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Liliane Boltshausers langer Weg in die Selbständigkeit

Andere bereiten sich in ihrem Alter auf die Pensionierung vor, Liliane Boltshauser ist mit 59 Jahren unter die Jungunternehmerinnen gegangen. Es ist die vorläufig letzte Kehrtwende in einem von Neuanfängen geprägten Leben: Mit 17 Jahren verliess sie das Elternhaus und wurde Selbstversorgerin im Tessin, später Milchfarmerin in Kanada, danach Grafikdesignerin und Künstlerin.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


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Die Ausstellung:

Vom 14. März bis 25. April 2014 stellt Liliane Boltshauser ihre Kunst im Medienzentrum Bundeshaus in Bern aus.


Frau Boltshauser, hatten Sie als Kind eine klare Vorstellung davon, welchen Beruf sie einmal ausüben möchten?
LILIANE BOLTSHAUSER: Nein, ich hatte keinen eindeutigen Berufswunsch. Mein Vater erklärte mir früh, ich solle mir nicht den Kopf zerbrechen. «Du musst nichts lernen, denn du wirst sowieso eines Tages heiraten», sagte er zu mir, als ich 15-jährig war.

Hat Sie das verletzt?
Das war in den Sechzigerjahren keine aussergewöhnliche Haltung. Aber natürlich hätte
ich mir gewünscht, meine Eltern hätten mich mehr gefördert. Schon früh hatten mich Zeichnungspapier und Farbstifte magisch angezogen. Zum Glück hatte ich einen phantastischen Zeichnungslehrer, einen holländischen Künstler. Mit seiner Hilfe schaffte ich es sogar, von meinen Eltern die Erlaubnis zu bekommen, Textildesign zu studieren. Ich liebte die künstlerische Atmosphäre in den Ateliers der Textilfachschule.

Und doch haben Sie mit 17 Jahren über Nacht das Weite gesucht.
Ja, das war die Liebe. Ich hatte einen Mann kennengelernt, der für mich der perfekte Gegenentwurf zum konservativen Leben meiner Eltern darstellte. Ein Mann mit hennaroten Haaren, langem Bart und Schlangenleder-Stiefeln. Wir begegneten uns zum ersten Mal im Odeon in Zürich, eines Tages brannten wir durch. Ich war 17, er 21. Ich verliess das Elternhaus, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Das Hippieleben war viel verheissungsvoller als in Zürich gegen die Erwartungen meiner Eltern zu revoltieren.

Wann kam die Ernüchterung?
Wir waren sehr glücklich als junge Selbstversorger im Tessin. Wir bauten in abgelegenen Tälern alte Rusticos um, vermehrten seltene Getreide, brachten neues Leben in die ausgestorbenen Dörfer. Wir lebten von der Natur und für die Natur, sammelten Kräuter und Beeren, verkauften als Erste in Lugano eigenes Bio-Brot und Bio-Gemüse. Es war viel harte Arbeit, aber gleichzeitig ein sehr sinnerfülltes Leben. Rückblickend bin ich aber froh, sind wir nicht ein Leben lang in diesen Tälern geblieben, wo man sich an der Quelle mit kaltem Wasser wäscht.

Was hat Sie zum Umdenken gebracht?
Durch die Geburt unseres Sohnes lernten wir, dass ein totaler Ausstieg gefährlich bis unmöglich war. Einer aus unserer Kommune war ein grosser Amerika-Fan mit Trucker-Erfahrung. Er sagte eines Tages: «Lass uns nach Kanada gehen, da ist alles viel grösser und flach.» Mein Vater lieh uns Geld, so dass wir in Kanada eine Milchfarm mit gegen 200 Hektaren Land, 100 Kühen, 50 Kälbern und Rindern sowie einem gigantischen Maschinenpark kaufen konnten – alles auf Kredit.

Ein guter Entscheid?
Als wir am 3. Januar 1978 in Montreal aus dem Flugzeug stiegen, verschlug es uns bei -40 Grad Celsius den Atem.Später wären wir fast erfroren, als wir mit einem ungeheizten VW-Bus in einem Schneesturm stecken blieben. Es war eine sehr harte Zeit, spätestens nach der Geburt unseres zweiten Sohnes. Mir fehlte die Romantik der Tessiner Jahre. Die Menschen in Kanada waren sehr hilfsbereit, aber wir verdienten trotz grossem Einsatz wenig. Als die Hypothekarzinse stark anstiegen, mussten wir die Farm verkaufen und kehrten nach sechs Jahren in die Schweiz zurück. Wir übernahmen im Zürcher Oberland die Verantwortung für einen Musterhof, wo wir Kurse in Bio-Gartenbau gaben, ein neues Kompostsystem mit eigener Wurmzucht aufbauten und Kühe, Pferde, Hühner, Gänse, Hund und Katzen hielten.

Auch das klingt nach viel Arbeit und wenig Einkommen.
Ja, so war es, und erschwerend kam dazu, dass mein Mann und ich sehr unterschiedlich mit den finanziellen Problemen umgingen. Ende der Achtzigerjahre trennten wir uns, nach 18 Ehejahren. Ich stand plötzlich alleine da mit den beiden Söhnen. Die Wohnung, für die wir als Familie den Zuschlag erhalten hatten, wurde mir sofort gekündigt. Es war ein harter Moment, der in mir die Kampfeslust weckte. Damals kam der erste Macintosh-Computer von Apple auf den Markt, ich lernte Grafikdesignerin und profitierte davon, dass die Arbeit am Computer für alle Neuland war. So arbeitete ich mich hoch bis zum Art Director, war alleinerziehend und voll berufstätig, also praktisch ohne Freizeit.

Wann wurde die Kunst zum wichtigen Lebensinhalt?
Mit Zeichnen, Malen und Fotografieren habe ich nie ganz aufgehört. Schon in Kanada konnte ich eine erste Ausstellung organisieren, in Zürich kam nach der Jahrtausendwende der alte Traum wieder hoch. Ich begann, Fotografien auf Leinwand zu drucken und wurde mir bewusst, dass im Zentrum meines künstlerischen Schaffens die Auseinandersetzung mit dem Licht steht. 2006 fand eine erste Ausstellung in Zürich statt. Es kostete mich viel Überwindung, mit meinen Werken in die Öffentlichkeit zu gehen, denn ich zweifelte, ob sie gut genug sind. Die Rückmeldungen waren so überwältigend, dass ich mich entschloss, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Gleichzeitig hatten Sie Mühe, nach einem Stellenverlust nochmals im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.
Ich habe zwei Jahre lang vergeblich einen Job gesucht – mal war ich überqualifiziert, mal schien ein anderer geeigneter. Wären alle potenziellen Arbeitgeber ehrlich gewesen, hätten sie mir gesagt, dass sie einfach keine Frau mit Jahrgang 1954 anstellen wollen, weil die Sozialkosten zu hoch sind. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit habe ich im Mai 2013 all meinen Mut zusammengenommen und mich im Alter von 59 Jahren selbständig gemacht.

Und seither leben Sie von der Kunst?
Ich baue auf vier Säulen: Die Kunst, das Grafikdesign, Coaching und Textildesign. Das macht den Arbeitsalltag so abwechslungsreich. Mal entwerfe ich Logos für Jungunternehmer, dann coache ich eine alleinerziehende Frau, und am nächsten Tag fange ich mit dem Fotoapparat Lichtreflexionen ein. Künftig will ich Kunst und Coaching noch enger verknüpfen. Die Kunst kann uns lehren, genauer hinzuschauen, den Blickwinkel zu verändern – Fähigkeiten, die auch im Coaching eine wichtige Rolle spielen.

Wie erleben Sie die Selbständigkeit – als Kampf oder als Befreiung?
Ich erlebe Tage voller Zuversicht, aber auch bange Momente. Entscheidend ist vermutlich meine innere Einstellung. Es kommt nicht in erster Linie darauf an, wie hart ich kämpfe, sondern ob ich vertrauensvoll agiere. Solange beispielsweise der Glaubenssatz, Kunst sei immer brotlos, Macht über mich hat, wird er sich bewahrheiten. Solche Dinge sind tief verankert. Aber ich gelange mehr und mehr zur Überzeugung, dass ich es mir verdient habe, nun das zu tun, was ich gerne mache. Und dass ich damit auch meinen Lebensunterhalt verdienen kann.


4. Januar 2014