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«Sind wir dressierte Affen oder aufgeklärte Menschen?»

Wie kommt die Wirtschaft wieder in Fahrt nach den einschneidenden Massnahmen wegen der Corona-Pandemie? Es brauche jetzt keinen grenzenlosen Konsum, sondern ein Umdenken, denn «wenn wir weiterfahren wie vor der Krise, müssen wir sehr bald neue Planeten erschliessen», sagt der Ökonom Niko Paech. Er ruft zu einem «Rückbau der Globalisierung» auf und plädiert dafür, weniger zu konsumieren und mehr zu reparieren.

Interview: Mathias Morgenthaler


Kontakt und weitere Informationen:
www.postwachstumsoekonomie.de/


Streitbarer Ökonom und Buchautor

Niko Paech forscht und lehrt als Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Umweltökonomie und Nachhaltigkeitsforschung. Der 59-Jährige zeigt in seinem Konzept der Postwachstumsökonomie Alternativen zum  Wachstumszwang auf. Paech ist Autor diverser Bücher, etwa «Befreiung vom Überfluss» und «All you need is less» (gemeinsam mit Manfred Folkers).

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Herr Paech, der Kollaps des Gesundheitssystems wegen der Corona-Epidemie konnte vermieden werden, nun rückt zunehmend die Angst vor einer schweren Rezession in den Mittelpunkt. Wie wirkt das auf Sie, wenn die Leute dazu aufgerufen werden, besonders viel zu konsumieren, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln?
NIKO PAECH: Ich habe Verständnis dafür, dass man einen Absturz ins Bodenlose verhindern will. Deshalb braucht es unternehmerische und staatliche Investitionen, um das Einkommen und die Güterversorgung auf einem Minimalniveau zu stabilisieren. Aber insgesamt ist eine Verringerung der Produktion und des Verkehrs nötig, um die Ökosphäre zu erhalten. Wir haben zu lange darauf vertraut, dass die Umweltprobleme durch technischen Fortschritt überwunden werden können. Das Gegenteil ist der Fall. Die angeblich sauberen Technologien haben manche Probleme noch verschärft.
 
Inwiefern?
Ob Sie nun die Abfallmengen, die Artenvielfalt, die Wasserknappheit, die CO2-Emissionen oder die Bodenversiegelungen als Richtgrösse nehmen: Alle Statistiken zeigen, dass wir nichts erreicht haben durch die viel beschworene grüne Wende und unsere Technologiegläubigkeit. Der Elektrofahrrad-Boom hat nicht dazu geführt, dass mehr Leute ihr Auto in der Garage stehen lassen, aber er hat den Bedarf an Elektrizität, Erdöl und Rohstoffen für die Akkus massiv erhöht. Die Fotovoltaik- und Windkraftanlagen haben zu einer Entstellung der Landschaft geführt und stellen einen massiven Eingriff in die Natur dar – und gleichzeitig sinken die Treibhausemissionen kaum. Technologische Innovationen ändern nichts daran, dass unser Wohlstand auf ökologischer Plünderung beruht. Das Einzige was hilft, ist eine Reduktion, sprich eine Postwachstumsstrategie.
 
Ist die Corona-Epidemie in Ihren Augen eine Art Weckruf?
Es ist offensichtlich, dass die Corona-Krise die gleichen Ursachen hat wie der Klimawandel, der Artenschwund und viele weitere von uns verursachte Krisen. Hoffentlich ist das für viele ein Anlass, über Alternativen zum angeblichen Wachstumszwang nachzudenken. Die meisten haben zwar wahnsinnig Angst davor, dass die Wachstumsmaschinerie ins Stocken gerät, aber wenn wir an unseren Konsum- und Mobilitätsansprüchen festhalten, mit dem Billigjet zur nächsten Party fliegen, uns alle Arbeiten von Energiesklaven abnehmen lassen und das Bruttosozialprodukt zum alleinigen Indikator des Gelingens machen, müssen wir sehr bald neue Planeten erschliessen. Die Dinge sind offensichtlich ausser Kontrolle geraten.
 
Worin zeigt sich das?
2008 hat die Hypothekarkrise in den USA eine weltweite Finanz- und Verschuldungskrise ausgelöst, die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Gut zehn Jahre später zeigt sich erneut, dass niemand diese globalisierte Industriegesellschaft kontrollieren kann. Es ist eine Schönwetter-Ökonomie, die in guten Zeiten spottbillig und „just in time“ die tollsten Wohlstandsartefakte ausspuckt, die aber jederzeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen kann. Wir befinden uns im Blindflug und produzieren Risiken über Risiken. Weil wir so arrogant waren, sind wir in mittelalterliche Zustände zurückgefallen: Plötzlich sind elementare Dinge wie die Gesundheit und die Versorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs nicht mehr sichergestellt. Es ist höchste Zeit, unser Fortschrittsdenken neu zu kalibrieren und einen massvollen Rückbau der Globalisierung und Technologisierung in Angriff zu nehmen.
 
Wenn man Ihre Bücher liest und Ihre Vorträge hört, gewinnt man den Eindruck, Sie möchten das Rad der Zeit zurückdrehen.
Ich setze mich dafür ein, dass wir Sicherheit und Integrität zurückerlangen. Wir können lange über Klimaziele debattieren und Szenarien ausrechnen. Solange wir nicht bereit sind, uns mit einem CO2-Verbrauch von einer Tonne pro Person und Jahr zu begnügen, sind wir Ignoranten oder Heuchler. Der Luxus, den wir in einem mörderischen Pokerspiel gewonnen haben, steht uns nicht zu – wir haben ihn ertrickst, indem wir die Kosten und Schäden verschoben haben. 60 Prozent der Umweltschäden, welche die Schweizer verursachen, schlagen im Ausland zu Buche. Unsere Konsumgesellschaft muss sich beschränken. Entweder tut sie es „by design“ oder „by desaster“, sprich freiwillig und bewusst oder weil weitere Katastrophen uns dazu zwingen. Endlos werden die Staaten die Konsequenzen unserer Lebensweise nicht mit weiterer Verschuldung abfedern können.
 
Was schlagen Sie konkret vor?
Die von mir in die Debatte eingebrachte Postwachstumsökonomie beruht auf mehreren Schritten: Erstens gilt es, Wohlstandsballast abzuwerfen. Das ist kein Verzicht, sondern eine Entlastung, weil wir die Zeitsouveränität zurückgewinnen und so den Stress und die Reizüberflutung überwinden; zweitens müssen wir wieder mehr auf Eigenproduktion setzen, unsere handwerklichen Fähigkeiten zurückgewinnen, die Lebensdauer von Geräten durch Instandhaltung und Reparatur verlängern und die Gemeinschaftsnutzung von Haushaltgegenständen etc. ausbauen. Drittens braucht es wieder regionale Versorgungssysteme und einen Rückbau der globalisierten Industrie. Urban-Gardening-Initiativen oder Reparatur-Organisationen wie das Schweizer Unternehmen Revendo, das seine Kunden mit Apple-Geräten versorgt, ohne ein einziges neues Produkt zu verkaufen, sind ermutigende Beispiele für diesen Weg.
 
Wie genügsam leben Sie selber?
Ich besitze kein Auto, kein Eigenheim, keinen Fernseher, kein Smartphone, noch nicht einmal ein Mobiltelefon. Geflogen bin ich ein einziges Mal in meinem Leben. Kürzlich habe ich mit viel Freude ein weiteres Mal mein zwölfjähriges Notebook repariert. Die Waschmaschine teile ich mit vier Nachbarn.
 
Leiden Sie unter den Einschränkungen?
Im Gegenteil. Ich führe ein sehr genussvolles Leben, schwelge in Literatur und Musik, spiele in zwei Bands und esse gerne gut – seit den 1970er-Jahren vegetarisch. Es tut unheimlich gut, sich von Überfluss zu befreien und sich auf jene Dinge zu konzentrieren, die durch eigene handfeste Mitwirkung entstehen. Arbeit bedeutet ja ursprünglich das: miteinander etwas herzustellen. Es bedeutet nicht, alles so zu organisieren, dass man nur noch Informations- und Geldflüsse steuert, alles delegiert, was zeitraubend oder anstrengend sein könnte, und sich in seinem Convenience-Dasein amüsiert und optimiert. Wenn wir wieder mehr aufeinander angewiesen sind und zusammenspannen, wird unser soziales Kapital reichhaltiger, wir sind zufriedener und weniger einsam. Und die Dinge gewinnen für uns an Wert dadurch, dass wir ihnen mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken.
 
Sie haben sich zu Beginn Ihrer Laufbahn politisch engagiert. Trauen Sie der Politik inzwischen nicht mehr zu, die Weichen anders zu stellen?
Jedes demokratische Land hat die Politiker, die es verdient. Kein Politiker kann es sich leisten, sich gegen die Lebensrealität seiner Wähler zu stellen. Die Politik reglementiert nicht die Gewohnheiten der Wählermehrheit, sondern spannt sich willfährig vor den Karren dieser Handlungsmuster, um nicht in Ungnade zu fallen. Wir sollten deshalb nicht nach politischen Lösungen schreien. Erst wenn in der Zivilgesellschaft ein Aufstand der Handelnden stattfindet, die sich dem Steigerungswahn verweigern und mit ihrer Lebenspraxis einen anderen Weg einschlagen, kann die Politik ihre Angst vor einer Postwachstumsökonomie verlieren.
 
Und woher nimmt der Einzelne die Motivation, auf Gewohntes zu verzichten?
Letztlich müssen wir uns alle die Frage stellen, wer wir einmal gewesen sein wollen: dressierte Affen, die auf den Glitzer des Konsums reingefallen sind und damit den Planeten ruiniert haben, oder aufgeklärte Menschen, die verantwortungsvoll mit ihrer Freiheit umgegangen sind. Niemand wird sagen können, er habe nicht gewusst, was er mit seinem Lebensstil anrichte. Und wir schaden damit ja nicht nur der Umwelt, sondern viel direkter uns selber. Mitten im Konsumrausch nimmt unser Wohlbefinden ab. Die Suizidrate, die Burnout-Erkrankungen, der Psychopharmaka-Gebrauch – all diese Werte schiessen in die Höhe. Und wegen der Reizüberflutung sind wir unfähig, den erbeuteten Luxus überhaupt noch zu geniessen.
 
Sie werden regelmässig heftig angefeindet, die Beschreibungen reichen von Spinner über Öko-Diktator bis zum «meistgehassten Mann Deutschlands». Warum nehmen Sie das auf sich?
Was mich antreibt, ist die Empörung darüber, mit welcher Rücksichtslosigkeit Menschen einen Wohlstand beanspruchen, der ihnen nicht zusteht. Dieser Wohlstand ist nicht das Resultat eigener Arbeit, sondern Ausdruck unserer Gier und Verantwortungslosigkeit. Er beleidigt jedes intakte Gerechtigkeitsempfinden. Natürlich umarmen mich die Leute nicht, wenn ich an den Grundfesten unserer Konsumgesellschaft rüttle und ihnen den Spiegel vorhalte. Die Anfeindungen nehme ich in Kauf, denn ich bin überzeugt, dass es Störenfriede braucht, die die Systemlogik in Frage stellen.
 
Und Sie haben wirklich nie erwogen, für die Grünen in den Wahlkampf zu ziehen?
Die Grünen in Deutschland entsprechen heute jenen Leute, vor denen sie selbst gewarnt haben, als sie sich gründeten. Ihre Fortschrittsbesoffenheit versperrt den Blick für die Notwendigkeit, mit dem Wachstumsdogma zu brechen. Stattdessen biedern sie sich bei den Wählern mit grünen Wachstumsversprechen an. Die grünen Parteien in der Schweiz mögen etwas weniger schlimm sein. Meine Hoffnungen ruhen auf den regionalen und lokalen Initiativen, die vorleben, wovon es mehr braucht. Solidarische Landwirtschaftsinitiativen wie Radiesli im Raum Bern, Regionalökonomien mit Lokalwährungen, Reparaturstätten und Tauschgelegenheiten. Das sind alles konkrete ökologische Gegenentwürfe zur Wachstumsversessenheit, getreu dem Motto: Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.


2. Mai 2020.