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«Wenn du nicht planen kannst, dann lass es sein!»

Wie können Unternehmen die schwierige wirtschaftliche Situation in den Griff bekommen? Berater Michael Faschingbauer* rät, nicht zu viel Zeit für Planung zu vergeuden, sondern nach dem Vorbild guter Unternehmer kreativ zu werden und Experimente zu wagen. Wer alles daran setze, die Dinge im Griff zu haben, beraube sich unter Umständen der grössten Entwicklungschancen.

Interview: Mathias Morgenthaler


Kontakt und weitere Informationen:
michael.faschingbauer@integratedconsulting.at


*Michael Faschingbauer ist Organisationsberater und Autor. Der Grazer beschäftigt sich seit 15 Jahren mit unternehmerischer Expertise (Effectuation) als Methode des Gestaltens unter Ungewissheit.

Herr Faschingbauer, Sie sind Berater und helfen Ihren Kunden, gute Entscheidungen zu fällen in Unsicherheit. Hat Ihnen Ihre Expertise geholfen im Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie?
MICHAEL FASCHINGBAUER*: In den ersten Tagen war ich wie alle mit zwei Dingen beschäftigt: Krisenmanagement und Trauern. Zum ersten gehört, sich ein Bild der persönlichen Lage zu verschaffen: Was fällt alles weg? Was lässt sich retten? Wie gross ist der Verlust und wie lange kann ich so überleben? Ich sah relativ rasch, dass ich bis im Herbst irgendwie über die Runden komme. Und dann setzte die Trauer ein. Über die Konferenz, die man fast ein Jahr lang vorbereitet hat und die jetzt nicht stattfinden kann; über die Isolation; über all die Ziele, von denen man sich besser rasch verabschiedet. Wer sich von unrealistischen Plänen befreit, hat einen besseren Blick auf die Chancen.
 
Ist das nicht zynisch, den Unternehmern die Krise als Chance zu verkaufen?
Wer nicht weiss, wie er die Löhne für die Angestellten bezahlen, die eigene Familie ernähren soll, der mag nichts von Chancen hören. Wir reden primär von Schadensbegrenzung. Und doch ist es wichtig, dass wir uns rasch von unseren Plänen lösen können. Zur Krise wird die Situation vor allem dadurch, dass wir an unrealistischen Zielen festhalten. Wenn du nicht planen kannst, dann lass das Planen sein. Im Dezember haben viele Manager eine Menge Zeit investiert, um Budgets zu erstellen, Auslastungs-, Umsatz- und Liquiditätsplanungen für 2020 zu machen. Das macht Sinn in einer stabilen Umgebung. Aber jetzt sind all diese Pläne Makulatur und es bringt nichts, viel Zeit in Neuplanung zu investieren. Jetzt braucht es weniger Management, aber mehr unternehmerisches Gestalten und Improvisationsfähigkeit.

Was meinen Sie damit?
In den Medien werden erfolgreiche Entrepreneure oft als Genies oder Helden dargestellt. Doch gute Unternehmer sind keine Übermenschen. Dank der Forschung wissen wir, dass sie mit zunehmender Erfahrung zu einem ähnlichen Mindset tendieren. Vereinfacht gesagt: Sie laufen dann zur Hochform auf, wenn Dinge nicht geplant und nach Vorgabe umgesetzt werden können. Sie schöpfen aus dem, was zur Verfügung steht, und nicht selten sind das Probleme oder Dinge, die schief gehen. Sie sind darin dem Künstler näher als dem Manager.
 
Können Sie das konkretisieren?
Nehmen wir an, Sie wollen Gäste zum Essen einladen. Wenn Sie wie ein erfahrener Manager denken, legen Sie ein Datum fest, entscheiden sich für ein Rezept, kaufen die erforderlichen Zutaten ein, kochen das Gericht nach Plan und essen es dann mit ihren Gästen. Da in der Küche und im Laden relativ stabile Rahmenbedingungen herrschen, wird das vermutlich gelingen, Sie haben am Ende genau das geplante Resultat. Wenn Sie ein Unternehmer sind, dünsten Sie Zwiebeln im Öl an, weil Sie Hunger haben und Zwiebel mögen. Dann schauen Sie, was Sie noch im Kühlschrank haben und was sich daraus improvisieren lässt. Vielleicht klopfen Sie beim Nachbarn an und fragen, ob er was beisteuern und mitessen mag. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf diesem Weg etwas Neues, Kreatives entsteht, ist wesentlich grösser.
 
Und diese Herangehensweise ist jetzt besonders gefragt?
Ja, weil gerade so viele unerwartete Dinge geschehen, sollten wir uns von unserer Planungsillusion lösen und öfter fragen, was da gerade möglich wird durch die besonderen Umstände. Wer permanent die Realität mit den schönen Plänen abgleicht, wird enttäuscht ohne Ende. Und er sieht nicht, dass in der aktuellen Situation viel Raum ist für kreative Lösungen. Wie lange reden wir schon über die Notwendigkeit von Digitalisierung in Schulen, in Büros, in allen Lebensbereichen? Was jahrelang verschleppt wurde, ist jetzt innert weniger Wochen eingeführt worden. Fernunterricht an Schulen, Videokonferenzen statt aufwendiger Präsenzsitzungen, Verzicht auf Geschäftsreisen, Home-Office als Selbstverständlichkeit. Schnapsbrennereien haben sich innert Kürze zu Desinfektionsmittelherstellern umfunktioniert, Stewardessen halfen in der Pflege aus, Kellner beim Verteilen von Lebensmitteln an Senioren. Es wird nicht in Konzepte und Vorhersage investiert, sondern auf das gesetzt, was jetzt funktioniert. Und es wird sehr viel ausprobiert.
 
«Handeln schlägt Planen», nennen Sie das in Ihren Büchern und Vorträgen. Gibt es dafür eine wissenschaftliche Evidenz?
Ja, das wurde sehr gründlich erforscht. Die Entrepreneurship-Professorin Saras Sarasvathy, die an der Universität Virgina lehrt, hat im Rahmen ihrer Promotion untersucht, nach welchen Prinzipien erfolgreiche Mehrfachgründer ihre Unternehmen leiten. Sie hat daraus den Effectuation-Ansatz entwickelt und damit ihre Forschungsrichtung entscheidend geprägt. Die vier Erfolgsfaktoren fürs Handeln in Ungewissheit sind: Gehe von den vorhandenen Mitteln aus und frag dich, was damit möglich ist; hole sehr früh mögliche Partner ins Boot und setze auf Co-Kreation; mache dir klar, welchen Verlust respektive Einsatz du dir leisten kannst; sehe Unerwartetes, also Zufälle und herausfordernde Umstände, als Chance für Kreativität und Hebel für Innovation.
 
Mit welchen dieser Prinzipien tun sich Unternehmen am schwersten?
Aus meiner Zeit als Produktmanager in der Autoindustrie weiss ich, dass in vielen Unternehmen nur Projekte umgesetzt werden, deren späterer Ertrag man gut berechnen kann. Man investiert Geld – oft geliehenes – in der Hoffnung auf eine hohe Rendite. Und man will die Dinge um jeden Preis im Griff haben. Der Effectuation-Ansatz lädt uns ein, uns früh mit unserer ganzen Unsicherheit zu exponieren und zum Beispiel mit Kunden oder Partnern etwas Neues zu entwickeln. Das braucht Mut und unternehmerische Freiräume in den Organisationen. Wenn jede Idee vom Management kommen oder schon auf dem Papier zentral gutgeheissen werden muss, werden sehr viele Innovationschancen verspielt.
 
Wer verkörpert in Ihren Augen die Tugend, aus schwierigen Situationen das Beste herauszuholen, besonders gut?
Eindrücklich finde ich die Story von Josef Zotter. Der war in den 1990er-Jahren mit seiner Bäckerei-Kette gescheitert, ihm blieben noch die eine Konditorei in Graz und ein hoher Schuldenberg. 2005 wurde er in Österreich zum Unternehmer des Jahres gewählt und als visionärer Unternehmer für seine Schokolade-Manufaktur gefeiert. Hatte Zotter einen tollen Plan ausgeheckt oder eine geniale Idee gehabt? Nein, er hat sich auf den machbaren nächsten Schritt konzentriert. Er hat den stillgelegten Schweinestall seiner Eltern umgebaut und dort mit drei Mitarbeitern begonnen, Schokolade zu produzieren. Erträge zu berechnen, wäre eine Zeitverschwendung gewesen, er schätzte nur ab, welche Investition er sich leisten kann. Dann bat er einen früheren Kollegen, der Künstler geworden war und über seine hässlichen Produkte gespottet hatte, eine hochwertige Verpackung zu gestalten für seine Schokolade. Damit legte er den Grundstein für die Erfolgsgeschichte.
 
Taugt der Effectuation-Ansatz auch für die persönliche Laufbahngestaltung?
Unbedingt. Die wenigsten Menschen würden im Rückblick auf ihr bisheriges Leben sagen, sie seien das Ergebnis von Zielen, die sie sich gesetzt haben. Vielmehr ist es doch so, dass wir auf Zufälle reagieren, Gelegenheiten nutzen, die richtigen Verbündeten suchen. Das heisst: Wer sich beruflich verändern will, braucht nicht primär einen wasserdichten Plan und muss nicht in erster Linie teure Weiterbildungen absolvieren. Wichtiger ist, einmal in den eigenen Kühlschrank zu schauen, also sich zu fragen: Wer bin ich? Was bringe ich alles mit? Wen kenne ich? Und was könnte daraus Sinnvolles entstehen?


13. Mai 2020.