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«Seit meiner Abreise sind die Botschaften wieder in Männerhand»

Keine Hände schütteln und stets Kopftuch tragen: Livia Leu musste als Botschafterin in Iran in vielerlei Hinsicht umlernen. Als einzige Frau in dieser Funktion brachte sie die Protokollordnung ein paar Mal durcheinander. Kurz nach der Rückkehr aus Teheran schildert Livia Leu, wie ihre Familie in der ungewohnten Umgebung Fuss fasste und wie die iranischen Machthaber sie empfingen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Das Buch:
Esther Girsberger: Livia Leu. Unsere Botschafterin in Iran. Wörterseh Verlag, Juli 2013.


Frau Leu, Sie sind eben erst aus Teheran in die Schweiz zurückgekehrt – hat sich Ihr Blick auf die Schweiz durch die gut vier Jahre in Iran verändert?

LIVIA LEU: Ich war für die Schweiz in Teheran, war ständig mit den Kollegen in Bern im Kontakt und informierte mich über die Medien. Zudem verbrachten wir ein bis zwei Mal pro Jahr die Ferienzeit in der Schweiz. Wir waren also keineswegs abgeschnitten. Dennoch sieht man die Heimat mit anderen Augen, wenn man nach viereinhalb Jahren zurückkommt. Wir gingen sofort in den Wald, die Kinder mit den Velos, ich zum Joggen. Dass selbst die Städte in der Schweiz so grün sind, bedeutet unheimlich viel Lebensqualität.

Vor fünf Jahren hatten Sie eine schwierige Entscheidung zu treffen. Eigentlich stand ein Umzug nach Brasilia im Vordergrund, wo Ihr Mann als Ameisenforscher bessere Perspektiven gehabt hätte, doch dann schlug Micheline Calmy-Rey Sie als neue Botschafterin in Iran vor. Hatten Sie keine Bedenken, mit einem 7- und einem 10-jährigen Kind nach Teheran zu ziehen?

Es war nicht ganz einfach, alle Interessen abzuwägen, aber wir hatten keine schlaflosen Nächte. In der heutigen Zeit, die stark durch die Globalisierung geprägt ist, tut es Kindern eher gut, sich auch in weniger paradiesischen Umständen als in der Schweiz zurechtzufinden. Ich würde nicht alle zwei Jahre an einen neuen Ort ziehen, aber alle vier Jahre ein Wechsel, das ist der Kinderpsyche zumutbar in meinen Augen. Für mich war es eine positive Überraschung, als ersten Botschafterposten jenen in Iran, der ja auch die Vertretung der Interessen der USA beinhaltet, angeboten zu bekommen.

Hand aufs Herz: Als Sie am 4. Januar 2009 in Richtung Teheran abreisten, der jüngere Sohn mit frisch eingegipstem Bein, dachten Sie da nicht kurz: Warum tun wir uns das an?

Nein, wir freuten uns auf die neue Lebensphase, auch wenn aller Anfang bekanntlich schwer ist. Die Kinder erhielten in der Deutschen Botschaftsschule einen guten Unterricht in Deutsch und Englisch, zudem lernten sie fliessend Farsi. Wir wohnten in einem schönen Haus mit Garten, aber natürlich war der Bewegungsspielraum deutlich eingeschränkter als in der Schweiz. Ich begann sogleich zu arbeiten, es standen erste Termine und Aufgaben an, und im Team schauten alle mit grossen Augen darauf, wie die erste Chefin das macht. Ich war leider die ganzen vier Jahre die einzige Frau in Botschafterfunktion im diplomatischen Korps.

War das ein Handicap oder ein Vorteil?

Ich empfand es eher als Vorteil. Die Iraner waren stets sehr professionell und höflich zu mir, es fällt ihnen schwerer, einer Frau Nein zu sagen. Zudem bleibt man als einzige Frau den wichtigen Politikern leichter in Erinnerung.

Zu Beginn haben Sie aber die Protokollordnung ein paar Mal auf den Kopf gestellt.

Ja, beim ersten Diplomatendinner bei Aussenminister Mottaki gab es zunächst einige Verwirrung, weil ich automatisch in den Raum der Partnerinnen und mein Mann zu den rund 100 Diplomaten geführt wurde. Es brauchte einige Erklärungen, bis ich Zugang zu den anderen Diplomaten erhielt. Ernsthafte Probleme gab es aber nicht. In der Schweiz wurde meine Ernennung intensiver und länger diskutiert als in Iran. Die einzige formelle Einschränkung war, dass ich darauf achten musste, iranischen Politikern nicht die Hand zu reichen, weil es nach den Regeln des Islam Männern verboten ist, nicht verwandte Frauen zu berühren.

Und Sie mussten Kopftuch tragen. Taten Sie sich nicht schwer damit?

Ich hätte mich zweifellos freier gefühlt ohne, aber für mich als Diplomatin ist es klar, dass ich mich den Gesetzen des Landes, in dem ich mich aufhalte, unterordne. Für mich war das nicht neu, ich hatte 2008 schon Micheline Calmy-Rey nach Teheran begleitet, als sie wegen des Gasliefervertrags in den Iran reiste. Ihr wurde damals vorgeworfen, dass sie Kopftuch trug, dabei wird schon im Flugzeug darauf hingewiesen, dass dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Da gibt es keine Wahlmöglichkeit. Zudem ziehen sich viele junge Frauen sehr bunt an, es ist eine unglaublich facettenreiche Gesellschaft, auch wenn wir das im Westen nicht so wahrnehmen. Als Fremde wird man im Iran sehr herzlich aufgenommen, wir haben viele Zeichen der Freundschaft erfahren und eine humorvolle, geistreiche, sehr gebildete Gesellschaft kennengelernt.

Im Fokus der Weltöffentlichkeit steht der Iran aber wegen einer Rekordzahl an Todesstrafen, diversen Verstössen gegen Menschenrechte, nuklearer Aufrüstung und Verhüllungsvorschrift für alle Frauen. Haben Sie das alles ausgeblendet?

Nein, aber für eine Diplomatin ist das Verständnis zentral, dass fremde Gesellschaften anders funktionieren können als die eigene. Indem ich als einzige Botschafterin im Iran arbeitete, konnte ich ein kleines Zeichen setzen für die Gleichberechtigung als wichtigen Teil unserer Wertevorstellung. Das war vermutlich effektiver, als nicht dort arbeiten zu gehen. Ich wollte mich dieser Aufgabe stellen und zeigen: Eine Frau kann diese Arbeit machen und sie wird auch akzeptiert. Das erforderte eine Anpassungsleistung, aber ich musste meine Prinzipien nie verraten. Wenn Frauen sichtbare Funktionen übernehmen, verändert sich etwas in der Wahrnehmung. Iranische Frauen haben mir immer wieder bestätigt, wie wichtig dies sei. In der Schweiz war das zum Beispiel deutlich zu sehen, als Micheline Calmy-Rey als erste Frau Aussenministerin wurde. Es betrübt mich allerdings, dass kein anderes Land unserem Beispiel gefolgt ist. Seit meiner Abreise sind die Botschaften wieder alle in Männerhand.

Sie haben in der Schweiz den Verein der Diplomatinnen gegründet, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Wie gut lassen sich eine Karriere in der Diplomatie und Mutterschaft heute unter einen Hut bringen?

Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Als ich in Kairo mit meinem ersten Sohn schwanger war, bedeutete das eine Premiere: Noch nie hatte eine Diplomatin auf einem Aussenposten Mutterschaftsurlaub bezogen. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit, weil der Frauenanteil viel höher ist. Das EDA macht viel für die Partner, es hilft bei der Stellensuche und zahlt eine Entschädigung für deren Mitarbeit auf der Botschaft. Mein Mann entschied sich aufgrund der Sachzwänge meiner Karriere gegen eine institutionelle akademische Karriere, er ist seit Jahren als freier Ameisenforscher tätig. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er aktiv zum guten Gelingen beigetragen hat, insbesondere bei den Empfängen in der Schweizer Residenz.

Gab es Momente der Angst während Ihrer Zeit in Teheran?

Nein, Angst hatte ich nie, aber das erste Jahr war sehr anstrengend. Schon kurz nach der Ankunft musste ich mich um eine iranisch-amerikanische Doppelbürgerin kümmern, die während mehrerer Monate im Gefängnis sass. Dann gab es rund um die Wahlen im Iran wiederholt Unruhen, es war unsicher, wie sich die politische Situation entwickelt, ob die Gewalt eskalieren würde. Schwierig war für das diplomatische Corps auch der Übergriff auf die Botschaft Grossbritanniens im November 2011. In solchen Situationen muss man sehr wachsam sein und mit möglichst vielen Leuten reden, um zu verstehen, was passiert und welche Szenarien denkbar sind. Weil die Schweiz das Schutzmandat der USA trägt, gab es immer wieder Demonstrationen vor unserer Botschaft.

Fast zwei Jahre setzten Sie sich dafür ein, dass drei amerikanische Wanderer, die an der grünen Grenze aufgegriffen und danach inhaftiert worden waren, wieder freikamen. Was konnten Sie tun?

Weil sich das Gerichtsverfahren in die Länge zog und nie formell abgeschlossen wurde, blieben die Vorwürfe gegen die US-Amerikaner letztendlich offen. Solche Situationen erfordern Geduld und diplomatische Hartnäckigkeit. Es ist wichtig, dass man als Diplomatin nicht moralisch urteilt oder richtet, sondern den vorhandenen Spielraum zugunsten der betroffenen Personen nutzt. Wir erreichten in hartnäckigen Vorstössen, dass wir die Gefangenen mehrmals besuchen konnten. Später wurde die Isolationshaft gelockert, schliesslich erreichten wir, dass die Mütter die Gefangenen besuchen konnten, und am Ende wurden alle gegen Kaution freigelassen, wofür sich nicht nur ihre Familien, sondern auch Hillary Rodham Clinton bei mir bedankten.

Wie war das, als Sie Präsident Ahmadinejad oder seinem Vorgänger Rafsanjani gegenübersassen?

Der Höflichkeitsbesuch bei Rafsanjani war eindrücklich, weil aus jedem Wort klar wurde, welch immenses politisches Gespür dieser Mann hat. Auch Ahmadinejad begegnete mir sehr höflich und professionell. Der Antrittsbesuch dauerte 40 Minuten, was lang ist. Natürlich war das nicht der Moment, um hart zu diskutieren, aber es gibt zwischen zwei respektive drei Ländern viele Fragen zu besprechen. Man darf allerdings nicht zu hohe Erwartungen haben, es hilft schon, wenn der Präsident einen zur Kenntnis nimmt und sich später an das Gespräch erinnert. Grundsätzlich hatte ich denselben Zugang zu allen wichtigen Machtzentren wie meine männlichen Kollegen.

Sehen Sie einen roten Faden in Ihrer Biografie, der die Hotelierstochter in Arosa mit der Botschafterin im Iran verbindet?

In der Diplomatie kommt es auf verschiedene Dinge an, insbesondere die politische Analyse, die Verteidigung der Landesinteressen, das Krisenmanagement und die Beziehungspflege oder Gastfreundschaft. Der letzte Punkt verbindet meine heutige Tätigkeit mit der Hotellerie. Beide Eltern führten Hotels, deshalb war es für mich von jungen Jahren an eine Selbstverständlichkeit, viele Leute zu Gast zu haben und für eine gute Atmosphäre zu sorgen. Später lernte ich, genau hinzuhören, zu dechiffrieren, was mein Gesprächspartner meint. Das ist in politisch komplexen System wie in Iran äusserst anspruchsvoll. Es gibt in Iran eine ausgeprägte formelle Höflichkeit, den Tarouf, auch Taschador der Zunge genannt. Man tut gut daran, die Verpackung nicht mit dem Inhalt zu verwechseln.

Nun werden Sie als Chefin der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen im Staatssekretariat für Wirtschaft eine ganz andere Aufgabe wahrnehmen. Was verändert sich für Sie?

Ich werde nun wieder in Bern stationiert sein, was das Leben für meine Familie vereinfacht. Gleichzeitig wird wohl weniger Zeit fürs Familienleben übrig bleiben, weil ich weltweit auf Reisen sein werde. Ich freue mich, beim Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen mithelfen zu können – im Iran war diesbezüglich nicht viel möglich wegen der Sanktionen. Mein Team wird mit rund 50 Mitarbeitenden grösser sein als auf der Botschaft mit 30. Selber werde ich nun wieder Teil der Zentrale sein, wo die Politik gemacht wird.

Und was kommt danach?

Ich bin nun vier Jahre in Bern, die Frage nach dem nächsten Schritt stellt sich frühestens in drei Jahren wieder.


20. Juli 2013