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«Es war, als spielte ich um mein Leben»

Sophie Pacini galt schon mit 8 Jahren als Wunderkind, doch der Ehrgeiz anderer Nachwuchstalente war ihr fremd. Ihr grosser Traum war, eines Tages die Pianistin Martha Argerich zu treffen, die sie verehrte und mit der sie fiktive Gespräche führte. Mit 18 Jahren nutzte sie die Chance, ihrem Idol in einem Hotel in Pietrasanta vorzuspielen – die Begegnung veränderte ihr Leben.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Susanne Krauss


Kontakt und weitere Informationen:
www.sophie-pacini.com



Sophie Pacinis 4. Album: Beethoven und Liszt

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Frau Pacini, wie haben Sie zur Musik gefunden?
SOPHIE PACINI: Meine Eltern sind keine Musiker: die Mutter ist Ärztin, der Vater Professor für italienische Literatur, beide spielen sie kein Instrument. Mein Vater hatte früher ein wenig Harmonium gespielt, und als meine Mutter ihr erstes eigenes Geld verdiente, schenkte sie ihm ein Klavier in der Hoffnung, er beginne wieder zu spielen. Der Plan ging nur halbwegs auf. Als ich sechsjährig war, ermutigte er mich, es ebenfalls zu versuchen. Wir gingen gemeinsam zum Unterricht, und nach zwei Jahren hatte ich ihn überholt. Von da an wurde er mehr und mehr zu meinem Chauffeur, Betreuer und Förderer.

Sie machten unglaublich rasch Fortschritte, gewannen mit 8 Jahren ihren ersten Wettbewerb.
Ja, das war ein Schlüsselerlebnis. Ich wuchs auf dem Land auf, nahm Unterricht bei einer Lehrerin in meinem Bayrischen Dorf. Eines Tages kam eine russische Klavierpädagogin aus Kiew in die Nähe für einen Meisterkurs, hörte mich spielen und sagte zu meinen Eltern: «Geben Sie mir Ihre Tochter für drei Jahre mit, ich forme sie in Kiev zum Stern meiner Meisterklasse.» Meine Eltern lehnten dankend ab. Sie waren zwar beeindruckt, wie schnell das ging, und wollten mir eine gute Ausbildung ermöglichen, aber sie machten sich auch Sorgen, dass das alles zu viel werden könnte für ein achtjähriges Kind.

Und Sie selber machten sich keine Gedanken darüber?
Nein, ich hatte einfach grossen Spass, weil es so viel Neues zu lernen gab, weil die Stücke so leicht Kontur annahmen und ich mich wohl fühlte an meinem Klavier. Unvergessen für uns alle ist meine Teilnahme am Steinway-Wettbewerb in München. Ich ging dorthin wie ein normales 8-jähriges Mädchen, in Jeans, T-Shirt und Lackschuhen. Die anderen Mädchen trugen ein Ballett-Tutu, die Knaben einen Frack, alle waren wahnsinnig aufgeregt und unter Druck, die Spannung war kaum auszuhalten. Ich setzte mich dort ans Klavier, spielte mein Stück und ging danach mit meinen Eltern essen. Zwei Wochen später wurde ich zum Finale eingeladen mit der Bemerkung der Jury: «Dieses kleine Persönchen hat uns beeindruckt durch ihre eigenwillige, unangepasste Art.»

Warum war es ein Schlüsselerlebnis für Sie?
Nicht weil ich gewann, sondern weil ich dort spürte, wie glücklich ich bin am Klavier. Dieser Flügel im Herkulessaal der Münchner Residenz war so gross, dass ich ihn kaum überblicken konnte. Ich spielte den 2. Satz der Mozart-Sonate in F-Dur, die einen hohen Ton enthält, den ich schon zuhause beim Üben immer sehr geliebt habe. Es war wunderbar, im Herkules-Saal, wo so viele grosse Pianisten spielen, diesen goldenen Ton in den Raum zu stellen. Überhaupt fühlte ich so viel Wärme, als ich mit dem Publikum die Musik teilen konnte, und ich war wahnsinnig glücklich auf der Bühne. Ich glaube, in diesem Moment spürte ich zum ersten Mal, dass das Klavier nicht einfach ein Instrument ist, sondern mein bester Freund, eine Art zweites Ich.

Wann wurde Ihnen klar, dass das Klavierspiel Ihr Beruf sein wird?
Als ich mit 8 Jahren von Karl-Heinz Kämmerling in Salzburg in die Meisterklasse für Hochbegabte aufgenommen wurde, dachte ich noch nicht an solche Dinge – ich sah das als Trainingslager, als Gelegenheit, viel zu lernen und gefördert zu werden in dem, was ich am liebsten tat. Erst drei Jahre später, mit elf, wurde mir klar, dass mir die Musik und das Klavier so am Herzen liegen, dass ich nicht mehr ohne leben will. Schön war, dass meine Eltern und ich da einfach mit Staunen hineingewachsen sind, deshalb gab es weder Erwartungen noch Druck. Für andere Kinder war das viel schwieriger. Da sassen die Eltern mit der Stoppuhr an den Abschlusskonzerten der Meisterkurse und kontrollierten, welches Kind wie lange spielen durfte und wer wie viel Applaus bekam. Dieser Ehrgeiz, diese Eitelkeit haben mich immer befremdet. Das war wohl auch der Grund, warum ich nicht so oft in Musikerkreisen verkehrte, mich jeweils in meine Welt zurückzog.

Und wer stand Ihnen da bei ausser Ihren Eltern?
Ein Wunsch begleitete mich über all die Jahre: Martha Argerich eines Tages kennenzulernen, diese grossartige Pianistin. Mit acht Jahren hatte ich sie erstmals am Radio gehört, dann schaute ich mir Bilder von ihr an und kaufte mir Aufnahmen von ihren Konzerten. Mich beeindruckte ihre verinnerlichte, scheue Art. In einsamen Momenten führte ich oft fiktive Zwiegespräche mit ihr – ich war mir sicher, dass sie mich verstehen würde, weil es auch ihr um den Kern der Musik ging und nicht um all die äusseren Begleiterscheinungen.

Wie haben Sie es geschafft, mit ihr in Kontakt zu kommen?
Der Zufall hat mir diese Gelegenheit geschenkt. Als ich 18-jährig war, verbrachten wir die Sommerferien in Pietrasanta, dem Geburtsort meines Vaters. Wir erfuhren, dass in diesen Tagen ein Musikfestival dort stattfinden sollte, und dass Martha Argerich ein Konzert geben würde. Ich wusste, dass das meine grosse Chance war. Ich fand heraus, in welchem Hotel sie wohnte und wartete stundenlang in der Lobby auf sie. Später setze ich mich an den Flügel, den man in einem Wintergarten für sie aufgestellt hatte. Vermutlich hörte sie die Musik, jedenfalls stand sie dann plötzlich hinter mir und fragte schlecht gelaunt, was ich von ihr wolle. Ich erzählte ihr meine Geschichte, sie sagte, sie wolle erst einmal selber spielen, danach werde sie mir zuhören.

Kein idealer Auftakt.
Mir war das egal. Ich wartete zwei weitere Stunden in der Lobby, bis sie bereit war, und spielte dann die H-Moll-Sonate von Liszt für sie. Es war, als spielte ich um mein Leben, eine immense Anspannung und eine enorme Energie. Als das Pianissimo am Ende verklungen war, stand Martha auf, schritt energisch auf mich zu, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte zu mir: «Sei veramente bravissima – weisst du das?» Ich war im siebten Himmel. Wir redeten den ganzen Abend über die Musik und das Leben; das Jahr darauf lud sie mich an ihr Festival in Lugano ein, wo ich die H-Moll-Sonate spielen durfte. Sie wurde zu einer sehr guten Freundin und wichtigen Mentorin für mich. Wenn sie in München zu Gast ist, wohnt sie bei uns im Haus, und auch sonst wissen wir immer voneinander, wie es uns geht und was wir tun.

War die Begegnung ein Sprungbrett für Ihre Karriere?
Ja, eindeutig, sie hat so viel Einfluss in der Musikwelt, das öffnete mir viele Türen. Bald darauf nahm mich die erste grosse Konzertagentur unter Vertrag, ich durfte in Tokyo spielen, erhielt viele Anfragen. Wir haben aber auch darauf geachtet, dass ich mein Repertoire sorgfältig erweitere und nicht zu viel spiele, es lohnt sich nicht, das alles zu forcieren. Wenn man sich vom Ehrgeiz treiben lässt, verliert man leicht das Glänzen in den Augen und den inneren Bezug zur Musik. Mein Hauptantrieb war nie der Erfolg, sondern Freude zu empfinden beim Spielen, die grossen Komponisten zum Leben zu erwecken und damit das Publikum tief zu berühren. Der Dialog mit dem Publikum ist magisch, es ist ein sehr intensiver Austausch, wie gemeinsames Atmen.

Sie haben mit 25 Jahren schon viele Preise gewonnen, zuletzt den Echo-Klassiv für Ihre Chopin-Aufnahmen. Wie können Sie noch besser werden?
Technisch habe ich ein sehr breites Repertoire, da steht im Vordergrund, die Virtuosität zu erhalten, täglich die Mechanik zu ölen. Entscheidend ist nun die künstlerisch-menschliche Weiterentwicklung. Ich möchte so viele Einflüsse und Eindrücke wie möglich aufnehmen, tief ins Leben eintauchen. Der Beruf der Pianistin kann einsam sein, man ist solo unterwegs, auf der Bühne, oft auch sonst. Deshalb geniesse ich es, im Zug unterwegs zu sein, die Geschichten von Mitreisenden zu hören oder Schriftsteller zu lesen aus der Zeit meiner Lieblingskomponisten. Wichtig ist, dass man neugierig bleibt und nie mit Lernen aufhört.

Soeben ist Ihr viertes Album herausgekommen mit Werken von Beethoven und Liszt. Wie sehr entscheidet die Musik über dessen Erfolg und wie sehr die Vermarktung der Künstlerin?
Als junge Frau, die sich nicht verstecken muss, habe ich tatsächlich Vorteile in der Vermarktung. Ich will mich aber nicht über mein Äusseres positionieren und setze dies deshalb nur zurückhaltend ein. Wenn Sie das CD-Cover anschauen, sehen Sie, dass meine Augen im Zentrum stehen. Sie sollen meine Leidenschaft für die Musik zeigen, den Blick des Betrachters auffangen und ihn weiterlenken auf die Musik. Auch in diesem Punkt ist Martha Argerich ein Vorbild für mich. Sie hat sich immer als Musikerin positioniert, nie als verführerische Frau – obwohl sie zweifellos eine sehr schöne Frau ist.

Sie werden in diesem Jahr von der Schweizer Orpheum-Stiftung gefördert, die jungen Talenten den Weg zu grossen Karrieren erleichtern will. Brauchen Sie diese Unterstützung überhaupt noch?
Ich bin sehr dankbar dafür, auch wenn ich schon viel Erfahrung auf grossen Konzertbühnen sammeln durfte. Es ist wie erwähnt manchmal ein einsames Geschäft, und umso wertvoller ist das Gefühl, dass erfahrene Musiker und Förderer hinter dir stehen.

Von welchen Faktoren hängt es ab, ob eine ganz grosse Karriere gelingt?
Wenn ich mir die grossen Ikonen meines Fachs anschaue, einen Rubinstein oder einen Sokolov, dann würde ich sagen: Entscheidend ist, sich nicht verbiegen zu lassen, authentisch zu bleiben, immer die Leidenschaft für die Musik ins Zentrum zu stellen und sich nicht von Äusserem abhängig zu machen. Je mehr Erfolg du hast, desto mehr Dinge prasseln auf dich nieder, und da brauchst du einen guten Panzer, der dich schützt und der deine Energie zusammenhält. Ich glaube, ich bin im Kern noch immer das eigenwillige, unangepasste Mädchen, das im Alter von acht Jahren den ersten Wettbewerb gewonnen hat, und ich setze alles daran, mir diese Entspanntheit und Unvoreingenommenheit zu erhalten. Natürlich habe ich meine Träume, zum Beispiel einmal in der Carnegie Hall in New York zu spielen, aber das Wichtigste ist für mich, mir nicht untreu zu werden.


10. September 2016