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«Wir kochen mit Ingwer aus Weggis und Limetten aus der Romandie»

Schon zu Beginn seiner Kochlehre wusste Nenad Mlinarevic, dass er in der Sternegastronomie Akzente setzen will. 19 Jahre und 30 Stationen später bricht der «Koch des Jahres 2016» zu einer Tour de Suisse auf, die ihn auch ins Hotel Schweizerhof in Bern und ins Grand Hotel Park in Gstaad führt. Wo immer er kocht, setzt der 34-Jährige auf Schweizer Produkte statt Jakobsmuscheln und Foie Gras.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


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Herr Mlinarevic, Sie brechen kommende Woche zu einer Tour de Suisse auf und machen in verschiedenen Restaurants und Hotels* halt. Was erwartet die Gäste dort?
NENAD MLINAREVIC: Hochstehende Schweizer Küche mit vielen besonderen regionalen Produkten. Ich habe zum Beispiel im Kanton Thurgau wunderbare Birnen entdeckt, die sortenrein im Holzofen gedörrt werden. Oder ich verwende ein Hagebuttenkernöl eines Basler Spezialisten, der nur drei bis vier Liter pro Jahr produziert. Ich finde es viel spannender, den Gästen solche Trouvaillen zu bieten, als ihnen Hummer, Kaviar und Jakobsmuscheln aufzutischen.

Sie setzen seit einem Jahr ganz auf Schweizer Produkte. Ist das nicht eine grosse Einschränkung beim Kochen?
Eine Gegenfrage: Wenn Sie nach Thailand fliegen, bestellen Sie dann Pizza oder Rösti im Restaurant? Hoffentlich nicht! Warum also sollten wir Produkte aus der ganzen Welt hierher einfliegen lassen, wenn die Natur vor der Haustür so viel hergibt? Zum hundertsten Mal Foie Gras, Langusten und Steinbutt, darauf habe ich einfach keine Lust mehr. In der Schweiz gibt es hervorragende Süsswasserfische, wunderbares Fleisch und einen grossen Reichtum an Gemüse und Früchten. Es gibt sogar Zitrusfrüchte wie Limetten, Mandarinen und Bergamotte aus der Romandie, wir sammeln Kräuter und Blüten am Fuss des Rigi. Aus Weggis kommen Öl und Essig oder sogar Chili, Ingwer und Zitronengras, die ein Mexikaner züchtet. Oder unreif gepflückte Kornelkirschen, die in Salzlake und Essig eingemacht werden und danach wie Oliven schmecken, was ihnen einst den Namen «Oliven für Arme» einbrachte. Und vor einiger Zeit kam ich mit einer Frau in Kontakt, die 127 verschiedene Tomatensorten züchtet. Für mich als Koch ist es extrem spannend, mit diesem Reichtum an traditionellen Produkten zu arbeiten.

Kommen Sie ganz ohne klassische Zutaten wie Pfeffer, Curry, Aceto Balsamico oder Olivenöl aus?
Ja, das ist kein Problem. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Auf Kaffee und Schokolade verzichte ich nicht, obwohl die Rohstoffe dafür aus Übersee kommen. Ich will den Gast ja nicht erziehen und ihm den Kaffee nach dem Essen vorenthalten. Sonst empfinde ich es aber nicht als Einschränkung, nur auf Schweizer Produkte zu setzen, sondern als Herausforderung und besonderes Markenzeichen. Es gibt so viele Modeerscheinungen in der Küche – die Regionalität ist dabei die ewige Konstante. Von den vielen sehr guten Köchen gibt es nur wenige, die wirklich eine eigene Handschrift haben. Es ist schwierig, eine solche zu entwickeln. Für mich ist es wichtig, dass der Weg der Nahrungsmittel vom Produzenten auf den Teller möglichst kurz ist und dass die Produktequalität und der natürliche Geschmack im Vordergrund stehen.

Sie haben als junger Küchenchef im aufwendig umgebauten Park-Hotel Vitznau im Jahr 2013 auf Anhieb 2 Michelin-Sterne erhalten. Nun sind noch der 18. Punkt im «Gault Millau» und die Auszeichnung «Koch des Jahres 2016» dazugekommen. Wie wichtig ist Ihnen diese Anerkennung?
Es ist eine schöne Bestätigung für mein Team und mich. Aber es bringt nichts, so etwas anzustreben. Bei der täglichen Arbeit denke ich nicht daran, wie diese bewertet werden könnte. Ich hatte keine Ahnung, ob der «Gault Millau» die Abkehr von den internationalen Klassikern honorieren oder mich dafür abstrafen würde. Entscheidend war etwas Anderes: Ich bin zwar erst 34-jährig, aber schon 19 Jahre im Job. Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann ist es Routine. Ich will mich weiterentwickeln, dazulernen, Neues versuchen.

Deshalb haben Sie in den 19 Jahren 11 Anstellungen und 9 Praktika aneinandergereiht?
In jungen Jahren gibt es nichts Besseres, als viel zu reisen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und so viel wie möglich zu lernen – technisch und menschlich. Ich erinnere mich gut an mein Praktikum im weltberühmten Noma in Kopenhagen. Ich war 2009 dort, sechs Jahre nach der Gründung des Restaurants, und mich beeindruckte sehr, wie konsequent der regionale Ansatz dort gelebt wurde. Mir wurde bewusst, dass die Köche mehr Respekt haben vor Produkten, die aus der Nähe kommen. Wer die Produzenten kennt und weiss, mit wie viel Liebe und Sorgfalt die ihre Arbeit machen, kocht anders. Er hat mehr Vertrauen in die Produkte. Wenn ich Weisskohl mit Zwiebeln an einer Rauchbutter-Hollandaise zubereite, möchte ich, dass der Gast diese drei Zutaten schmeckt. Ich brauche dann keine 30 Dinge auf dem Teller, keinen Firlefanz. Jedes Produkt hat seine eigene Geschichte. Welcher Koch kann schon eine Geschichte erzählen zu seiner Jakobsmuschel?

Haben Sie Ihrem Vater eigentlich schon einmal gedankt, dass er Ihnen vor 19 Jahren eine Schnupperlehrstelle am Herd des «Dolder Waldhauses» organisiert hat?
Nein, aber Sie haben Recht, das wäre angebracht – wer weiss, was sonst aus mir geworden wäre. Es gibt kein grösseres Geschenk als täglich das tun zu dürfen, was man liebt.

Wann war Ihnen klar, dass Sie in der höchsten Liga kochen wollen?
Schon während der Lehre sagte ich mir: Ich will es richtig machen, und einer der Besten in der Sternegastronomie werden. Als ich zwanzig war und in der Wirtschaft zur Höhe in Zollikon arbeitete, warnte mich der österreichische Küchenchef davor: «Du wirst fast nichts verdienen, auf fast alles verzichten müssen, keine Freunde treffen, viel Stress haben und immer wieder zusammengestaucht werden», sagte er. Aber da war es schon zu spät, da verschlang ich schon Kochbücher zuhause und war fest entschlossen, um jeden Preis eine Rolle in der Spitzenküche zu spielen.

Und war es so schlimm wie vorausgesagt?
Man muss schon überdurchschnittlich belastbar sein in diesem Beruf. Ich hatte in dieser Hinsicht gute Vorbilder: Mein Vater hatte drei Jobs, meine Mutter arbeitete auch hart. So war mir früh klar, dass einem nichts in den Schoss fällt. Eine Schwierigkeit beim Kochen ist, dass man unter enormem Zeitdruck arbeitet und dabei alles perfekt hinbekommen muss. Und am Anfang ist der Verzicht tatsächlich gross. Mit 3000 Franken Bruttolohn und Kosten für Auto und Personalzimmer macht man keine grossen Sprünge – zum Glück hat man gar keine Zeit dafür. Ich arbeitete zu Beginn sonntags im McDonalds, um meinen Lohn aufzubessern.

Welche Ziele bleiben, wenn man bereits 18 Punkte und 2 Michelin-Sterne hat wie Sie?
Manchmal bin ich froh, sind es nicht 19 Punkte und 3 Sterne – dann würde ich vielleicht weniger unbeschwert ans Werk gehen. Aber mit den Sternen ist es seltsam. Als ich die Chance erhielt, für Andreas Caminada im Schloss Schauenstein zu kochen, war ich schon länger in 18-Punkte-Häusern tätig; Caminada hatte damals 16 Punkte. Ich überlegte kurz, ob das nicht ein Rückschritt wäre. Als ich aber sah, was Caminada in der Küche machte, wusste ich, dass es für mich keinen besseren Ort geben konnte. Die zwei Jahre waren prägend für meinen weiteren Weg. Das Schloss Schauenstein ist wie ein zweites Zuhause für mich. Andreas und ich telefonieren oft zusammen, wenn wir beide in den frühen Morgenstunden auf dem Heimweg sind.

Selbst Spitzenköche, heisst es, verdienen nur dann richtig gut, wenn sie ins Fernsehen gehen oder mit Büchern und Merchandisingartikeln Geld generieren. Sehen wir Sie bald in einer eigenen TV-Sendung?
An Anfragen mangelt es nicht, aber das ist nicht meine Welt. Ich stelle mich ungern ins Scheinwerferlicht, mein Platz ist bei meinem Team in der Küche. Teamwork ist mir wichtig. Ich fühle mich nicht als Star, sondern koche selber an meinem Posten und beziehe meine Kollegen in die Kreationen mit ein. Und ich möchte auch nicht, dass sich alles in meinem Leben nur noch ums Kochen dreht. Es gab diese Phase zwischen 22 und 27 Jahren, da war ich 24 Stunden pro Tag Koch. Aber wenn man den Beruf länger ausüben will, braucht es einen Ausgleich, eine gesunde Balance. Deshalb bin ich dankbar für meine Beziehung und für Freunde aus der Schulzeit, die mir versichern, ich sei immer noch der gleiche Kindskopf wie damals.

Träumen Sie davon, eines Tages ein eigenes Restaurant zu eröffnen?
Irgendwann könnte das ein Thema werden: zum Beispiel ein Bistro mit regionalen Produkten und einfacher Küche.


6. Februar 2016 (Teil 2 des Interviews in einer Woche)