen Bestseller schrieb.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Adrian Moser



Das neue Buch

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Kaspar Villiger: Pendler zwischen Wirtschaft und Politik. Essays und Reden. Stämpfli Verlag 2014.


Buchpräsentation am 30. April um 20 Uhr im Stauffacher in Bern.


Herr Villiger, soeben ist eine Sammlung von Essays und Reden von Ihnen erschienen. Der Verlag hätte lieber eine Biografie herausgebracht – warum haben Sie sich gesträubt?

KASPAR VILLIGER: In autorisierten Biografien wird oft glorifiziert, beschönigt und nachträglich mit Bedeutung aufgeladen. Diese Form verführt zur Unaufrichtigkeit und Selbstgerechtigkeit.

Angenommen, es wäre doch eine Biografie geworden: Was wäre ein passender Titel?

Die Formulierung «Pendler zwischen Wirtschaft und Politik», die nun auf dem Buchcover steht, trifft es ganz gut. Ich bin in zwei Welten heimisch geworden. Als Student hatte ich keinerlei Interesse an Ökonomie und Politik. Dann musste ich nach dem Tod meines Vaters mit 25 Jahren das Villiger-Stammhaus übernehmen. Als Unternehmer wurde ich dafür sensibilisiert, wie einschneidend die Politik in die Wirtschaft eingreifen kann.

Ihr Vater hatte schon in den Fünfzigerjahren im «Stumpenkrieg» gegen die Tabakkontingentierung gekämpft, welche die kleinen Unternehmen schützen sollte und den grösseren schadete.

Ja, das war eine Lektion fürs Leben. Bei diesem stumpfsinnigen Eingriff habe ich ein für allemal begriffen, dass es nicht gut herauskommt, wenn Unternehmer und Gewerkschafter gemeinsam in Bern jammern und bei Politikern die hohle Hand machen. Aus dieser Zeit existieren nur noch zwei Tabakunternehmen: jene beiden, die gegen die Kontingentierung waren. Aber natürlich sind politische Eingriffe nicht per se schlecht. Die Marktwirtschaft braucht einen starken Staat, der den rechtlichen Rahmen setzt und wichtige Leistungen erbringt.

Sie wurden mit 25 Jahren überraschend Unternehmer, rutschten mit dreissig als Listenfüller in den grossen Rat von Luzern und wurden mit 48 Jahren dank dem Unvermögen des Ehepaars Kopp zur eigenen Überraschung Bundesrat. Ihre Biografie könnte auch den Titel tragen «Karriere ohne Absicht».

Ja, durchaus. Der Zufall hat eine viel grössere Bedeutung, als wir gerne annehmen. Ich bin mir bewusst, dass ich am richtigen Moment an den richtigen Schnittpunkten war. Ich strebte nie eine Machtposition an, sondern versuchte stets, die Aufgaben, die an mich herangetragen wurden, als sorgfältiger Handwerker und solider Problemlöser zu bewältigen.

Ihr streitbarer Bruder Heinrich Villiger sagt über Sie, Sie seien «stets auf Konsens bedacht». Wäre auch das ein passender Titel?

Das ist eine heikle Frage. Es ist immer besser, wenn man einen echten Konsens erzielen kann, aber in manchen Situationen muss man Konflikte riskieren und aushalten. Ohne diese Bereitschaft können Sie kein Unternehmen und kein Departement führen. Denken Sie an die Beschaffung der F/A-18-Flugzeuge, die mir nicht nur Pfiffe in der Öffentlichkeit, sondern auch Ärger in der eigenen Partei eingebracht hat. Oder die Schuldenbremse, die bei weitem nicht allen Politikern gefiel. Ich habe heftige Auseinandersetzungen nie gescheut, aber immer versucht, die Anliegen der Andersdenkenden zu respektieren. Heute wird zu oft der politische Gegner als Feind diskreditiert, der Mensch statt die Sache beschimpft.

Sie kündigten beim Rücktritt aus dem Bundesrat an, aus dem Rampenlicht zu verschwinden. Warum haben Sie sich nicht an diesen Vorsatz gehalten?

Bis zur Anfrage der UBS habe ich keine publizitätsträchtigen Ämter mehr angenommen. Dass ich wieder in die Wirtschaft zurückkehren würde, war mir immer klar. Wäre das Bundesräten verboten, hätte ich dieses Amt gar nie angetreten. Wichtig war mir, nicht in Bereichen tätig zu werden, die in meinen Kompetenzbereich als Bundesrat fielen. Aus diesem Grund habe ich das elterliche Unternehmen irreversibel verlassen nach der Wahl zum Bundesrat, aus dem gleichen Grund lehnte ich nach meinem Rücktritt ein sehr lukratives Angebot einer Bank ab.

Warum machten Sie bei der UBS eine Ausnahme?

Sechs Jahre nach dem Rücktritt aus dem Bundesrat war das eher wieder möglich. Zudem sah ich darin eine Aufgabe von nationalem Interesse. Es war für das Land eminent wichtig, dass die UBS überlebt und wieder zu alter Stärke findet. Ich bin halt ein politischer Patriot. Es wäre ein Leichtes, als alt Bundesrat einen Bestseller mit pikanten Details aus meiner Zeit in der Landesregierung zu schreiben – aber wäre es gerechtfertigt und sinnvoll? Ich glaube nicht. Deshalb habe ich lieber eine undankbare Aufgaben übernommen und zwei vergleichsweise trockene Sachbücher geschrieben.

Als Sie die Nachfolge von Peter Kurer als UBS-Präsident übernahmen, fragten sich viele: Warum tut er sich das an und riskiert, seinen Ruf zu ruinieren?

Ich weiss, so waren auch die Reaktionen in meinem Umfeld. Alle haben mir abgeraten ausser einer. Ulrich Bremi sagte als einziger: «Ich glaube, an deiner Stelle würde ich das machen.» Ich kam schliesslich auch zum Schluss: Manchmal muss man der guten Sache wegen die eigene Reputation aufs Spiel setzen.

Wie stark hat Ihr Ansehen gelitten?

Mein Ruf wurde ramponiert, das steht ausser Frage. Ich bin angeödet und angerempelt worden und fühlte mich in einigen Situationen ungerecht behandelt. Aber eigentlich wusste ich schon aus der Zeit im Bundesrat: Wer an einer Krisenbewältigung teilnimmt, die länger dauert, wird nach einiger Zeit zunehmend als Brandstifter denn als Feuerwehr wahrgenommen. Ich habe keine Elefantenhaut und bin sensibel für Kritik. Aber ich weiss auch, dass man sich nicht  beirren lassen darf durch Kritik. Wenn wir gemacht hätten, was den Applaus der Öffentlichkeit und der Medien gefunden hätte, nämlich die Löhne und Boni viel massiver gesenkt, dann hätte die Bank das nicht überlebt. Das hätte niemandem gedient.

Bereuen Sie im Nachhinein, zugesagt zu haben?

Nein. Im ersten Anlauf hatte ich ja abgesagt. Als die Bank nochmals auf mich zukam, nachdem sie keine passende Lösung gefunden hatte, liess ich mich überzeugen – vor allem dadurch, dass Oswald Grübel die Aufgabe des Konzernchefs übernahm. Im Gegensatz zu anderen Kandidaten musste ich nichts mehr werden, ich riskierte also wenig und musste nur dafür sorgen, dass ich abends immer mit gutem Gefühl in den Spiegel schauen konnte. Ich bereue das Wagnis nicht. Andere stehen mit 68 Jahren nur noch auf dem Golfplatz, ich konnte mich noch einmal in ein neues Gebiet einarbeiten und Verantwortung übernehmen.

Man hat kritisiert, Sie seien «vom Staatsmann zum UBS-Meldeläufer» geworden und hätten – auch mangels Fachkenntnissen – wenig bewegt. Die UBS habe Sie viel stärker verändert als Sie die Bank.

Wenn jemand erwartet, dass einer, der von aussen kommt, von heute auf morgen die Kultur eines Unternehmens mit 65 000 Angestellten umkrempeln kann, ist das unrealistisch. Es entspricht ebenso wenig der Realität wie die Vorstellung, der Verwaltungsratspräsident müsse die Firma führen und das Geschäft besser kennen als sämtliche Mitarbeiter. Oswald Grübel und ich haben uns realistische Ziele gesetzt, nämlich die Bank zu stabilisieren, sie von Altlasten zu befreien, ohne dass der Staat oder die Bürger dafür bluten müssen, und die Generationen-Ablösung im Management voranzubringen. Diese Ziele haben wir alle erreicht und angesichts der widrigen Umstände ein achtbares Resultat erzielt.

Aber die Boni sprudeln immer noch üppig. Die 11-köpfige UBS-Geschäftsleitung erhielt im letzten Jahr 82,4 Millionen Franken, Konzernchef Ermotti 10,7 Millionen. Sie kritisierten 2010 an der Generalversammlung die Bezüge als teilweise übertrieben, konnten aber keine Trendwende durchsetzen.

Doch, die Vergütungen sind insgesamt zurückgegangen und die Kriterien für die Boni haben sich stark verändert. Was die Leute nicht verstanden haben: Man kann als taumelnde Bank nicht gute Mitarbeiter holen oder behalten, ohne zumindest Marktlöhne zu bezahlen.

Sie und Oswald Grübel sind der Gegenbeweis zu dieser These.

Ja, Oswald Grübel und ich waren dazu bereit, das stimmt, aber wir waren am Ende unserer Karriere und mussten niemandem mehr etwas beweisen. Ein Banker, der in der Mitte seiner Laufbahn steht, hätte das nicht mal seiner eigenen Frau erklären können, warum er 2010 zu der UBS gegangen wäre und auch noch Lohneinbussen in Kauf genommen hätte.

Und Sie? Sie verdienten in drei Jahren gut 4 Millionen Franken, Ihr Nachfolger Axel Weber erhielt allein als Antrittsgage 4,6 Mio. Franken.

(Lacht) Ja, darauf hat mich meine Frau tatsächlich angesprochen. Aber ich verzichtete ja freiwillig. Man hatte mir das gleiche Paket angeboten wie zuvor Peter Kurer und danach Axel Weber. Ich hörte mir das an und sagte, das komme für mich nicht in Frage. Als die Bank-Verantwortlichen das Angebot nachbessern wollten, stellte ich klar, dass ich nicht mehr, sondern weniger verdienen wollte. Alles andere hätte der Bank und meinem Ruf geschadet.

Warum hat man die Löhne nicht generell stärker gesenkt?

Wir haben die Boni deutlich gesenkt von 2009 auf 2010. Was war die Folge? Eine Konkurrentin warb uns beispielsweise ein Team mit 60 Leuten ab. Das kostete die UBS rund eine Milliarde Franken Gewinn. Ich bin einverstanden, dass das Salärniveau teilweise an der obersten Grenze des Verkraftbaren ist, aber das ist weltweit so, wir stehen im globalen Wettbewerb. Deswegen pauschal zu sagen, die Banken hätten nichts gelernt, ist falsch. Die UBS ist nicht nur um Welten besser kapitalisiert als vor fünf Jahren, sondern wir haben auch einen Paradigmenwechsel bei den Anreizsystemen realisiert. Ich habe persönlich mit Sergio Ermotti ein CEO-Vergütungssystem ausgearbeitet, das auch nicht monetäre Erfordernisse berücksichtigt. Er wird auch an Faktoren wie Reputation, Teambildung und Kundenzufriedenheit sowie der langfristigen Entwicklung der Bank gemessen. Die UBS ist in dieser Hinsicht deutlich weiter als die Konkurrenz.

Aber das wichtigste Steuerungsinstrument bleibt das Geld.

In der Finanzindustrie dreht sich nun einmal alles um Geld. Das macht den Job spannend, birgt aber auch Gefahren. Wir haben nicht wie Nestlé ein Produkt, mit dem sich alle identifizieren können.

Haben Sie sich teilweise ohnmächtig gefühlt während der drei Jahre an der Spitze der Bank?

Als Oswald Grübel mich anrief und mir sagte, wir hätten wegen eines Händlers in London zwei Milliarden verloren, fühlte ich mich tatsächlich ohnmächtig für ungefähr zehn Minuten. Das war ein Schock. Das Management hat dann aber sehr professionell reagiert. Insgesamt hätte ich mir gewünscht, rascher voranzukommen mit dem Kulturwandel. Wir haben aber einiges erreicht. Ich führte weltweit viele Kundengespräche und merkte dabei auch, welch hohen Standards wir in der Schweiz haben – im Banking und bezüglich Lebensqualität. Fast möchte ich sagen: Es geht uns so gut, dass wir anfangen, uns selber Probleme zu machen.

Sie warnen in Ihrem Buch vor dem «Hagelsturm standortgefährdender Volksinitiativen». Ist das ein Misstrauensvotum gegenüber der direkten Demokratie?

Auf lange Sicht ist die direkte Demokratie zweifellos das beste System. Einzelne Abstimmungen wie jene über die Abzocker-Initiative und die Masseneinwanderungs-Initiative werden die Schweiz nicht kaputt machen. Aber eine emotionsgetriebene Annahme einer Reihe weiterer schädlicher Initiativen wäre verheerend für die Stellung der Schweiz im globalen Wettbewerb. Wir schwächen uns selber, wenn wir dafür sorgen, dass grosse Unternehmen wegziehen oder nicht mehr zuziehen. Zwar richtet sich der Zorn gegen die Konzernmanager, er trifft aber nicht diese Manager, sondern die Schweizer Bevölkerung. Die Wirtschaft ist die Basis unseres Wohlstands und ein Viertel dieses Wohlstands hängt von den grossen, börsenkotierten Unternehmen ab. Ich würde mir wünschen, dass über solche Dinge sachlich diskutiert wird vor folgenschweren Abstimmungen.

Offenbar mangelt es an Managern mit Bodenhaftung, die sich einer solchen Diskussion stellen.

Das ist richtig, wir haben ein Integrationsproblem auf der Teppichetage. Die Wirtschaft muss wieder näher an die Gesellschaft heranrücken und aufzeigen, dass sie Wohlstand für die Gemeinschaft erwirtschaftet. Ich könnte mir vorstellen, dass pensionierte Schweizer Manager neue ausländische Manager während einiger Zeit als «Götti» in die politische Kultur der Schweiz einführen.

Sie haben noch ein Büro bei der UBS in Bern. Sind Sie noch für die Bank tätig?

Nur noch im Ehrenamt. Ich bin unbezahlter Präsident der Stiftung, welche das von Professor Ernst Fehr geleitete UBS Center for Economy in Society finanziert. Zudem bin ich für die internationale Global Leadership Foundation tätig, die den Erfahrungsaustausch unter Regierungschefs fördert. Beides sehe ich als Trainingslager für meine grauen Zellen. Ansonsten habe ich mehr Zeit für Reisen mit meiner Frau und für den Sport. Im letzten Jahr habe ich 3600 Kilometer auf dem Velo zurückgelegt, dazu 400 Langlaufkilometer.

Wird Ihr nächstes Buch ein Roman? In Ihrer Jugend sind Sie mit dem Aargauer Schriftsteller Hermann Burger nächtelang durch Jazzclubs gezogen und haben sich über literarische Stoffe ausgetauscht.

Damals hätte ich mir vorstellen können, Schriftsteller zu werden. Danach verfuhr ich nach dem Goethe-Wort: «Wo man’s packt, da ist es interessant». Ich bin nicht sicher, ob mir ein Roman gelingen würde, aber ausschliessen will ich es nicht.


26. April 2014