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Der Firmenchef, der mit 18 Euro pro Stunde glücklich ist

Die Erfolgsgeschichte von Premium Cola begann mit einem Ärgernis. Uwe Lübbermann fühlte sich als Kunde eines Cola-Produzenten übergangen und beschloss, es besser zu machen. In der Organisation, die er aufbaute, verdienen alle gleich viel, es gibt keine Verträge und entschieden wird strikt konsensdemokratisch. Mitreden können nicht nur die Angestellten, sondern auch Lieferanten und Kunden. Die ersten Jahre wurde Lübbermann belächelt. Doch 14 Jahre nach der Gründung ist Premium Cola beliebter denn je: Letztes Jahr wurden in 200 Städten 1,4 Millionen Flaschen verkauft. Und Lübbermann wird nicht mehr belächelt, sondern als Referent eingeladen und als Unternehmensberater beigezogen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.premium-cola.de


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Premium Cola ist nicht nur ein Produkt, sondern vor allem eine Idee der Zusammenarbeit.
Foto: Till Gläser | www.glaeser-photography.de

Herr Lübbermann, wie sind Sie zum Gründer von Premium Cola geworden?
UWE LÜBBERMANN: Ich mutierte vom Cola-Konsumenten zum Cola-Produzenten. Eines Tages stellte ich fest, dass meine Lieblingscola anders schmeckte und ich nicht mehr wach wurde davon. Ich fand heraus, dass die neuen Besitzer der Marke Afri Cola heimlich das Rezept geändert und den Koffeingehalt deutlich reduziert hatten. Die Kunden sollten das einfach so hinnehmen – und im Hinnehmen war ich noch nie besonders gut. Ich suchte den Dialog mit den Herstellern, lancierte eine Internetseite, damit enttäuschte Kunden gemeinsam Druck auf die Firma machen konnten. Nach zwei Jahren war mir klar, dass die Manager nicht von ihrem hohen Ross herunterkommen würden, da sie die Kunden offensichtlich nicht als gleichberechtigte Partner betrachteten.

Andere hätten sich einfach von der Firma abgewendet und nach einer Alternative gesucht. Warum wollten Sie es selber besser machen?
Es war kein bewusster Entscheid, Unternehmer zu werden. Ich erhielt einen Hinweis, dass ich das Rohprodukt auch als Einzelperson bestellen konnte. Ich begann mit 1000 Flaschen und brachte diese in der Community in Umlauf. Die Menge wuchs rasch und es stellten sich erste Fragen: nach dem Preis, nach der Organisationsform, nach Partnern in Vertrieb und Buchhaltung. Bald stand nicht mehr das Produkt im Vordergrund, sondern die Idee einer anderen Form von Zusammenarbeit. Und damit die Frage: Welches Menschenbild leitet uns eigentlich bei unseren Entscheidungen? Für mich ist die Gleichwertigkeit von Menschen der zentrale Treiber.

Was bedeutet das konkret?
Zum Beispiel, dass wir alle den gleichen Lohn beziehen: 18 Euro pro Stunde. Das gilt für mich als Gründer und Besitzer ebenso wie für unsere Spediteure oder die Buchhalterin - alle, die wir direkt bezahlen. Es gibt allerdings Ausnahmen: Mitarbeiter mit Kindern und solche mit einer Behinderung verdienen mehr, weil sie im Alltag mehr Geld brauchen.

Sind Sie denn zufrieden mit 3000 Euro brutto pro Monat?
Ja, ich halte mich für einen reichen Mann. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ein Fahrrad, einen vollen Kühlschrank, ein Bahnabonnement und ein Auto, das ich brauchen kann für Transporte. Zudem bin ich versichert und kann etwas beiseite legen für die Zukunft. Von 3000 Euro brutto kann man in Hamburg gut leben. Es ist eine Illusion zu glauben, mehr wäre in jedem Fall besser. Ab einem gewissen Niveau bringt mehr Geld keinen Zuwachs an Zufriedenheit mehr. Bekannt ist hingegen, dass die Spannungen zunehmen bei hohen Einkommensunterschieden. Und Umwelt-Ressourcenverschleiss auch. Zudem ist es eine kurzsichtige Betrachtung, den Lohn auf den Betrag zu reduzieren, den man monatlich erhält. Der Lohn meiner Arbeit ist viel grösser als diese 3000 Euro.

Was rechnen Sie zusätzlich mit ein?
Es gibt für mich mindestens vier weitere Dimensionen: die Stabilität – dass ich nicht von einem Kunden oder Arbeitgeber abhängig bin; die Freiheit, selber zu entscheiden, was wo, wie und wie viel ich arbeiten möchte; die Sinnkomponente – also das gute Gefühl, etwas zu tun, was für mich und die Gesellschaft Sinn macht. Und als fünftes die Reichweite meiner Ideen. Ich habe als Unternehmer mit Premium Cola in den letzten Jahren Hunderte von Referaten gehalten, andere Firmen haben unser Modell der Konsensdemokratie ganz oder teilweise übernommen. Ich will mithelfen, dass sich die Wirtschaft verändert, weg vom Kapitalismus, der die Schwachen ausnutzt und auf ihrem Buckel Profite macht, hin zu mehr Partizipation und Kooperation. Hier etwas bewegen zu können, ist für mich viel wertvoller als ein hoch bezahlter Managementjob ohne Handlungsfreiheit.

Was unterscheidet Ihr Unternehmen denn von klassisch organisierten Firmen?
Die Gemeinsamkeiten wären schneller aufgezählt als die Unterschiede, aber ich versuchs trotzdem. Das Unternehmen beinhaltet für mich nicht nur jene Leute, die direkt angestellt sind, sondern alle 1680 involvierten Partner, also auch die Rohstoffproduzenten, die Zulieferer, die Zwischenhändler, die Spediteure und Gastronomiepartner, die Etikettendrucker, Buchhalter, Informatiker. Ich habe in 14 Jahren keinen einzigen Vertrag ausgestellt, um die Zusammenarbeit zu regeln, und dennoch oder gerade deshalb hatten wir keinen einzigen Rechtsstreit. Das hängt damit zusammen, dass wir nicht hierarchisch, sondern nach dem Prinzip der Konsensdemokratie funktionieren. Alle Partner und interessierten Kunden werden über Veränderungen informiert und können sich einbringen.

Ist das nicht furchtbar zeitraubend und mühsam?
Das fragen mich alle, und ich antworte immer: Zu Beginn ist es aufwendig, aber dann zahlt es sich rasch aus. Entscheidungen haben bei uns klassischerweise eine Vorlaufzeit von ein bis drei Wochen. Ich kenne viele hierarchisch organisierte Unternehmen, in denen es Monate bis Jahre dauert, bis ein Entscheid gefällt wird. Und oft kommt dann ein neuer Manager und krempelt alles wieder um. Wir geben die Themen in eine breite Diskussion, an der sich jeder beteiligen kann, der schon einmal eine Flasche Premium-Cola getrunken hat und sich mit seinem Namen im Online-Board registriert. Nach ein bis zwei Wochen macht jemand einen Beschluss-Vorschlag – oft bin das ich in meiner Rolle als zentraler Moderator. Da haben nochmals alle ein Veto-Recht, wobei Schweigen als Zustimmung gedeutet wird. Von den 1680 Partnern bringen sich gut 150 regelmässig ein, pro Thema sind es 10 bis 15. Alle andern wissen, dass sie diese Möglichkeit haben und nicht einfach über ihre Köpfe hinweg etwas entschieden wird.

Gelingen denn auf diesem basisdemokratischen Weg immer Einigungen ohne Opposition?
Es gab in 14 Jahren zwei Fälle, in denen keine Einigung zustande kam und schliesslich die Produktion gefährdet war. Alle anderen Beschlüsse klappten wunderbar im Konsens. In den beiden Fällen griff ich auf das Instrument der Notentscheidung zurück. Wir haben die Machtstrukturen ja nicht komplett abgeschafft, sondern bloss beiseite gelegt, weil wir sie im Normalfall nicht brauchen. Als wir uns aber über längere Zeit nicht einig wurden, welcher Slogan auf der Etikette stehen soll, liess ich ausnahmsweise die Mehrheit entscheiden. Nun steht da «Deine korrekte Cola aus kollektiver Überzeugung und Leidenschaft». Ich persönlich finde das furchtbar, aber meine Meinung ist nicht so wichtig. Sie sehen, ich kann schon entscheiden als Führungskraft. Aber mein Ziel ist, dass das möglichst selten nötig ist, denn wenn ich ein Machtwort sprechen muss, ist das immer ein Indiz, dass vorher einiges schief gelaufen ist.

Sie haben bei Premium Cola nicht nur keine Verträge und keine Chefs, sondern auch keine Firmenbüros – wie funktioniert das im Alltag?
Ich arbeite gerne von zuhause aus und teile mir die Arbeit frei ein. Was ich für mich beanspruche, will ich auch allen anderen anbieten. Ich bin in Hamburg, unsere Buchhalterin ist in Mecklenburg, andere Mitglieder des Kernteams in Dresden und Freiburg, eine hat sich den Traum erfüllt, ein paar Wochen in Chile zu leben, und arbeitet von dort aus. Manche sehe ich regelmässig, weil sich gezeigt hat, dass die Zusammenarbeit nach einiger Zeit ohne Treffen schwieriger wird. Andere habe ich in 14 Jahren Zusammenarbeit nie getroffen. Für mich passt das gut zu meiner Vorstellung vom Unternehmen. Ich mache nicht diese strikte Trennung zwischen intern und extern. Lieferanten, Händler, Kunden gehören alle zu unserer Organisation. Es ist eine Wertschöpfungskette aus gleichberechtigten Partnern, die dafür gesorgt hat, dass wir im letzten Jahr 1,4 Millionen Flaschen abgesetzt haben.

Vor drei Jahren lag dieser Wert noch unter einer Million. Sie wachsen also schnell, obwohl Sie keine Kredite aufnehmen, keine Werbung machen und auch mal einen Grosskunden abweisen.
Ja, die Geschichte zieht immer weitere Kreise. 14 Jahre nach der Gründung sind wir in 200 Städten in Deutschland, der Schweiz und Österreich vertreten – mit unserer Cola, unserem Bier und der Holunder-und Mate-Limonade, die wir vertreiben. Unser Wachstum ist organisch, wir forcieren es nicht mit Fremdkapital und bedrängen die Konsumenten nicht mit Werbung, sondern wir teilen unsere Idee. Unser Hauptprodukt sind eigentlich nicht die Getränke, sondern es ist unsere Idee der Zusammenarbeit – die Getränke sind eher das Transportmittel dieser Idee. Bei mir stand nie der Profit im Vordergrund, sonst hätte ich einen Businessplan gemacht und Fremdkapital reingeholt. Ich habe es langsam angehen lassen, das Unternehmen nebenberuflich aufgebaut. Mein Geld habe ich auf dem Bau, als Barkeeper und als Behindertenbetreuer verdient. Es dauerte gut 7,5 Jahre, bis ich erstmals Geld verdiente mit Premium Cola, und 8,5 Jahre, bis ich davon leben konnte. Ich kann sehr stur und hartnäckig sein, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe.

Stimmt es, dass Sie manchmal lukrative Grossaufträge ablehnen?
Ja, wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu schnell wachsen und so die Organisation überfordern. 2012 waren wir am obersten Limit und hatten teilweise Mühe, unsere Lieferanten pünktlich zu bezahlen. Wenn dann ein Kunde 400’000 Flaschen Bier für ein Festival bei uns bestellen will, ist das ein grosses Risiko. Da müssen wir manchmal verzichten, um die Balance des Unternehmens nicht zu gefährden. Wachstum ist nicht per se gut und nicht immer notwendig. Jede Organisation hat eine Zielgrösse, die sie nicht überschreiten sollte, wenn sie den sozialen Zusammenhalt bewahren will. Wo diese kritische Grösse in unserem Fall liegt, weiss ich noch nicht. Aber ich möchte nie so weit kommen, ein mittleres Management einführen zu müssen.

Zu reden gab die Tatsache, dass Sie nicht den Grosskunden Rabatte gewähren, sondern den kleinen Abnehmern. Warum?
Bei Grosskunden wird die Auslieferung günstiger, weil es effizienter ist, 1000 Flaschen an einen Abnehmer zu liefern als an 100 verschiedene. Sollen wir diese Kunden noch zusätzlich mit Mengenrabatt belohnen? Wir haben uns fürs Gegenteil entschieden und gewähren kleinen Kunden, die pro Flasche mehr für die Logistik zahlen, einen Anti-Mengenrabatt von 4 Cent pro Flasche, sofern sie diesen beantragen. Unsere Preise sind übrigens für alle transparent: Der Abholpreis bei uns an der Rampe liegt bei 38 Cent pro Flasche, der Zwischenhändler kauft sie für 51,5 Cent und der Gastronomie-Betrieb zahlt 62,5 Cent. Da gibt es keinen Druck auf Lieferanten oder Zwischenhändler, keine Verhandlungen, keine dunklen Geschäfte. Und jeder weiss, wie viel davon in die Buchhaltung fliesst, wie viel in die CO2-Kompensation, wie viel in die Reserven. Der ganze Kreislauf ist so konzipiert, dass alle ihren fairen Anteil haben und davon leben können.

Ernten Sie eigentlich Bewunderung für Ihre unternehmerische Leistung oder stempeln manche Sie als weltfremden Träumer ab?
Am Anfang hörte ich oft, ich sei ein Spinner und würde schon noch in der Realität ankommen. Speziell die Händler waren überzeugt, dass das so nicht funktionieren könne. Als es uns nach 10 Jahren immer noch gab, wurden die Kritiker leiser. Und als wir die Millionen-Grenze knackten, sagten einige: Diese Hippies machen zwar vieles falsch, aber irgendwie scheint es zu funktionieren. Bei den Wirtschaftsprüfern von KPMG durfte ich schon drei Mal unser Geschäftsmodell vorstellen. Die waren sehr nett, schauten mich am Ende aber so ungläubig an, als hätte ich ihnen gerade erklärt, wie man übers Wasser gehen kann. 2013 hatten wir die Steuerprüfung im Haus. Auch da ging es eine Weile, bis die Beamten unsere Organisationsform verstanden. Es gab danach keine Beanstandung. Ich habe in den letzten Jahren vielen kleinen Unternehmen bei der Gründung oder der Umstellung auf flache Hierarchien geholfen. Und in letzter Zeit mehrten sich die Anfragen von Konzernen.

Der weltfremde Träumer wird also mehr und mehr zum Unternehmensberater?
Ja, der Hippie wird allmählich interessant für die Konzerne. Ich mag den Begriff Berater nicht, aber ich werde tatsächlich vermehrt auch von grossen Unternehmen kontaktiert. Aktuell bin ich in ein Projekt bei der Deutschen Bahn involviert, wo 70 interne und 70 externe Führungskräfte sich mit den zwei Themen Demokratisierung und Digitalisierung auseinandersetzen. Ich stehe mit weiteren deutschen Konzernen und einem grossen Schweizer Technologiekonzern im Kontakt. Viele Führungskräfte werden sich bewusst, dass Druck und Zielvorgaben auf Dauer niemanden zu guter Leistung ermuntern. Wenn Angestellte wie Leibeigene behandelt werden und Kaderleute von Angst getrieben um Macht und Einfluss kämpfen, schadet das dem Unternehmensklima und den Kundenbeziehungen. Die Alternative liegt auf der Hand: Unternehmen, die ihren Mitarbeitern mehr zutrauen, ihnen mehr Freiräume schenken, werden mit Engagement und Leistung belohnt. Meine Haltung ist, dass 99,5 Prozent der Menschen in sich gut sind und auch gute ehrliche Arbeit erbringen wollen. Man muss sie weder motivieren noch kontrollieren, sondern die Zusammenarbeit moderieren. Deswegen will ich nicht der Chef sein, sondern der zentrale Moderator.

Im Grunde sind Sie doch trotzdem der Chef. Ohne Sie gäbe es die ganze Firma nicht.
Ja, das stimmt – ich war der Initiator, mein Menschenbild, meine Sturheit, meine Ausdauer waren tatsächlich wichtig. Ist das nicht ermutigend, was ein Einzelner in Gang bringen kann, wenn er sich einer Idee verschreibt, die viele teilen? Sonst hören wir ja immer, dass ein Einzelner nichts verändern kann. Ich möchte mit der Premium-Cola-Geschichte auch andere ermutigen, etwas zu unternehmen. Ich war weder wohlhabend noch gebildet oder besonders intelligent. Mir war es einfach ein Anliegen, die Zusammenarbeit in einem anfänglich kleinen Projekt so zu organisieren, dass sich alle auf Augenhöhe begegnen. Wenn wir andere ausbeuten, können wir zwar kurzfristig mehr Profit machen, aber eines Tages fällt das auf uns zurück. Ungleichbehandlung hat auch global einen hohen Preis, das sehen wir am Beispiel des nicht abreissenden Flüchtlingsstroms. Ich möchte mithelfen, den Kapitalismus zu reparieren und alle an unserem Wohlstand teilhaben zu lassen.


6. und 13. Februar 2016