maya_farner_p.jpg

«Ich kann zwar nicht gehen, aber ich könnte versuchen zu tanzen»

Maya Farner hat einen weiten Weg zurückgelegt, um ihrer Berufung nahezukommen: Mit 22 Jahren liess sich die Kindergärtnerin in Istanbul von einem Derwisch im Drehtanz unterrichten, danach suchte die Tänzerin trotz schwerwiegenden Knieproblemen beharrlich nach eigenen Ausdrucksformen auf der Bühne. Die Kurse ihrer Schule für Orientalischen Tanz und Trancetanz sind permanent ausgebucht.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Cordula von Martha


Kontakt und weitere Informationen:
www.mayafarner.ch oder info@mayafarner.ch

Frau Farner, Sie sind in Zürich in einer streng religiösen Familie aufgewachsen. Wie wurde aus Ihnen eine orientalische Tänzerin, die immer neue märchenhafte Bühnenstücke kreiert?
MAYA FARNER: Ich habe einen langen Weg zurückgelegt um zu werden, wer ich bin. Schon früh fühlte ich mich zu allem Musischen hingezogen, aber als Beruf kam das nicht in Frage. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich etwas Rechtes lerne, Krankenschwester oder Kindergärtnerin. So nahm ich das Lehrerseminar mit Hauptfach Sport in Angriff, musste die Ausbildung aber bald abbrechen, weil ich wegen massiver Knieprobleme den Turnunterricht nicht besuchen konnte. Ich absolvierte schliesslich die Diplommittelschule und wurde wie vorgesehen Kindergärtnerin. Nach einem halben Jahr konnte ich mir nichts mehr vormachen: es war nicht meine Welt, nicht mein Beruf. Von da an wandte ich mich dem Tanzen zu.

War der orientalische Tanz für Sie ein Gegengewicht zu den begrenzenden Verhältnissen in ihrer Jugend?
Es gab wohl zwei Antreiber: Bewegung ist wichtig in meinem Leben, seit ich denken kann. Ich habe immer schon getanzt, musste mit zwanzig aber fürchten, meine Bewegungsfreiheit einzubüssen. Die Knieoperation, die meine Wachstumsprobleme beseitigen sollte, war gründlich schief gelaufen, sodass an Flamenco und andere Tanzstile nicht mehr zu denken war. Ich suchte deshalb eine sanftere Form der Bewegung und wurde auf den orientalischen Tanz aufmerksam, der gerade neu in der Schweiz angekommen war. Bei dieser Tanzform kommt die Bewegung viel stärker aus dem Körperstamm: Becken, Brustkorb und Arme werden isoliert, es gibt keine Sprünge und andere Elemente, bei denen grosse Kräfte auf die Beine wirken. So gewann ich durch den orientalischen Tanz meine Bewegungsfreiheit zurück.

Welches war der zweite Antreiber?
Natürlich war das Bild des Orients ein Gegenentwurf zur streng christlichen Religiosität meiner Kindheit. Als ich mit 22 Jahren nach Istanbul ans Tor zum Orient reiste und mich von einem Derwisch im Drehtanz unterrichten liess, war das eine Befreiung. Zuvor war ich aus der Kirche ausgetreten, aber wenn du dein Leben lang betest und dann von einem Tag auf den anderen damit aufhörst, fehlt dir etwas. Im Sufismus fand ich eine für mich stimmige Form der Spiritualität: das getanzte Gebet. Denn im Drehtanz wird die ruhige Achse als eigene Mitte erfahrbar.

Wann kamen Sie auf den Gedanken, das Tanzen zu Ihrem Beruf zu machen?
Das war lange Zeit keine Option, ich kam gar nicht auf die Idee, dass ich mit dieser Leidenschaft meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Stattdessen holte ich bei der Akad die Matur nach und studierte Religionswissenschaften und Philosophie, um mehr zu erfahren über die kulturellen Hintergründe des Tanzes und über die Relation von Körper und Geist. Daneben bildete ich mich intensiv in orientalischem Tanz weiter und gab Tanzunterricht. Nach vier Jahren Studium, kurz vor dem Abschluss, häuften sich die Tanzanfragen so sehr, dass ich mich entscheiden musste, ob ich mich aufs Lizentiat konzentrieren oder ganz auf die Karte Tanz setzen wollte. Ich vertraute auf mein Bauchgefühl, brach die Uni ab und widmete mich ausschliesslich dem Tanzen. Wenige Monate später waren meine Knie so blockiert, dass ich nicht mehr aus meiner Wohnung kam.

Sie mussten alle Termine absagen?
Ja, Kolleginnen sprangen für mich ein, ich sass zuhause und hatte die Stimmen meiner Freunde im Ohr, dass es unverantwortlich sei, den akademischen Abschluss nach acht Jahren Vorarbeit so kurz vor dem Ziel aufzugeben. Schlimmer war die bohrende Frage, ob ich meinem Bauchgefühl noch trauen konnte. Es war eine grausame Zeit, nicht nur wegen der Schmerzen, sondern auch weil ich kein Selbstvertrauen und keine Perspektive hatte. Ich suchte mit Krücken verschiedene Kniespezialisten auf und erhielt immer die gleiche Auskunft: «Vergessen Sies, da ist nichts mehr zu retten!» Schliesslich war ein Spezialist in Magglingen bereit, es mit einer neuartigen Operationstechnik zu versuchen, aber auch dieser Eingriff brachte zunächst keine Fortschritte – die Knie waren chronisch entzündet, weder Kortisonspritzen noch Physiotherapie verschafften dauerhaft Linderung.

Eine ausweglose Situation.
Ja, das war es, bis ich nach einem halben Jahr dachte: «Ich kann zwar nicht gehen, aber ich könnte versuchen, im Wohnzimmer ein wenig zu tanzen.» Erst als der Weg zum Tanz komplett versperrt schien, fand ich durch den Schmerz zu einer tieferen Auseinandersetzung mit meinem Körper und einen neuen Zugang zur Bewegung. Die lädierten Knie zwangen mich, den Weg in letzter Konsequenz zu gehen. Bald wurden die Schmerzen erträglicher und behinderten mich schliesslich kaum mehr.

Wie wurde der orientalische Tanz in der Schweiz aufgenommen?
Ich hatte als Pionierin mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Laien sahen darin in erster Linie den Bauchtanz und hielten das rasch für eine unseriöse, anzügliche Sache. Die professionellen Tanzschaffenden situierten diese Tanzform ebenfalls eher im Bereich der Unterhaltung als im Kunst-Segment. Weil ich parallel zur Tätigkeit auf der Bühne ein Nachdiplomstudium in Tanzkultur an der Universität Bern absolvierte, wurde mir rasch bewusst, wie gefährlich es ist, eine Kunstform eins zu eins in einen anderen Kulturkreis zu verpflanzen. Ich begann, mich von den starren Vorgaben des orientalischen Tanzes zu emanzipieren und meine ganz persönliche Ausdrucksweise zu suchen. Das war die zweite Revolution in meinem Leben nach dem Auszug aus dem Elternhaus: dass ich die Vorgaben, welche die orientalische Tradition verlangt, über Bord warf und darauf pochte, dass Kunst die totale Freiheit braucht. Jeder kann sie für sich beanspruchen, der sich mit der Tradition auseinandergesetzt hat.

Worin unterscheidet sich Ihre Interpretation von der orientalischen Tradition?
Im klassisch orientalischen Tanz wird ein Aspekt des Frauseins extrem betont: das Schöne, Verführerische, Erotische. Das ist auch einer der Gründe, warum Tänzerinnen im Orient kein Ansehen haben, teilweise mit Verachtung gestraft werden. Mir war es wichtig, auch die anderen Aspekte, die dunklen, unangepassten und wilden Seiten des Weiblichen einzubeziehen. Dafür braucht es ein erweitertes Bewegungsvokabular, welches ich mit zeitgenössischen Tanztechniken entwickle.

Das brachte Ihnen zwar nicht unbedingt viel Prestige, aber grossen Zuspruch für Ihre Kurse.
In der Schweiz hat der Tanz gesellschaftlich eine höhere Akzeptanz, er gilt als Kunstform. Als Vertreterin einer weniger bekannten, exotischen Stilrichtung lebe ich mit dem Stigma, eine Aussenseiterin zu sein. Wer weiss, vielleicht werde ich dank dem kürzlich absolvierten Master in Tanzkultur ja doch noch vom Berufsverband Dance Suisse aufgenommen (lacht). Aber ich brauche heute keinen amtlichen Segen mehr, obwohl ich finde, dass es in unserer globalisierten Welt jedem gut anstünde, sein Kulturverständnis durch Auseinandersetzung mit anderen Traditionen zu erweitern. Mein Antrieb ist die künstlerische Arbeit an eigenen Produktionen und die experimentelle und wissenschaftliche Reflexion des Tanzes. Weil ich davon nicht leben kann und weil es mir ein Bedürfnis ist, meine Erfahrungen zu teilen, gebe ich Kurse in orientalischem Tanz, Trance-Tanz und Derwisch-Tanz.

Diese Kurse sind immer sofort ausgebucht. Warum ziehen sie so viele Teilnehmerinnen an? Die «Zeit» mokierte sich kürzlich darüber, dass Businessfrauen im orientalischen Tanz nach der «prallen Weiblichkeit» suchen, die im Büroalltag verpönt sei….
Mich hat die blumige, beinahe orientalische Ausdrucksweise der Autorin des Artikels amüsiert. Natürlich gibt es Teilnehmerinnen, die im Tanz eine Gegenwelt zur nüchtern-rationalen Berufswelt sehen. Die Motive sind aber sehr vielfältig: Berufstänzerinnen finden hier neue Impulse, Private kommen zum Derwisch-Tanz, um sich einen andern Blickwinkel zu erschliessen, der dem Leben eine zusätzliche Tiefe geben kann; und im orientalischen Tanz machen Frauen die schöne Erfahrung, dass man nicht immer Haltung bewahren muss, sondern verspielt neue Ausdrucksformen suchen kann. Viele schätzen es, dass sie diese runden, fliessenden Bewegungen ohne männliche Zuschauer proben und dadurch ganz bei sich sein können, weil sie niemandem gefallen müssen.