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«Das Leben hat mich zur Selbständigkeit erzogen»

Als Freizeitsportler wunderte sich Umberto Leonetti, wie überzuckert die meisten Sportgetränke waren. Er begann, zuhause eigene Getränke zu mischen und setzte auf Stevia statt Zucker. Das brachte ihm zunächst Ärger mit dem Kantonschemiker und der Polizei. Sieben Jahre später ist der 49-Jährige mit seinen Eistee- und Proteindrink-Kreationen über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: Pablo Ruiz/zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.beodrinx.ch


3 Sorten niceT und 3 Protein-Smoothies von Beodrinx:

 

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Herr Leonetti, Sie haben Tiefbauzeichner gelernt und waren später in der Softwareentwicklung und IT-Projektleitung tätig. Wie kamen Sie auf die Idee, eine eigene Getränkelinie zu lancieren?
UMBERTO LEONETTI: So spannend ich die IT-Projektleitung fand, füllte mich diese Arbeit doch nie ganz aus. Als Angestellter in einem Unternehmen bist du immer nur für einige Aspekte zuständig. Du erlebst kaum das Gefühl, bei Null zu starten, etwas ganz Neues aufzubauen mit allen Chancen und Risiken. Ich hatte in jungen Jahren Mountain-Bike-Zubehör importiert und die unternehmerische Freiheit sehr gemocht, obwohl ich mit dem, was ich verdiente, nur knapp meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Dem Biken bin ich auch später treu geblieben. Und immer wieder wunderte ich mich, was für grässliche Getränke da konsumiert werden. Lauter gesundheitsbewusste Menschen, die haufenweise Zucker und künstliche Süssungsmittel in sich hineinschütten.

Was haben Sie getrunken?
Ich habe früh begonnen, mir eigene isotonische Getränke zu mischen. Bald merkte ich, dass es schwierig war, ohne Zucker etwas Geniessbares hinzubekommen. Mischt man zu viel Fruchtsaft bei, wird das Getränk schwer verdaulich, nimmt man zu wenig, ist es fad. So pröbelte ich jahrelang und achtete genau darauf, was ich wie gut vertrage nach dem Joggen oder Biken. Dann hörte ich während einer sechswöchigen Indienreise erstmals von einer Pflanze mit aussergewöhnlich süssen Blättern. Zurück in der Schweiz las ich im St. Galler Tagblatt einen ausführlichen Bericht über die Stevia-Pflanze, die auch Honigkraut genannt wurde. Ich war wie elektrisiert, denn ich begriff sofort, dass mich dies einen grossen Schritt weiterbringen würde.

So einfach war es dann aber nicht.
Ich recherchierte im Internet und importierte auf eigene Faust Stevia aus Japan, Frankreich, England und den USA. Die Dosierungen in den Flüssigextrakten waren sehr unterschiedlich, das machte die Verwendung für Getränke schwierig. Ich mischte am Morgen und Abend Getränke, führte Buch über meine Eindrücke und die Rückmeldungen von Kollegen. Parallel dazu las ich alles, was ich an Studien über Stevia finden konnte. Die süssen Blätter kamen nur in einer kleinen Bio-Nische zum Einsatz, in der Schweiz und im EU-Raum war Stevia als Getränkebestandteil nicht zugelassen. Ich begriff nicht, warum die Getränkehersteller die Gesundheit der Konsumenten mit Zucker und die Umwelt mit künstlichen Süssungsmitteln belasten durften, der Einsatz von Stevia aber verboten war. Beim Bundesamt für Gesundheit sagte man mir nur, solange es in der EU nicht zugelassen werde, sei das kein Thema.

Spätestens da hätten Sie Ihre Experimente abbrechen und sich wieder ganz Ihrem Job bei einem Anbieter von Geografischen Informationssystemen widmen können.
Ich bin nicht jemand, der den Widerständen aus dem Weg geht. Ich habe im Alter von neun Jahren meine Mutter verloren, mit zwölf meinen Vater – bin also vom Leben früh zur Selbständigkeit erzogen worden. Zudem hat es mir immer imponiert, wenn Unternehmerpersönlichkeiten alles daran gesetzt haben, eine Utopie zu Wirklichkeit werden zu lassen. Viele grosse Unternehmer wurden anfänglich belächelt oder als Spinner abgestempelt, weil sie ihrer Zeit voraus waren. Erst viel später erhielten sie Anerkennung. Ich bin kein Umweltaktivist und kein Gesundheitsapostel, aber wenn man weiss, dass die künstlichen Süssungsmittel in unsere Böden gelangen, weil die Kläranlagen sie nicht herausfiltern können, und dass zu viel Zucker unser wohl gravierendstes Gesundheitsproblem ist, dann kann man doch nicht einfach zusehen. Es braucht dringend Alternativen zu den überzuckerten respektive künstlichen Getränken.

Sie ernteten nach der Firmengründung vor sieben Jahren auch keine Anerkennung, sondern bekamen zunächst einmal Besuch von der Polizei.
(Lacht) Ja, das war verrückt. Als ich ankündigte, im kleinen Kreis ein mit Stevia gesüsstes Getränk zu lancieren, drohte mir der Kantonschemiker mit Konsequenzen. Ich ging trotzdem meinen Weg, so dass eines Tages die Polizei bei mir zuhause aufkreuzte, was zu unschönen Schlagzeilen in der Westschweizer Presse führte. Es war absurd. Sechs Jahre, bevor ein Weltkonzern versuchte, sich mit einer Stevia-Cola ein grünes Mäntelchen umzuhängen, war ich wie ein Verbrecher behandelt worden. Danach war ich noch entschlossener, die Sache durchzuziehen. Auf dem gerichtlichen Weg wäre das sehr schwierig geworden, also musste ich eine provisorische Bewilligung vom Bundesamt für Gesundheit bekommen. Dank geschickter Taktik und einem sehr verlässlichen französischen Stevia-Lieferanten, der als Molekularbiologe höchste Qualitätsanforderungen erfüllte, erhielt ich schliesslich die Genehmigung vom BAG – als war die erste Bewilligung in Europa, Stevia in einem Lebensmittel als Süssungsmittel einzusetzen.

Als Einzelner im umkämpften Getränkemarkt mitzumischen, war trotzdem eine verrückte Idee.
Ja, das ist so. Ich investierte zu Beginn mein Erspartes, mehrere hunderttausend Franken, aber mir war klar, dass das nirgendwo hin reichen würde und ich Finanzpartner finden musste. Es gelang mir, einige private Investoren und vier Mitarbeiter zu finden, die ebenso überzeugt sind von der Sache wie ich selber.

Sie starteten mit einer Serie von Eistee-Kreationen, die Sie «niceT» nannten. Was ist der Hauptunterschied zu den Produkten, die schon auf dem Markt waren?
Die bekannten Cola- und Limonadengetränke enthalten pro Liter bis zu 36 Stück Würfelzucker, Eistees je nach Geschmacksrichtung bis zu 28 Stück oder gut 80 Gramm. Unsere Eistees enthalten keinen Zuckerzusatz und keine künstlichen Süssstoffe, sondern bloss Stevia-Extrakte und etwas Agavendicksaft; alle Zutaten sind bio. 100 Milliliter niceT enthalten deshalb nur 9 Kalorien – das entspricht einem Drittel von Coca Cola Life zum Beispiel.

Vor zwei Jahren lancierten Sie mit Trezor eine zweite Produktelinie, ein Bio-Protein-Smoothie, wie Sie es nennen. Was war da der Auslöser?
Mich hat die Herausforderung gereizt, für Spitzensportler und Hobby-Sportler einen lactosefreien Drink mit hochwertigen Proteinen anzubieten. Proteine sind die Grundbausteine im menschlichen Körper, wichtig nicht nur für den Muskelaufbau, sondern auch Nägel, Haare und die Haut. Man kann die Fitness eines Menschen relativ gut am Proteinhaushalt ablesen. Leider werden auch in diesem Bereich viele ungesunde Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Deswegen lag mir viel daran, eine Bio-Variante mit reinem Fruchtsaftanteil zu entwickeln.

Ihr Problem dürfte sein, dass die Marken unbekannt sind und es deswegen schwierig ist, neue Kundschaft zu gewinnen. Wie sehen Sie ihr Entwicklungspotential?
Sie haben Recht, wir konnten kaum Geld in Marketing und Vertrieb investieren. Dennoch wächst die Kundschaft stetig, der Trend stimmt also. Wir exportieren auch bereits nach Österreich, wo die Trezor-Linie sehr gut läuft. Nebst Detailhändlern wie Manor Food oder Loeb führen viele Gastrobetriebe unsere Getränke, rund ein Drittel verkaufen wir an Private über den Webshop. Natürlich kostet es viel Kraft, das alles am Laufen zu halten – manchmal weiss ich nicht, wie es weitergehen soll. Ich habe aber in den sieben Jahren gelernt, Angst und Ungewissheit auszuhalten, und darauf zu vertrauen, dass sich im richtigen Moment Türen öffnen. Würde ich nur ein Produkt verkaufen, um Geld zu verdienen, hätte ich vermutlich längst aufgegeben. Was mir Kraft gibt, ist die gesellschaftliche Dimension. Wir versuchen, den Getränkemarkt zu bewegen und so mitzuhelfen, dass wir unserem Körper und der Natur weniger schaden. Das ist eine gute Motivation, jeden Morgen zur Arbeit zu fahren, denn es bleibt noch viel zu tun.


26. September 2015