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«Ich habe meine Biografie zu meinem Geschäftsmodell gemacht»

Zehn Jahre lang versuchte Waseem Hussain, als Angestellter in verschiedenen Berufen zu brillieren. Dann wurde ihm klar, dass sein Beruf in seiner Biografie bereits angelegt ist. Heute ist der 46-Jährige als Brückenbauer zwischen der Schweiz und Indien ein gefragter Mann. Er sieht viel Potenzial für Schweizer Firmen in Indien, aber auch einige Risiken für jene, die gerne jedes Wort für bare Münze nehmen.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG


Kontakt und weitere Informationen:
www.marwas.ch oder waseem.hussain@marwas.ch

Herr Hussain, Sie stammen von einer indischen Familie ab und sind als Einjähriger in die Schweiz gekommen. Sie sprechen Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Englisch, aber auch die indischen Sprachen Urdu und Hindi. Haben Sie dies immer als Bereicherung empfunden?
WASEEM HUSSAIN: Nein. Obwohl ich schon früh als Teenager den Schweizer Pass bekam, haderte ich mit meiner Identität. Ich dachte, ich sei weder ein richtiger Inder noch ein richtiger Schweizer. Mein Name war hier in der Schweiz nicht gerade hilfreich bei der Integration. Ich musste mir die Akzeptanz über Jahre erkämpfen. Immer wieder wurde ich von Mitschülern gefragt, warum wir keine Weihnachten feiern, warum wir Sari statt Jeans tragen, warum wir anders kochen und essen. So wuchs ich früh in meine heutige Berufsrolle hinein: ein Vermittler zwischen Kulturen.

Zunächst schlugen Sie aber eine ganz andere Richtung ein.
Von einer Richtung kann man eigentlich nicht reden, es war ein extremer Zickzack-Kurs. Ich arbeitete im Marketing, im Verkauf, als Software-Programmierer, in der grafischen Industrie und als Journalist – ich habe sehr viel ausprobiert auf der Suche nach meiner Berufung und war nirgends richtig wohl. Nach meinem dreissigsten Geburtstag begriff ich, dass ich mich nicht zwischen Indien und der Schweiz entscheiden musste und dass es eine Alternative gab zu meinem Bestreben, als Angestellter in einem Job zu brillieren: Ich machte meine Biografie zu meinem Geschäftsmodell, bot meine Dienste als Brückenbauer und Vermittler an. Das gab mir ein neues Selbstvertrauen und eröffnete mir ein Universum von Möglichkeiten.

Was bieten Sie konkret an?
Ich helfe Schweizer Unternehmen, in Indien dauerhaft erfolgreich zu sein. Viele Firmen gehen nach Indien, feiern erste Erfolge, kämpfen aber früher oder später mit Schwierigkeiten. Bei Geschäftsbeziehungen mit Indien läuft es ähnlich wie in Liebesbeziehungen: Zuerst, im Stadium der Verliebtheit, ist alles wunderbar, doch dann kommt die Ernüchterung und man beginnt, sich aneinander zu reiben. Es sind zwei sehr starke und sehr gegensätzliche Kulturen, die hier aufeinandertreffen. Ich werde gerufen, wenn die Beziehung gefährdet ist. Manchmal denke ich: Ich bin der Paartherapeut der Geschäftswelt.

Etwas nüchterner könnte man auch sagen: Sie helfen den Schweizer Betrieben, ihre Produktion und damit Arbeitsplätze nach Indien zu verlagern.
Es ist klar, die Produktionskosten sind in Indien 30 bis 60 Prozent tiefer als in der Schweiz, wobei die Einsparungen meistens geringer sind, wenn man die verdeckten Kosten durch Ausfälle, Verzögerungen, Konflikte etc. einkalkuliert. Ein zweiter Pluspunkt ist, dass sich viele Firmen in Indien einen gigantischen Absatzmarkt erschliessen können. Wir reden hier von eine Mittelschicht, die der Bevölkerung von ganz Europa entspricht. Kein Wunder, ist Indien etwa für den Winterthurer Textilmaschinenhersteller Rieter der zweitwichtigste Absatzmarkt. Bis jetzt sind rund 300 Schweizer Firmen in Indien vertreten – es werden zweifellos noch mehr werden, das Potenzial ist lange nicht ausgeschöpft.

Dass die Arbeitsplätze in Billiglohnländer abwandern, kümmert Sie gar nicht?
Wir müssen aufpassen mit diesem Heimatschutzreflex. Die Fakten liegen anders. Die Firmen, die ich berate, haben jene Kapazitäten, die sie in Indien aufbauen, in der Schweiz nicht abgebaut. Als die Credit Suisse 2005 in Indien Informatik-Dienste aufbaute, gab es einen grossen Aufschrei. Heute sind mehr IT-Leute in der Schweiz für die Credit Suisse tätig als zu Beginn dieser Auslagerung. Es ist aber eine Tatsache, dass man gewisse Tätigkeiten als internationaler Konzern nicht mehr sinnvoll von der Schweiz aus betreiben kann. Ich weiss von Angstellten, die sich ärgern, dass in vielen Tätigkeiten Englisch die dominierende Sprache ist. Erwarten wir denn allen Ernstes, dass die 400 Millionen qualifizierten Inder sich ein paar Millionen Schweizern anpassen? Inder lernen vom Kindergartenalter an mit viel Aufwand Englisch. Sie sind uns grammatikalisch klar überlegen. Das schürt natürlich Ängste, aber wir sollten der Wahrheit ins Auge blicken.

Wo sehen Sie die Chancen für Schweizer Unternehmen?
In den Bereichen Industriegüter, Konsumgüter, Luxusgüter und Landwirtschaft sehe ich ein enormes Potenzial. Ein Beispiel: In Bangalore wurde ein internationaler Flughafen gebaut. Das Know-how bezüglich Engineering und Betrieb kam aus der Schweiz vom Flughafen Zürich, der massgeblich am neuen Flughafen beteiligt war. Indien ist sehr interessiert an Swiss Engineering, unsere Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind wichtige Trümpfe bei öffentlichen Ausschreibungen. Dass Luxusgüter wie Swatch-, Hublot- oder Rolex-Uhren sehr gefragt sind bei der aufstrebenden Mittelschicht in Indien, ist ein offenes Geheimnis. Ein grosses Potenzial sehe ich bei Konsumgütern. Ich denke etwa an einen Schweizer Pasta-Hersteller mit hochwertigen Produkten. Bisher produziert er nur in der Schweiz, was die Produkte zu teuer macht für den Verkauf in Indien. Würde er den Sprung nach Indien wagen, hätte er Zugang zu über 200 Millionen potenziellen Konsumenten, die sich ein bisschen Luxus leisten können.

Was würde sich ändern, wenn das Freihandelsabkommen mit Indien unterzeichnet würde?
Das brächte den Schweizer Exporteuren gewichtige Vorteile, weil ihre Produkte plötzlich konkurrenzfähiger wären auf dem indischen Markt. Und natürlich hätten umgekehrt indische Firmen freien Zugang zu einem sehr kaufkräftigen Markt.

Sie betonen stark die Chancen. Man könnte fast meinen, es gebe keine Schwierigkeiten.
Natürlich gibt es die. Viele Unternehmer meinen, die Globalisierung habe alle kulturellen Differenzen wie mit magischer Hand weggewischt. Das ist eine Illusion. Nur weil wir alle Englisch reden und die Buchhaltung nach ähnlichen Standards führen, können wir noch lange nicht mit der Swiss nach Delhi oder Mumbai fliegen und dort nach Schweizer Gepflogenheiten Geschäfte machen. Wer so denkt, wird rasch auf die Welt kommen und merken, dass 1 + 1 nicht überall 2 ergibt. In Europa fokussieren wir sehr auf die Fakten und ordnen dem alle Wenn und Aber unter, der Inder denkt immer in vielen Wenn und Aber. Unser Logik-Verständnis stösst in Indien schnell an Grenzen, das zeigt sich schon beim Small Talk übers Wetter. Was für uns herrliches Wetter ist, empfindet der Inder als kühlen Wintertag.

Das klingt harmlos. Ärgerlicher sind Lieferverzögerungen und nicht eingehaltene Versprechen.
Ja, da gibt es in der Tat viele Missverständnisse und Probleme. Wir Schweizer nehmen ein Wort für bare Münze, meinen alles verbindlich, sehen kaum Interpretationsspielraum. Der Inder kommuniziert mehr in Absichten und in der Möglichkeitsform. Wenn wir ihn fragen: „Could you please provide us…?“, dann sagt der Inder – etwas überspitzt formuliert – „Yes“ und denkt: „Ich könnte das schon versuchen.“ Deswegen ist es so wichtig, dass Schweizer ihre Art der Kommunikation anpassen, ohne von den weltweit geschätzten Tugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit abzukommen.

Sie beraten auch Schweiz Tourismus. Indische Gäste sind für viele Schweizer Städte und Bergorte sehr wichtig geworden. Täuscht der Eindruck oder hat die Schweiz bei Indern zuletzt etwas an Popularität eingebüsst?
Die Schweiz hat es tatsächlich versäumt, den Indern den roten Teppich auszurollen. Wenn Bollywood-Filme noch vor fünf oder zehn Jahren an Schweizer Schauplätzen spielten, so werden sie heute oft in Tirol, Schottland oder Neuseeland gedreht, weil dort niemand Geld für Drehbewilligungen verlangt. Die kostenbewussten Inder achten sehr auf das Gesamtpaket und den besonderen Service – das ist eine grosse Herausforderung für die Schweizer Tourismusbranche.

In den vergangenen Monaten war Indien vor allem wegen Massenvergewaltigungen und anderen Übergriffen auf Europäer in den Schlagzeilen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir reiben uns in der Schweiz die Augen und nehmen in Indien mit Verwunderung etwas wahr, was es immer schon gab und überall gibt: Kriminalität, Raub, Diebstahl, Mord, Vergewaltigung. Lange wurden solche Dinge ausgeblendet, weil Indien übertrieben stark mit Mahatma Gandhi, Hermann Hesse, Dschungelbuch, Yoga und Ayurveda assoziiert wurde. Dieses friedliche Indien gibt es auch. Heute steht das Negative überproportional im Fokus, aber das ist sicher kein Zufall. Indien steht an einer wichtigen Wegscheide. Es ist der Beginn der Industrialisierung in diesem Land, es entstehen nicht nur viele neue Arbeitsplätze, sondern auch ein neuer Wohlstand und damit neue Ansprüche an die Verwaltung. Die Bevölkerung ist nicht länger bereit zu akzeptieren, dass ein paar Politiker in New Delhi etwas mauscheln an den Interessen des Volkes vorbei. Das führt zu Sicherheitsproblemen und gewaltsamen Konfrontationen zwischen dem alten und dem neuen Indien. Ich glaube aber nicht, dass für Schweizer Geschäftsleute ein erhöhtes Sicherheitsrisiko besteht.

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