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«Du bist immer nur so gut wie dein letztes Spiel»

Als 6-Jähriger Fan ging er ins Stadion, später als Junior wurde er vom SC Bern für zu wenig talentiert befunden. Dennoch verfolgte Mark Streit hartnäckig sein Ziel, einmal in der besten Eishockey-Liga der Welt zu spielen. Vor seiner elften und vielleicht letzten Saison in der NHL blickt der 38-Jährige auf seine Karriere zurück und spricht über seine Form, sein Millionen-Salär und seine Zukunft.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Adrian Moser



Mark Streit, Sie verbringen den Sommer traditionell in Bern, bevor Sie im Herbst Ihre 11. Saison in der härtesten Hockeyliga der Welt in Angriff nehmen werden. Wie lange macht ihr Körper noch mit?
MARK STREIT: Das weiss ich selber nicht, aber im Moment fühle ich mich sehr gut, besser als vor einem Jahr, als ich nach einer harten NHL-Saison noch die WM in Prag bestritt.

Diesmal gaben Sie der Nationalmannschaft einen Korb mit der Begründung, Sie hätten Schmerzen am ganzen Körper.
Es war eine schwierige Entscheidung, aber sie war richtig. Im Hinblick auf die nächste Saison und meine sportliche Zukunft gönnte ich meinem Körper rechtzeitig die nötige Ruhe. Eine NHL-Saison mit 82 Spielen in sieben Monaten zehrt stark an den Kräften. Zudem erreichten wir die Playoffs mit den Philadelphia Flyers, was die Saison verlängerte; ich übernahm mehr defensive Aufgaben, spielte oft in Unterzahl. Im Jahr zuvor hatte ich wegen der WM erst spät mit dem Aufbautraining begonnen und mich danach prompt verletzt. Nun habe ich mir nach Saisonende Ferien gegönnt und dann frühzeitig mit dem Sommertraining begonnen. Die NHL-Saison beginnt zwar erst Mitte Oktober, ich kehre aber schon Anfang September für den «World Cup of Hockey» aufs Eis zurück, wo ich mit einem Team Europa gegen die grossen Eishockey-Nationen antreten werde.

Wie bringen Sie sich wieder in Form im Sommer?
Ich trainiere gemeinsam mit Roman Josi und Yannick Weber bei Pure Fitness in Bern. Es ist ein sehr vielseitiges Training, nebst klassischem Krafttraining stehen auch Boxen, Yoga und Tennis auf dem Programm. Ebenso wichtig sind auch aktive Erholung und Entspannung. Ich gehe gerne Fischen, habe regelmässige Termine in Osteopathie und Massage. Für manche mag es so wirken, als würde ich im Sommer einen sehr langen Urlaub geniessen, aber man muss sich auch in diesen Wochen professionell vorbereiten, sonst büsst man das in der zweiten Saisonhälfte. «Rest ist a weapon», sagen die Amerikaner, und je älter du bist, desto mehr musst du auf die Erholung achten.

Sie sind jetzt 38-jährig und haben ihren Platz im ersten Block an einen 22-jährigen Teamkollegen verloren. Statt im Überzahlspiel zu glänzen und viele Skorerpunkte zu erzielen, müssen sie oft in Unterzahl verteidigen. Wie haben Sie das weggesteckt?
Natürlich ist es schön, offensiv zu spielen, entscheidende Tore zu erzielen, letzte Pässe zu spielen. Aber die NHL ist kein Wunschkonzert. Bis zu meiner Verletzung erzielte ich 9 Punkte in 16 Spielen, dann übernahm der 22-Jährige Shayne Gostisbehere meinen Platz und machte das sehr gut. Ich erhielt eine defensivere Rolle zugeteilt, wurde durch die vielen Unterzahl-Situationen ein noch kompletterer Spieler. Es bringt nichts, in solchen Situationen zu hadern. Solche Dinge entscheidet der Trainer und teilt es dir in zwei Sätzen mit, diskutiert wird da nicht. Deshalb zahlt es sich aus, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die du selber beeinflussen kannst.

Aber Sie sind ja kein Nobody, sondern einer der Stars des Teams, ausgestattet mit einem Vertrag, der Ihnen in vier Jahren 21,5 Millionen Dollar einbringt. Zählt das in solchen Situationen gar nichts?
In der NHL fragt niemand danach, wer du mal warst oder wie viel du verdienst, da bist du immer nur so gut wie dein letztes Spiel. Natürlich würde ich mich über eine offensivere Rolle freuen, aber ich habe in all der Zeit nie vergessen, welches Privileg es ist, überhaupt in dieser Liga spielen zu dürfen. Als ich 1999 erstmals versuchte, in Nordamerika Fuss zu fassen, musste ich hartes Brot essen. Du lernst als Spieler sehr früh, keine Ansprüche zu stellen, dein Ego im Zaum zu halten – und umso härter weiterzukämpfen. In einem NHL-Team rücken 60 Spieler ins Trainingslager ein, 18 bis 20 Spieler sind mehr oder weniger fix, also kämpfen 40 Spieler um 3 bis 4 Positionen.

Selbst ein gut dotierter Vierjahresvertrag wie Sie ihn unterschrieben haben bietet wenig Sicherheit. Im Februar waren Sie während Wochen im Ungewissen, ob Philadelphia Sie zu einem anderen Klub transferiert. Hat man als Spieler null Einfluss darauf, wo man künftig spielt?
Bei mir gab es immerhin die Klausel im Vertrag, dass nur 10 Klubs als künftige Arbeitgeber in Frage kamen. Ansonsten gilt auch da: Das Management entscheidet, der Spieler arrangiert sich damit. Wäre ich transferiert worden im Februar, hätte der Manager mich angerufen und beispielsweise gesagt: «Wir traden dich nach Detroit. Danke für deinen Einsatz. In fünf Minuten ruft dich der Manager von Detroit an.» Es ist definitiv nicht wie in der Schweiz, wo einige Klubs von ihren Leistungsträgern abhängig sind und es sich nicht mit ihnen verderben wollen. Man gewöhnt sich an diesen Umgangston. Und unser Job ist so aufregend, so emotional, so gut bezahlt, dass ich mich wirklich nicht beklagen möchte. Und ich war ja offenbar so wichtig für das Team, dass ich am Ende nicht transferiert wurde.

Einige Eishockey-Experten sagen, nur durch einen Wechsel zu einem anderen Team hätten Sie die Chance erhalten, den Stanley Cup, die wichtigste Eishockey-Trophäe der Welt, zu gewinnen.
Ich weiss nicht, wie viele Stunden diese Experten auf dem Eis gestanden sind in der NHL. Es ist klar: Etwas Grösseres als den Stanley Cup gibt es nicht im Eishockey. Da wird nach einer kräfteraubenden Saison in enorm intensiven Playoffs die beste aus 30 Mannschaften gekürt – jeder Spieler träumt davon, diesen Pokal zu stemmen. Im Sport passieren immer wieder Dinge, die kein Experte vorausgesagt hat. Dem SC Bern zum Beispiel gab niemand Kredit, nachdem er mit Müh und Not Rang 8 erreicht hatte in der Qualifikation – und Ende Saison wurden die Berner Meister. Auch Stanley-Cup-Sieger Pittsburgh hatte niemand auf der Rechnung Anfang Saison. Wir haben einen guten Mix aus jungen, hungrigen Spielern, Leistungsträgern im besten Alter und erfahrenen Routiniers, dazu zwei starke Torhüter. Mit diesem Team ist sehr viel möglich, wenn jeder seine Rolle findet.

In knapp einem Jahr läuft Ihr Vertrag in Philadelphia aus – wie geht es danach weiter?
Darüber zerbreche ich mir im Moment nicht den Kopf. Aus heutiger Sicht möchte ich meine Karriere in der NHL abschliessen. Klar ist auch, dass ich früher oder später in die Schweiz zurückkehren und hier meinen Lebensmittelpunkt haben will. Ich habe im Juli meine Partnerin Fabienne Kropf geheiratet, zum Jahresende erwarten wir Nachwuchs – da wollen wir zusammenleben und nicht mehr zwischen der Schweiz und den USA pendeln. Ob ich noch ein, zwei Jahre anhänge oder in einem Jahr die Karriere beende, weiss ich derzeit nicht.

Wie ist das, wenn man 21,5 Millionen Dollar in vier Jahren verdient?
Für mich hat sich dadurch nicht viel verändert. Ich habe das Geld nie zum Fenster rausgeworfen. Die Ferien dürfen jetzt ein wenig teurer sein, das Essen auch, aber ich bin ein bodenständiger Typ geblieben. Das grosse Geld war jedenfalls nie mein Antrieb. Ich hätte auch in der Schweiz bleiben und ohne grosse Risiken gut verdienen können. Aber mich reizte das Abenteuer im Ausland. Ich bin ein Entdecker-Typ, blühe auf, wenn ich eine neue Stadt kennenlernen, eine schwierige Herausforderung meistern kann. Ich war nie der Talentierteste, aber ich war schon früh stark darin, beharrlich mein Ziel zu verfolgen. Je mehr Leute mir sagen, etwas sei unmöglich, desto mehr Spass macht es mir, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Müssen Sie sich oft dafür rechtfertigen, dass Sie in einem Monat so viel verdienen wie andere Berufsleute in fünf Jahren?
In den USA nicht, da freuen sich die Leute mit dir, wenn du einen guten Vertrag unterzeichnest. In der Schweiz haben die Leute mehr Mühe damit, da kommt leichter Neid auf. Meine engen sozialen Kontakte werden von meinem Geld zum Glück nicht beeinflusst, alle anderen sind für mich nicht massgebend. Ich verstehe, wenn manche das kritisch kommentieren, die Kommerzialisierung hat tatsächlich stark zugenommen, im Baseball werden Verträge über 275 Millionen Dollar unterschrieben. Sport ist ein knallhartes Business geworden, vermögende Leute sind bereit, für kleine Leistungsunterschiede sehr hohe Summen zu bezahlen. Die wenigen, die sich auf höchstem Niveau durchsetzen, profitieren davon, aber für uns Spieler sind die Löhne weniger ein Thema als für die Journalisten.

Worauf sind Sie stolz?
Dass ich mich nicht habe beirren lassen und meinen Weg gegangen bin. Schon als sechsjähriger Knirps begleitete ich meine Eltern ins Stadion zu den Spielen des SC Bern, zu Weihnachten erhielt ich ein Leibchen mit dem Namen der NHL-Legende Chris Chelios. In der Schule wollte ich gar nicht erst mit dem Berufsberater reden, mir war klar, dass ich Profi-Hockeyspieler werde. Einfach war es nicht, ich musste schon verbissen kämpfen, um in die Junioren-Nationalmannschaft zu kommen; die Verantwortlichen des SC Bern glaubten damals nicht an mein Talent und teilten mir das auch so mit. Manchmal hatte ich schon meine Zweifel, ob ich es ganz nach oben schaffe, aber ich war gut darin, Niederlagen abzuhaken, vorwärts zu schauen und die Ziele immer ein wenig höher zu stecken. Dank harter Arbeit, meiner Leidenschaft fürs Spiel und mit der nötigen Unterstützung meiner Familie, konnte ich diesen Weg gehen. Und eines Tages stand ich in der NHL auf dem Eis und spielte gegen meine Idole Mario Lemieux und Chris Chelios. Da erstarrte ich fast vor Ehrfurcht und war sehr glücklich, dass der Traum des kleinen Buben Wirklichkeit geworden war.


27. August 2016