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«Viele Menschen gehen mit angezogener Handbremse durchs Leben»

Um einmal im Leben all seine Ressourcen anzuzapfen, wagte Bruno Baumann vor zehn Jahren den Alleingang durch die Wüste Gobi. «Ich lernte, mich auf Gedeih und Verderb auf meine Intuition zu verlassen», sagt der Österreicher, der seit seiner Jugendzeit die Welt erkundet. Regelmässig bringt er Managern in der Wüste bei, «schwache Signale zu erkennen und unbekannte Codes zu lesen».

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.bruno-baumann.de oder info@bruno-baumann.de


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Herr Baumann, vor zehn Jahren haben Sie als erster Mensch im Alleingang die Wüste Gobi durchquert. Was war das Schwierigste an diesem Unterfangen?
BRUNO BAUMANN: Zunächst einmal war es ein Schritt in die Zone existenzieller persönlicher Bedrohung. Ich war ganz auf mich alleine gestellt, ohne Begleitung und ohne Satellitentelefon. Mir war klar: Entweder schaffe ich die 500 Kilometer in 14 Tagen und finde jeweils rechtzeitig Wasserquellen – oder ich werde dabei umkommen. Erschwerend kam hinzu, dass es keine Vorbilder gab. Auch am Mount Everest kann man viele Tode sterben, aber da waren Tausende andere vorher oben, auf deren Erfahrung man zurückgreifen kann.

Immerhin haben Sie vor 17 Jahren schon einmal einen Versuch unternommen – und wären um ein Haar verdurstet.
Ja, das war ein ganz wichtiger Zwischenschritt. Ohne dieses Scheitern und spätere Expeditionen mit Kamelen wäre ich vor zehn Jahren kaum zum Ziel gekommen. Damals, bei meinem ersten Versuch, lernte ich, wie gefährlich die Dehydration wirklich war. Es ist ein grosser Unterschied, ob man in einer Wüste mit 20 Prozent Luftfeuchtigkeit unterwegs ist oder in der Wüste Gobi, wo die Luftfeuchtigkeit nahe Null liegt. Man vertrocknet mit jeder Sekunde, Stillstand bedeutet Lebensgefahr. Ich konnte maximal 12 Liter Wasser mit mir führen. Neigte sich dieser Vorrat zu Ende, musste ich eine Quelle finden.

Warum begibt sich ein Mensch vorsätzlich in solche Lebensgefahr?
Ich wollte mir ein einziges Mal in meinem Leben all meiner Fähigkeiten ganz gewahr werden. Ich bin überzeugt, dass wir nur dann unser Potenzial voll ausschöpfen, wenn wir in einer Extremsituation dazu gezwungen werden. Deshalb manövrierte ich mich bewusst in diese Situation, in der sich derart existenzielle Fragen stellten, dass weder Expertise noch Intellekt weiterhalfen. Die Antworten konnte ich nur aus meinem Inneren schöpfen. Es war eine sehr wertvolle Erfahrung, mich auf Gedeih und Verderb auf meine Intuition zu verlassen. Ich zehre bis heute davon. Seit der Wüstendurchquerung gehe ich mit mehr Geistesgegenwart durch den Alltag, ich habe weniger Ängste und fühle mich dadurch viel freier.

Neigen wir denn generell zu übertriebener Ängstlichkeit?
Viele Menschen begrenzen sich selber unnötig stark, sie gehen mit angezogener Handbremse durchs Leben, sagen bei jeder Gelegenheit «Das kann ich nicht» oder «Da bin ich nicht kompetent genug» oder «Das ist zu riskant». Ich habe erfahren, wie eine starke Vision uns in Bewegung bringt, was alles möglich ist, wenn wir motiviert sind und die Macht der inneren Bilder nutzen. Unser stärkster Antrieb ist nicht der Wille, sondern die Begeisterung. Das geht manchmal vergessen. Wir sind Weltmeister des logisch-analytischen Denkens, aber wir haben weitgehend den Zugang zur anderen Wissensquelle verloren, die wir emotionale Intelligenz, Bauchwissen oder Intuition nennen können. Wenn du in der Wüste überall nur Sand und Salz siehst und dein Wasservorrat zur Neige geht, dann hilft dir dein Kopf nicht weiter. Er kann dir höchstens sagen, warum du demnächst verdursten wirst. Da musst du andere Quellen anzapfen.

War die Wüstendurchquerung für Sie ein spirituelles Erlebnis?
Es war nicht so, dass ich mich von Gott geleitet oder von Schutzengeln bewacht fühlte – das hätte ja eine ganze Fussballmannschaft von Schutzengeln gebraucht. Das dominierende Gefühl war ein wachsendes Grundvertrauen in meine Möglichkeiten, ein immer klareres Bewusstsein all meiner Ressourcen. Am Anfang war ich sehr analytisch unterwegs und berechnete andauernd, wann ich im Idealfall am Ziel sein könnte. Mit der Zeit ging ich wie in Trance, fühlte mich eins mit meinem Tun und tief verbunden mit der Welt.

Man könnte auch fragen: Wovor läuft jemand davon, der immer wieder zu solchen Expeditionen aufbricht.
Ich kenne inzwischen  alle Einwände von Psychologen gegen solch ein Unterfangen. Man kann immer fragen, warum jemand nichts Gescheiteres tut. Für mich hat sich mehr und mehr das Gefühl herauskristallisiert, dass mein Lebensweg durch diese lebensfeindliche Wüste führt. Es war meine Art, eine einmalige Lebenserfahrung zu machen. Diese gibt es niemals umsonst, man muss die Komfortzone verlassen und alles von sich geben, um unheimlich viel empfangen zu können. Zum Glück war mir von Anfang an klar, dass diese «Mission impossible» nicht zu übertreffen sein wird. Ich habe keinerlei Verlangen, das Abenteuer zu wiederholen oder die Dosis zu steigern.

Aber Sie brechen immer wieder auf, in den Himalaya, nach China, Indien, Thailand, Tschad... hängt das vielleicht doch mit der Enge zusammen, die Sie als Kind in der Steiermark empfunden haben?
Ja, ich habe in meiner Kindheit unter dieser Enge gelitten, nicht nur unter den topografischen Begrenzungen, sondern vor allem unter dem kleinbürgerlichen Denken. Es war ein Milieu des institutionalisierten Beamtentums. Meine Eltern wollten, dass ich einen sicheren Job mache, am liebsten Lehrer, das braucht es immer. Mich zog es schon früh in die weite Welt hinaus, nicht weil ich Ferien machen wollte irgendwo, sondern weil ich über den Tellerrand schauen, andere Kulturen und Werte kennenlernen, mehr über mich erfahren wollte. Mit 16 Jahren fasste ich den Entschluss, dass ich nicht wie alle Leute in meiner Umgebung einen langweiligen Job machen wollte, um mir ein kleines bisschen Freizeit kaufen zu können. Ich wollte das tun, was mich wirklich interessierte – und nie zwischen Beruf und Freizeit unterscheiden müssen.

Und wie schafften Sie es, damit den Lebensunterhalt zu verdienen?
In den ersten Jahren war ich angetrieben von der Angst, zu scheitern und schliesslich doch klein beigeben zu müssen. Ich investierte alles, was ich in ersten Fabrikjobs verdiente, in meine Reisen. Dann kam ich mit einem grossen Erfahrungsschatz zurück und stand vor der Frage, wie ich die Erfahrung in Geld verwandeln konnte. Ich begann mit Vorträgen an Schulen, wo das Publikum bekanntlich anspruchsvoller ist als irgendwo sonst, hielt bald öffentliche Vorträge, schrieb erste Bücher und arbeitete als Reisefotograf und Filmemacher. Und 1996, als ich beim ersten Versuch, die Wüste Gobi zu durchqueren, knapp mit dem Leben davon gekommen war, rief mich zu meiner Verwunderung ein Manager an und fragte, ob ich ein Weiterbildungsseminar in der Wüste durchführen würde.

Manager bauen Flosse oder Iglus, Manager erklimmen Berggipfel, Manager erproben in der Wüste ihre Teamfähigkeit... bringt das die Unternehmen wirklich weiter?
Ich habe mich auch gefragt, ob das jetzt einfach das neuste Gaudi für die verwöhnten Alpha-Tiere auf der Teppichetage wird. Zudem dachte ich, dass der Lerneffekt ohne echte Gefahr nicht zu haben sei und dass ich unmöglich ein ganzes Managementteam in Gefahr bringen konnte. Ich liess mich dann zu einem Seminar überreden und arbeite seither regelmässig mit Managementteams. Meine Erfahrung ist: Wer zwei Wochen aus dem eng getakteten Manageralltag aussteigt und die Wüste erlebt, kommt mit mehr Klarheit zurück. Seine Kanäle sind wieder offen, er ist sich selber begegnet, hat gelernt, unbekannte Codes zu lesen, schwache Signale zu erkennen, innovativ zu sein und auf seine Intuition zu vertrauen. Zudem erkennt man in der Wüste sofort, ob ein Team alle Ressourcen ausschöpft oder ob sich die Mitglieder gegenseitig bremsen. Inzwischen greifen auch grosse Unternehmen wie Siemens, Adidas oder Daimler auf meine Erfahrungen und das Lernfeld Wüste zurück.

Ihre Wüstendurchquerung liegt zehn Jahre zurück. Seither leben Sie wieder in der Komfortzone. Ist das nicht beelendend?
Ich sehe das überhaupt nicht so. Erstens ist die Erfahrung von damals noch sehr präsent, ich schöpfe noch heute Kraft und Mut daraus. Zweitens habe ich seither viele interessante Projekte in Angriff genommen, etwa die Suche nach dem sagenumwobenen Reich Shangri La in der Gebirgswüste Tibets oder mein Silkroad-Projekt: Hier handelt es sich um eine Art Kulturkarawane. Ich wollte das Thema Globalisierung am Beispiel der Seidenstrasse durchspielen. Das ist, wenn Sie so wollen, meine neue Wüste. Kein Alleingang, sondern ein hochsensibles Projekt, das den Verbindungen zwischen Europa und Asien nachspürt und die Menschen sensibilisieren soll für die technischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in unserer globalisierten Welt. Ich sehe mich nicht als Rekordjäger, sondern als modernen Forschungsreisenden, der möglichst viele Menschen an seinen Erfahrungen teilhaben lässt.


16. November 2013