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«Das Einzige, worauf es wirklich ankommt, ist Stille»

Pausenlos aktiv zu sein, ist leicht – auf Dauer aber nicht bekömmlich. Wer die Entspannung vernachlässigt, gerät früher oder später aus dem Gleichgewicht. Ananta Steuder hat das am eigenen Leib erfahren. Durch die ZEN-Meditation lernte er, die rotierenden Gedanken zum Ruhen zu bringen und sich in der Stille von allem zu befreien, was ihm eingetrichtert worden war.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: zvg


Kontakt und weitere Informationen:
www.zencom.ch oder steuder@zencom.ch


Herr Steuder, Sie sind Meditationslehrer und bezeichnen die Stille als Basis all ihres Tuns. Wie schaffen Sie es, sich stille Moment zu bewahren und sich nicht von der Hektik des Alltags treiben zu lassen?
ANANTA STEUDER: Es gab in meinem Leben eine grosse Wende. Nach dem Scheitern meiner zweiten Ehe habe ich alles aufgelöst. Ich kündigte die Wohnung, trennte mich von meinem Hab und Gut und ging weg, ohne zu wissen, ob ich wieder zurückkehre. Ein Jahr lang lebte ich in einem ZEN-Kloster in Japan, ohne Medien, ohne Ablenkung, es gab nur die Gemeinschaft im Kloster und die Meditation. Als ich wieder in die Schweiz zurückflog, war mir eines vollkommen klar: Das Einzige, worauf es wirklich ankommt, ist Stille: sich hinsetzen, schweigen, die Aufmerksamkeit auf den Atem richten und sich selber wahrnehmen.

Das klingt ein wenig weltfremd.
Es gibt die Gefahr, sich in die Stille zu verlieben, dauerhaft in spirituelle Höhen zu entschwinden und keinen Fuss mehr in den Alltag zu setzen. Das halte ich für eine Sackgasse. Bei der ZEN-Meditation geht es nicht um Weltflucht, sondern um mehr Balance und Gelassenheit im Hier und Jetzt. Die Meditation gibt den Rahmen und sorgt für die Verwurzelung, der Alltag ist die Feuerprobe, in der wir uns bewähren sollen.

Bei vielen ehrgeizigen Berufsleuten bleibt kein Raum für Stille im Alltag. Der Kalender ist randvoll, es gäbe dauernd noch mehr zu tun. Wie verbinden Sie Meditation und Aktivität?
Es ist nicht einfach, Stille in den Alltag zu integrieren, und allein ist es besonders schwierig. Im ZEN-Zentrum Scheunenberg, wo derzeit sechs Menschen in Wohngemeinschaft leben, ist die Stille ein fester Bestandteil jedes Tages. Wir beginnen um 5:15 Uhr mit 20 Minuten Meditation, dann folgen eine körperliche Übungsreihe, nochmals 20 Minuten Stille und anschliessend das gemeinsame Frühstück. Danach sind wir alle bereit für die Herausforderungen des Arbeitstages. Der nächste Fixpunkt ist das gemeinsame Nachtessen. Um 21:20 sitzen wir noch einmal für 40 Minuten gemeinsam in der Meditation, danach ist Schweigen.

Ist das nicht ein furchtbar enges Korsett?
In meiner Wahrnehmung ist es ein sehr gesunder Rahmen. Früher waren die Menschen zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang aktiv, mit Einbruch der Nacht begann die Zeit der Stille. Wir haben leider vergessen, dass es weder normal noch gesund ist, die Nacht zum Tag zu machen. Wir können uns darüber hinwegtäuschen, uns wach halten mit künstlichem Licht und Koffein, aber im Körper hinterlässt das Spuren. Die Folgen zeigen sich im vegetativen Nervensystem und speziell im Atem. Wir tendieren dazu, zu viel zu sprechen und hyperaktiv zu sein, und vernachlässigen das tiefe Ausatmen, die Entspannung, das Weich-Werden. Da ist etwas fundamental aus dem Gleichgewicht geraten. Dazu gehört auch, dass in unserem Kopf pausenlos die Gedanken rotieren. Wenn wir uns zur Meditation hinsetzen und trotz körperlichen Beschwerden sitzen bleiben, tritt irgendwann der Moment ein, in dem wir durch die Gedanken nicht mehr gestört werden. Wir identifizieren uns dann nicht länger mit ihnen, sondern nehmen uns selber wahr und stossen zum Urgrund vor, aus dem alle Dinge entstehen und in den alle zurückgehen.

Warum ist die pausenlose Aktivität für viele so attraktiv? Warum finden Manager, die mit vier Stunden Schlaf auskommen und 80 Stunden pro Woche arbeiten, so viele Nachahmer?
Das hat viel mit den Prägungen in den ersten Lebensjahren zu tun. Wenn es uns an Selbstvertrauen fehlt, verlangen wir nach ständiger Zuwendung und Bestätigung. Oft entsteht der Hang zu Macht, Dominanz und Kampf aus einem Minderwertigkeitsgefühl, einer inneren Leere heraus. Wir versuchen, das Loch mit Geld, Prestige und Ansehen zu stopfen und müssen dafür ständig schneller, besser, grösser sein als die anderen. Das bedeutet Dauerstress und permanente Versagensangst. Wenn wir uns der Prägungen bewusst werden, können wir sie auflösen – allerdings nicht auf intellektueller Ebene. Und es ist immer ein Wagnis. Jede Therapie führt an den Abgrund. Die Meditation ist der Sprung, den wir am Rand des Abgrunds wagen können, wenn wir bereit sind, ein wenig Kontrolle abzugeben. Paradoxerweise fürchten wir uns panisch vor diesem Sprung, weil wir nicht wissen, wo wir landen werden. Wo sollten wir landen, wenn nicht bei uns selber?

Das ist nicht immer eine angenehme Angelegenheit.
Wir identifizieren uns oft stark mit den Rollen, die wir über die Jahre angenommen haben, und klammern uns daran fest. Bei der Meditation geht es auch darum, wieder leer zu werden, uns von all dem zu befreien, was man uns eingetrichtert hat. Ein Kleinkind ist ein stiller Teich mit klarem Wasser, man kann bis auf den Grund schauen. Dann werfen die Eltern Steine in diesen Teich, später tun es Lehrer, Sporttrainer, Pfarrer, viele andere. Wir nehmen all diese Steine auf, meinen, es sei unser Eigenes, und lassen uns dadurch programmieren. Wenn wir 30- oder 35-jährig sind, ist das Wasser trüb. Wir spulen als Selbstläufer unser Programm ab, wähnen uns auf Kurs, aber wir sehen nicht auf den Grund, wissen nicht, wer wir sind.

Und die Meditation wäre dann die Suche nach dem Original?
Ja. Wenn wir uns in Stille hinsetzen, dann schweigt das Handy, schweigt der Partner, schweigt der Chef. Niemand kann in diesem Moment weitere Steine in unseren Teich werfen. Allmählich setzt sich der Moder, alles sinkt auf den Grund, das Wasser wird klar, wir sehen das Eigentliche. Das gibt uns Gelassenheit und Vertrauen zurück. Wir müssen dann nicht länger auf Nebenschauplätzen glänzen, durch intellektuelle Brillanz oder einen bis in die letzte Faser austrainierten Körper.

Wie sind Sie selber mit der Meditation in Berührung gekommen?
(Lacht) Ich habe die erste Hälfte meines Lebens damit verbracht, aus mir einen richtigen Mann zu machen – oder das, was ich dafür hielt. Frühe Erlebnisse von Unterlegenheit und Schwäche führten dazu, dass ich alles daran setzte, stark und unverletzlich zu werden. Ich stand mit 12 Jahren zum ersten Mal vor Publikum im Boxring und härtete mich später in der Armee in einer Elitetruppe weiter ab. Mein Hauptziel war, meinen Bauch so hart wie möglich zu machen. Mit 30 Jahren machten sich gravierende Atemprobleme bemerkbar, dazu kam ein problematischer Umgang mit Alkohol. Ich begann, heimlich zu meditieren – und erlebte das wie eine Offenbarung. Im Kloster in Japan wurde mir dann bewusst: Alles, was ich 30 Jahre lang hart gemacht hatte, kann ich jetzt die nächsten 30 Jahre allmählich wieder weich machen. Später, in der Arbeit als Therapeut und Meditationslehrer, merkte ich, dass es vielen Männern und auch manchen Frauen so geht.

Woran denken Sie?
Ich erlebe immer wieder Manager, die gerne und überzeugend den «Tough Guy» geben, aber unfähig sind, sich selber wahrzunehmen, sich berühren zu lassen, etwas anzunehmen. Manche trainieren in der raren Freizeit noch für Ironman-Triathlon-Wettkämpfe. Fast vier Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren und zum Schluss einen Marathon laufen – warum macht das jemand? Er muss eine immense Spannung in sich haben. Der Versuch, diese Spannung durch Abhärtung auszugleichen, ist nicht immer der beste Weg. Manchmal ist es besser, zu fragen, wo diese Spannungen aufgebaut wurden, ob es Gewalt gab in der Kindheit, physische oder psychische. Wenn man vor solchen Fragen davonrennt, ist die Gefahr gross, dass man in den Mustern der Kindheit gefangen bleibt und diese weitergibt. Wenn wir die Risse in unserem Urvertrauen erkennen und akzeptieren, können wir sie Schritt für Schritt schliessen. Dann brauchen wir vielleicht keinen Ironman mehr, um uns kraftvoll zu fühlen.


4. August 2012